"Sie kamen als Freunde und wurden zu Wurst." Christoph Schlingensiefs Beitrag zur deutschen Wiedervereinigung sind 63 Minuten auf Zelluloid gebannter Wahnsinn. Die bewusst geschmacklose Groteske Das deutsche Kettensägenmassaker verwurstet Anleihen an das Trash-Kino eines Russ Meyer oder Tobe Hooper, auf dessen Texas Chainsaw Massacre sich der Titel bezieht, Hommagen an Alfred Hitchcock und Einflüsse der Kannibalenfilme der 1970er zu einem fauligen Potpourri, das wohl nur noch mit dem Attribut "ungenießbar" angemessen umschrieben werden kann. Während sich die Hoopersche Vorlage als Anspielung auf den Vietnamkrieg lesen lässt, der eine sich als unbesiegbar wähnende Nation moralisch und ideologisch verstümmelte, zeigt Schlingensief in seiner Interpretation der DDR-Grenzöffnung, was mit Menschen passiert, die voller Hoffnung in eine vermeintlich bessere Zukunft aufbrechen und dort angekommen von den Einheimischen buchstäblich massakriert werden.
Die Handlung ist so dünn, dass sie problemlos auf einer Wurstpelle Platz finden würde: Die junge Clara (Karina Fallenstein) wohnt in Leipzig und wird seit Jahren von ihrem Mann misshandelt. Bei einem dieser Übergriffe erdolcht sie ihren Peiniger und flüchtet per Trabbi in einem obskuren Fiebertraum gen Westen, der kürzlich geöffneten Grenze entgegen. Dem Patriarchat ihres Mannes entbunden und ohne Perspektive begibt sie sich in die Zwänge der kapitalistischen Ausbeutergesellschaft, dargestellt durch eine westdeutsche Metzgerfamilie. Zwar kann durch die Intervention einer aktiven Lesbe zunächst verhindert werden, dass sie direkt von der Kettensägen schwingenden Schlächterbande zu Hackfleisch verarbeitet wird, doch ein Rückweg in die vertrauten Strukturen des Sozialismus ist ebenso unmöglich. Das alles mündet schließlich in einem zügellosen, viszeralen Schlachtfest, bei dem unzählige Kübel Kunstblut vergossen werden.
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In diesem Anti-Kunstwerk, wie es nur Christoph Schlingensief beherrschte, paart sich theatralisches Schauspiel wild-orgiastisch mit reichlich Situationskomik. Ein Drehbuch scheint es nie gegeben zu haben oder falls doch, müssen große Teile davon bis zur Unleserlichkeit mit Kunstblut bekleckert worden sein. Es dominieren polemische Übertreibungen, Obszönitäten, Sarkasmus und Zynismus. Stars wie Irm Hermann oder Udo Kier, der im Entstehungsjahr 1990 bereits auf eine eindrucksvolle Karriere zurückblicken konnte, geifern und keifen mit Amateurdarstellern um die Wette, dass man nicht weiß, ob man lachen oder kotzen soll. Alles wirkt so stilisiert, gekünstelt, bis zum Affekt übertrieben, etwa wenn ein manisch kichernder Udo
Kier mit seinem blutigen Armstumpf das Peacezeichen auf eine Wand
pinselt. Szenen wie diese sind es, in denen Schlingensiefs bitterböse Persiflage
auf die Wiedervereinigung mit der Lautstärke einer Attraktionskapelle daherscheppert.
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Wir sind gut druff und du hältst die Schnauze!
Alfred Edel sagt in obiger Szene einen Satz, der geradezu metareflexiv anmutet: "In einer Zeit, in der alles möglich ist, ist es unwichtig, ob etwas gut ist oder schlecht." Das trifft es ziemlich genau. Was im Film angeprangert wird, lässt sich durch keine Wiedervereinigungs-Analyse verkopfter Polit-Schnösel zu Papier bringen. Der moviepilot kleinkeks fasst diese hedonistische Komponente in seinem Kommentar zum Film überaus treffend zusammen:
Nichts ist mehr, wie es war. Hin ist der Kommunismus, hin ist die Moral, es zählt nur noch der Profit, die Befriedigung. Nichts ist mehr Tabu. Inzest, Mord, Leichenverstümmelung, Kannibalismus, Behinderung, Homosexualität, Vergewaltigung, Liebe: Nichts davon ist richtig oder falsch, denn jeder ist Egoist, Konsument, seines eigenen Glückes Schmied, losgelöst von den alten Regeln und Konventionen. Alles ist gut, solange der Fleischwolf dreht und der Rubel rollt.
