Die 1970er - Ein Jahrzehnt ohne Tabus

22.11.2013 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten
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Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten
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Während es in der letzten Woche noch um die prüden 1960er Jahre ging, wenden wir uns heute nun den Sexskandalfilmen der 1970er zu und kommen dabei auf Sex mit Schafen, wollüstige Schulmädchen und sexuelle Abhängigkeitsverhältnisse zu sprechen.

Es war das Jahrzehnt, das Zeitzeugen rückblickend mit Aufbruch oder Umbruch beschreiben. Eine Dekade, in der man die alte Spießigkeit bunt übertapezierte, in der die Haare und Bärte immer länger, die Röcke immer kürzer und die Schlaghosen immer weiter wurden. Die 1970er waren eine Zeit des Ausprobierens, in der versteinerte Strukturen eingerissen und der Wunsch nach Liberalisierung sich durch Politik, Gesellschaft und Kultur zog. In selbstgegründeten Kommunen klampften die Hippies auf ihren Gitarren, während anderswo im gediegenen Partykeller lieber im Schein der Lavalampe Discosounds und Schlagern gelauscht wurde. Der Glamrock kam und brachte glitzernde Overalls und Plateauschuhe, bis der Punkrock schließlich die Discokugel herunterriss und alles verwarf. Popart, Fotorealismus und psychedelische Kunst wehten noch aus der Revolte der späten 60er herüber und verwoben sich mit der Werbung zu einer massenkompatiblen Einheit. Der Vietnamkrieg schärfte bis zur Mitte des Jahrzehnts das politische Bewusstsein des Einzelnen und der Feminismus türmte sich zu seiner zweiten großen Welle auf. Drogenexperimente erreichten ihren vorläufigen Zenit, Heroin schlug in Großstädten ein wie eine Bombe.

Sexploitation vs. Mainstreamkino
Auch die Filmkultur blieb bei all diesen Umbrüchen nicht unbeteiligt und bot seinen Zuschauern einen enthemmten Umgang mit Sexualität, in dem Tabus und spießige Barrikaden höchstens noch als Einladung zum Niederreißen verstanden wurden. Sexploitation-Filme überschwemmten den Markt, in denen Pornografie, Gewalt und Satire sich zu grotesken Szenarien vermischten – weshalb die 1970er Jahre rückblickend nicht umsonst auch als das „Golden Age of Porn“ bezeichnet werden. Dass das Mainstreamkino sich angesichts von B-Movies, in denen sich die Klitoris einer Hauptdarstellerin in ihren Rachenraum verirrte (Deep Throat) oder teuer produzierten Historienpornos mit Staraufgebot (zum Beispiel Peter O’Toole und Malcolm McDowell in Caligula) überhaupt noch mit schockierenden Themen behaupten konnte, klingt daher zunächst unwahrscheinlich.

Befreiung und Tabubrüche
Doch das Gegenteil war der Fall: 1971 provozierte Rosa von Praunheim mit Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt die Anhänger eines heteronormativen Establishments und prangerte die homophoben und diskriminierenden Verhältnisse in der Gesellschaft an. Praunheim ging es vor allem um die eigenständige Emanzipation der Schwulenszene, die selbst für ihre Rechte und Akzeptanz kämpfen und sich nicht länger unterdrücken und ächten lassen sollte. Die feministische Bewegung wiederum, die Anfang der 1970er massiven Aufwind erlebte, sah sich 1972 mit einem Film konfrontiert, der einerseits gefeiert wurde, andererseits jedoch als frauenverachtend und sadistisch in die Filmgeschichte einging.

In Der letzte Tango in Paris beginnt die junge Jeanne (Maria Schneider) ein rein sexuelles Verhältnis mit dem wesentlich älteren Paul (Marlon Brando), das von einseitiger Abhängigkeit und tiefgreifender Demütigung geprägt ist. Die Szenen, in der Analsex mit einem Stück Butter als Gleitmittel gewaltsam erzwungen wird oder Paul seine perverse Fantasie zum Besten gibt, in der Jeanne mit einem kotzenden Schwein kopulieren soll, bleiben hierbei als besonders skandalträchtig in Erinnerung.

