Die Oscarsaison & ihr traditioneller Download-Boom

26.02.2014 - 08:50 UhrVor 10 Jahren aktualisiert
The Wolf of Wall Street
Universal Pictures
The Wolf of Wall Street
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Oscarsaison ist Piratensaison. Wenn die Academy-Mitglieder zu Jahrsbeginn mit Screenern bemustert werden, gelangen die Filme schon kurze Zeit später illegal ins Internet. Ein unlösbares Problem, dessen Schaden sich dennoch in Grenzen hält.

Unter Filmfreunden ist er traditionell spätestens im Januar eröffnet, der Dialog um verdiente oder unverdiente Oscarnominierungen. Bevor die entsprechende Verleihung als offizieller Höhe- und Schlusspunkt all der im Frühjahr vergebenen Auszeichnungen die Award-Saison beschließt, sind die Oscars auch hier auf moviepilot das große Thema von Diskussion und Berichterstattung. Nicht zwingende Voraussetzung, aber doch eine erhebliche Erleichterung im cinephilen Austausch ist dabei die Kenntnis der eigentlichen Oscaranwärter. Wer viele von ihnen oder am besten sogar alle gesehen hat, ist klar im Vorteil, mindestens aber besonders gewappnet für die Show am 2. März 2014. Und weil im Internet verbotenerweise jedes Jahr nahezu alle oscarnominierten Filme bereits vorab verfügbar sind, nicht selten sogar vor dem jeweiligen deutschen Kinostart, scheint dies auch Kinomuffeln schon mit wenigen Klicks möglich zu sein. Ein Segen für Benutzer illegaler Download-Plattformen, ein Fluch für die Academy of Motion Picture Arts and Sciences, die durch den massenhaften Versand von Screenern wohl oder übel erst die Voraussetzungen für qualitativ hochwertige Oscarfilmpiraterie schafft.

Keine effektive Kontrolle
Diese von der AMPAS verschickten bzw. verschlüsselt online bereitgestellten Screener sind natürlich erst einmal nur als Service für die zum Voting berechtigten Mitglieder gedacht. Sie, die Entscheidungsträger, sollen alle nominierten Filme vorab begutachten können, und das trotz ebenfalls organisierter Kinosondervorstellungen vor allem auf DVD, bequem daheim oder unterwegs, ganz so wie es ihnen beliebt. Nun zählt die Academy nach eigenen Angaben mehr als 6000 Mitglieder (etwa genauso viele wie die British Academy of Film and Television Arts, welche das gleiche System nutzt), die allesamt einen Anspruch auf entsprechend zur Verfügung gestellte Screener haben. Gleichwohl Warnhinweise zur illegalen Verbreitung und sogar gezielte Aufforderungen, die Muster nach Sichtung zu zerstören, mitgeliefert werden, kann niemand überprüfen, ob das auch tatsächlich der Fall ist. Genauso wie es bislang keine effektive Kontrolle darüber gibt, dass sie in die Hände von Familienangehörigen oder Freunden der Stimmberechtigten gelangen. Jedes Mitglied ist demnach ein potentieller Täter. Sogar Ellen DeGeneres, die diesjährige Oscarmoderatorin (!), geriet im Rahmen ihrer Talkshow in den Verdacht, einen Screener des Films Das erstaunliche Leben des Walter Mitty online gestellt zu haben.