Weil ihm danach ist, zündet der Polizist seine Fusselsiebfrisur mit Alkohol an und hackt sich danach den Arm ab - warum nicht, in "Zeiten, wo alles möglich ist"?
Es gibt kein schwarz, kein weiß mehr, alles verschwimmt in einem dreckigen, blutroten Sumpf. Nur schräg gegröhlte Volkslieder erinnern gelegentlich an das, was mal Kultur genannt wurde.
Mehr noch als den theatralisch entstellten Figuren kommt dem Raum eine tragende Rolle zu. Ob oder was die Figuren mit ihren Dialogen ausdrücken wollen, mag sich nicht immer gleich erschließen, aber der Raum in einem Schlingensief-Film wirkt stets mit maximaler Sinnlichkeit auf die Zuschauer ein. Eingeschlossen und bedrängt irren die Figuren wie bei Eraserhead von David Lynch durch ruinierte Industrielandschaften, die als Manifestationen des Unbewussten fungieren. Dazu dienen ihm nicht selten cineastische Zwischenräume wie Sackgassen, Labyrinthe, Ruinen und Gefängnisse. So wurde Das deutsche Kettensägenmassaker auf dem Gelände einer verlassenen Stahlfabrik bei Duisburg gedreht, drei Wochen nach dem 03.10.1990 war der Film fertig, noch im Oktober fand die Premiere statt, Ende November kam der Film dann ins Kino.
Diese Mischung aus Kunst, Trash und Provokation verweigert sich konsequent der Dreiakt-Struktur bestehend aus Exposition, Konfrontation und Lösung des Konflikts oder sonstigen Konventionen des narrativen Kinos. Auch ist keine Aufteilung in Dialog und Aktion zu erkennen, kein Schnitt-Gegenschnitt-Verfahren, kein Leitmotiv. Der vollständige Bruch mit dem Erzählkino ist Schlingensief in Reinkultur, ein undurchdringliches Kuddelmuddel, das zu keinem Zeitpunkt Deutungshoheit über die dargestellten Ereignisse beansprucht. Als satirischer Kommentar auf die deutsche Wiedervereinigung kann der Film damit ebenso verstanden werden wie als Wa(h)nruf auf die kannibalische Vertilgung des Ostens durch den Westen.
Doch das Chaos hat Methode: Wie immer geht es dem Medienjongleur Schlingensief darum, aktuelle Diskurse zusammenzudenken, mit medialen und historischen Assoziationen anzureichern, nur um das Ganze im Anschluss durch den Fleischwolf zu jagen und damit in einen Zustand maßloser Hysterie zu überführen, der einerseits hingerotzt dilettantisch wirkt, andererseits in seiner Überstilisierung mit einem großen Gespür für gesellschaftliche Stimmungen aufwartet.
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Das deutsche Kettensägenmassaker ist nicht nur das filmgeschichtliche Dokument einer politischen Entwicklung, sondern heute, zweieinhalb Jahrzehnte nach den Ereignissen, vor allem eines: schwer zumutbar. Dass mit den wackeligen Kamerafahrten, dem im Hintergrund stets dröhnenden Geräusch einer Kettensäge und der splendiden Wirkung selbiger auf die menschliche Anatomie nicht jeder etwas anfangen kann, macht den Film nur leidlich empfehlenswert. Zum Abschluss muss also eine kassandrische Gegenstimme her. So schreibt ein Rezensent vom Horrormagazin etwa:
Das Beste am Film ist seine Länge: Das Massaker dauert nur 63 Minuten, und auch die sind ungefähr eine Stunde zu lang. Um es frei nach den Worten des von mir sehr verehrten Oliver Kalkofe zu formulieren: Das ist keine Kunst, das ist auch kein Kult. Das ist einfach nur gequirlte Scheiße.
In diesem Sinne: Helle helle güll güll!