Sodomie und triebhafte Schulmädchen
Wo wir gerade beim Thema Sodomie sind: Im selben Jahr brachte Woody Allen seinen Klassiker Was Sie schon immer über Sex wissen wollten in die Kinos, ging jedoch in seiner Episode „Was ist Sodomie?“ gewohnt satirisch und spielerisch vor: Der New Yorker Arzt Doug Ross (Gene Wilder) verliebt sich in ein armenisches Schaf namens Dolly und beginnt mit ihr eine Affäre, womit er nicht nur seine Beziehung aufs Spiel setzt, sondern auch seine Approbation. Das obendrein noch minderjährige Schaf kehrt schließlich zu seinem Hirten und ersten Liebhaber zurück, woraufhin Doug seinen Kummer mit dem Trinken von Wollwaschmittel zu lindern versucht.

Während Woody Allen sich bei seinem Episodenfilm mit einem Augenzwinkern als großer Aufklärer gab, machte in Deutschland während der 1970er Jahre eine Pseudo-Dokumentationsreihe von sich reden. Der Schulmädchenreport befriedigte unter dem Deckmantel eines aufklärerischen Anliegens die Neugierde seiner sexuell aufgeschlossenen Zuschauer. Rückblickend liest sich die 13-teilige Reihe jedoch als gezielte Anstachelung panischer Eltern, die befürchteten, dass ihre gar nicht so braven Schützlinge vor lauter Lust das Lernen vergessen könnten. Titel wie Schulmädchen-Report: Was Eltern nicht für möglich halten (1970) oder Schulmädchen-Report 9: Reifeprüfung vor dem Abitur von 1975 legen diese Sorgen jedenfalls nahe.

Gewalt und sexuelle Abhängigkeit
1975 war auch das Jahr, in dem Die 120 Tage von Sodom von Pier Paolo Pasolini eine heftige Zensurdebatte auslöste. Pasolini verlagerte das Geschehen auf der Leinwand zurück in das unter dem faschistischen Regime stehende Italien Mitte der 1940er Jahre und erzählte von der sexuellen und gewalttätigen Ausbeutung von Teenagern durch faschistische Funktionäre. Während in Deutschland der Film zunächst bundesweit beschlagnahmt wurde, zählte auch Pasolini übrigens unwissentlich seine letzten Tage, da er noch im selben Jahr ermordet wurde. Ob dies im Zusammenhang mit seinem skandalträchtigen Film stand, ist allerdings bis heute ungeklärt.

Ein Jahr später folgte schließlich eine weitere cineastische Provokation, die dieses Mal allerdings aus Japan kam. Anders als bei Der letzte Tango in Paris ging es Im Reich der Sinne von Nagisa Ôshima um ein sexuelles Abhängigkeitsverhältnis, in dem ein Mann seiner Geisha verfällt. Der Film verschmilzt die alles verzehrende Leidenschaft der Figuren mit einer rauschhaften Todessehnsucht und beschreibt sexuelle Anziehung als einen machtvollen Mechanismus, der sich manchmal jeder Kontrolle entzieht.

Was meint ihr: Gibt es sexuelle Tabus, die ungebrochen bleiben sollten? Und welcher der beschriebenen Filme hat sich besonders in euer Gedächtnis eingebrannt?


Was folgt in der Sexskandalfilme im Wandel der Zeit nächste Woche?
Nächste Woche geht es natürlich mit den 1980er Jahren weiter, wo wir unter anderem auf Die blaue Lagune und 9 1/2 Wochen zu sprechen kommen werden.

Alina Impe ist eine Ex-Praktikantin bei moviepilot, studiert Filmwissenschaft im Master in Berlin und schreibt regelmäßig Festivalberichte und Filmkritiken für berliner-filmfestivals.

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