Fear the Walking Dead ist eine gute Serie geworden. Ich
fürchte, ich mutiere zum Missionar in Dauerschleife, aber die aktuelle
Entwicklung wird wöchentlich von Folge zu Folge bestätigt und intensiviert. Auch
die neue Folge This Land Is Your Land, nach dem berühmten Lied von Woodie
Guthry, schlägt in diese Kerbe. Sie ist mitreißend inszeniert, nuanciert in ihrer
Darstellung der immer fragiler werdenden Menschlichkeit und sie wird durch eine
zentrale Darbietung geankert, die ihresgleichen sucht.
Die Farm wurde von den Zombies überrannt. Die von Troy
aufgescheuchte Horde konnte weder abgewendet noch abgewehrt werden und mit den
letzten Kräften retteten sich Alicia, Ofelia, Crazy Dog und eine verzweifelte
Meute in den Bunker. Dort haben sie eigentlich alles, was sie sich wünschen
könnten. Viele Waffen und jede Menge Proviant, doch das Versteck ist nicht für
diese Masse an Menschen ausgelegt, weshalb der Luftschutzbunker jetzt zur
tödlichen Falle werden könnte.
Dieses Szenario nutzt Fear the Walking Dead, um die Nähe der
Figuren zur alten Ordnung zu unterstreichen. Die Lösung des Problems ist
nämlich, dass Alicia die Menschen mit Bissspuren töten muss, da sie ohnehin dem
Tod geweiht sind. Durch die aktive Sterbehilfe in Form von effektiven
Schmerzmitteln werden die Personen zunächst sanft in die ewige Ruhe geleitet –
um dann ein Messer in den Hinterkopf zu bekommen. Und das stellt natürlich einen definitiven
Unterschied zum üblichen Abschlachten der Walker dar, wogegen die Überlebenden inzwischen
immunisiert sein dürften. Nein, hier werden Menschen getötet, das soll ganz klar sein. Die Serie
adressiert nie direkt die moralischen Konflikte oder verbalisiert sie
lautstark. Dafür ist sie inzwischen viel zu nuanciert und gewieft. Doch die
menschlichen und emotionalen Folgen sowie Belastungen werden dargestellt,
hauptsächlich durch nonverbale Reaktionen von Alicia (wunderbar gespielt von
Alycia Debnam-Carey).
Außerhalb des Bunkers beobachten Troy und Nick (Frank Dillane) die
Zombiemeute. Sie überlegen sich, wie sie den eingeschlossenen Menschen helfen
können und entscheiden sich, mit dem Auto durch die Menge zu rasen. Troys
verstörtes Gefallen beim Überfahren der Toten grenzt ihn von all den anderen
Figuren deutlich ab. Womöglich ist auch genau das der Grund, weshalb
Troy noch am Leben ist. Sicherlich hat Nick Schuldgefühle, doch das kann nicht
der alleinige Grund für Troys Überleben sein. Nein, die Thematik greift hier
wesentlich tiefer. Ähnlich wie Alicia hat Nick, ebenso Madison, ein
großes Problem damit sich den neuen Wahrheiten dieser Realität zu beugen und
anzuerkennen, dass diese Welt eventuell ohne einige Walker besser auskommen würde. Während Rick in der Mutterserie The Walking Dead zum
Beispiel jedoch erst Jahre später gegen den nicht zu tragenden Negan ankämpft
und ihn kalt machen will, sind in Fear The Walking Dead erst ein paar Monate
vergangen. Strand beteuerte zwar in den vergangenen Episoden immer wieder, dass die Zombies ein globales Problem sind, aber die Hoffnung auf ein besseres Zuhause, auf eine sichere
Zukunft und überhaupt einen positiven Ausblick findet man überall. Sei es der
Damm, dessen reinigenden Fluten das Tal wieder heilen sollen oder Jakes Hütte irgendwo in den Bergen.
Die Idee greift zurück auf eine Aussage von Dave Erickson,
dem Showrunner von Fear the Walking Dead: "That
has been one of the challenges of the show. ... We obviously want to deliver a
story that everybody loves. But at the same time, we wanted to make sure that
our characters didn’t embrace the tropes [of the genre]." Diese
Tropen sind derzeit tatsächlich selten zu finden in der Serie, die ihre
Figuren behutsam und mit viel Liebe sowie Verständnis betrachtet. Zum aktuellen
Zeitpunkt in der Geschichte herrscht beim Umgang unklarer, moralischer Fragen
noch wenig Routine. Das ist ungemein spannend, denn auch als Zuschauer fragt man
sich, wie man handeln würde. Cool und abgeklärt kann jeder, aber ethische
Fragestellungen mit Würde und Gewicht in einer Zombienarrative zu erforschen,
das schafft Fear the Walking Dead nun.