For Your Consideration Only?
Die Konsequenzen sind also absehbar, die Prozedur dennoch alternativlos. Wollen Produzenten und Studios während ihrer millionenschweren Oscarstimmenkampagnen sicherstellen, dass ihre nominierten Filme auch tatsächlich gesehen werden, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die umworbenen Oscar- und BAFTA-Voter mit Screenern zu bemustern. Ihre kostenintensiven Vorbeugungsmaßnahmen wider Piraterie sehen zwar stets diverse Schutzmechanismen vor, die von individuellen Wasserzeichen bis hin zu speziell codierten Einweg-Screenern reichen. Doch es vergehen jedes Jahr gerade einmal wenige Tage nach Bereitstellung, ehe die Filme illegal ins Netz gelangen, um dort in bester Bildqualität über Filesharing und Streaming millionenfach verbreitet und angesehen zu werden. Strafverfolgung der ursprünglichen Uploader? Schwierig. Beweislage gegen sie? Oft uneindeutig. For Your Consideration Only? Offenbar nicht im Geringsten. Alle neun der für den Best-Picture-Oscar 2014 nominierten Filme sind im Internet bereits illegal verfügbar. Über die Hälfte von ihnen war es schon, bevor sie überhaupt in die deutschen Kinos kamen.

Screener befördern den illegalen Downloadmarkt
Der internationale Pirateriebetrieb bedient dabei selbst Zuschauer, die des Englischen nicht mächtig sind, indem besonders kriminell engagierte Torrent-User einfach den Originalton mit im Kino oder anderweitig mitgeschnittenen Audiospuren der Synchronfassungen ersetzen (oder sie mühevoll untertiteln). Mehrere Wochen vor der Oscarverleihung – und Monate vor der eigentlichen Veröffentlichung auf DVD und Blu-ray – werden die Filme also in komfortablen Fassungen illegal verfügbar gemacht, nicht selten basieren diese Versionen auf eben jenen „exklusiven“ Award-Screenern. Auch Der Hobbit: Eine unerwartete Reise und Django Unchained, jene Filme, die die Liste illegaler Downloads 2013 anführten, waren zuerst als Oscar-Leaks ins Internet gelangt. Letzterer brachte es schon innerhalb der ersten 24 Stunden auf 500.000 Downloads, im Verlauf des gesamten Jahres wurde er über acht Millionen Mal herunter geladen. Beide Filme galten dennoch als überragende finanzielle Erfolge, so wie von erhöhtem Aufkommen illegaler Downloads ganz grundsätzlich Produktionen betroffen zu sein scheinen, die sich sowohl auf derart unrühmlichen als auch ganz offiziellen Erfolgslisten vordere Plätze teilen.

Alles halb so schlimm?
Dass sich Piraterie offenbar nicht merklich auf die Einspielergebnisse der Filme auswirkt, ist gleichermaßen erstaunlich wie beruhigend. Am US-Box-Office verzeichnen die Studios von einem Redkordjahr zum nächsten steigende Einnahmen. Und die viel zitierten Untersuchungen des Wellesley College (Department of Economics) und der Universität von Minnesota wollen bekanntlich herausgefunden haben, dass der durch illegale Downloads entstehende Schaden am internationalen Box Office nur minimal nachzuweisen sei, während für die USA schließlich überhaupt keine Zusammenhänge zwischen ihnen und (un-)gelösten Kinotickets festgestellt werden könnten. Der in den Studien demnach hergeleitete Zusammenhang zwischen (geographisch bedingter) Nicht-Verfügbarkeit oder eklatanter Startverschiebung eines Films und entsprechend höherem Download-Aufkommen desselbigen erschließt sich auch in der besonderen Verbreitung von Award-Screenern zur Oscarsaison. „Wer auch immer diese Screener veröffentlicht – Gott segne Dich!“, ließ beim Hollywood Reporter etwa ein in China lebender Filmpirat aus Frust über die hiesigen VÖ-Beschränkungen westlicher Produktionen verlauten.


Als Mr. Vincent Vega meint es Rajko Burchardt seit Jahren gut mit den Menschen. Wenn er nicht gerade auf moviepilot fern sieht oder seine Filmecke pflegt, schreibt er Kinokritiken und zwitschert auch gelegentlich vor sich hin. Die Spielwiese des Bayerischen Rundfunks nannte ihn “einen der bekanntesten Entertainment-Blogger Deutschlands”. Das fand er interessant.

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