Weder Troy noch Nick sind jedoch erfolgreich. Ihre Mission
endet im Helikopter; diesen können sie zwar starten, aber nicht nutzen und
schon bald wird er ebenfalls zur Falle. Am Ende rettet die ältere Generation
wieder den Tag. Madison (Kim Dickens), Strand und Taqa erreichen die Ranch und befreien
Alicia aus dem Bunker. Crazy Dog und Ofelia, die zwischendurch eine
Panikattacke des Natives überwinden mussten (ein weiterer Bruch mit dem harten
Image und ein Schritt, der die Figur weiter vermenschlicht), sind ebenfalls
sicher. Gemeinsam soll es nun an den Damm gehen, wo Daniel (Ruben Blades) wohl
die Tore für seine Tochter und die ihrer Retter öffnen wird.
Ob Madison und Co. bei dem aktuellen Tempo der Geschichte womöglich bereits zum Staffelfinale den Damm sprengen werden? Wer weiß, aktuell scheint alles möglich. Genau wie Alicias Tod, der bis zur finalen Rettung gar nicht so unausweichlich schien. Dass Jake und Travis so unverhofft starben, hat der Serie gut getan – ebenso wie dieses Vorrücken eines gefühlsmäßigen Staffelfinales. Wenn eine Figur sonst eine solche Aufmerksamkeit erfährt, bedeutet dies im Walking Dead-Universum normalerweise nichts Gutes. Hier wird Alicia jedoch in den Mittelpunkt gerückt und darf glänzen, sich weiterentwickeln und sich später auch in zukünftigen Abenteuer bewähren. Ich fiebere mit ihr mit und habe Angst, dass sie sterben könnte. Dass sie ausnahmsweise überlebt, obwohl die Gefahr spürbar real war, wird meine Anspannung intensivieren, wenn ihr Leben das nächste Mal am seidenen Faden hängt. Im Unterschied zu The Walking Dead scheint aktuell alles möglich zu sein. Wie aufregend!
Es ist jedoch bedauerlich, dass sich die Gruppe sich direkt wieder
aufteilt. Zumindest war dies mein erster Gedanke. Kaum wiedergefunden und
gerettet, reitet Alicia von dannen mit Troy und Nick im Nacken. Das machen
Walking Dead-Serien häufig, insbesondere kurz nach dem Höhepunkt in einem
emotionalen oder narrativen Finale. Hier jedoch fühlt sich das direkte
Aufbrechen der Bande wieder sehr authentisch an. Alicia scheint nicht nur mehr
an Jake gehabt zu haben, als sie durchblicken ließ, sondern sie ist dazu ihr
eigener Mensch und erwachsener geworden. Sie hat gelernt, sich zu behaupten und
kann dies auch kommunizieren.
Madison hingegen muss erneut erkennen, dass die Apokalypse die Wichtigkeit der Familie in den Vordergrund rücken mag, Ereignisse und Aktionen die Menschen jedoch leicht trennen können. Alicia wird bestimmt zur Familie zurückkehren. Für eine endgültige Trennung sind die Clarks auch zu eng verbunden, aber Alicia wird sich die alternative Realität mit Jake in einer Hütte wohl gut anschauen und dann lernen, dass nicht unbedingt das Schicksal, sondern Troy und Nick für den Tod von Jake verantwortlich sind. Der Konflikt ist somit weder beendet noch ist er wirklich ausgebrochen. Wie das Feuer auf der Steppe um die Ranch schwelt er vor sich hin. Alicia fährt hinfort, Nick gibt Troy das x-te Alibi und die Episode gibt Walker keine Sekunde, den Tod seines gesamten Stammes zu verarbeiten. Doch vielleicht kommt da noch was.
Fear the Walking Dead hat sich mit dieser dritten Staffel einen gewissen Vertrauensvorschuss verdient gemacht. Schauen wir, wohin die Reise in den letzten drei Folgen geht.