Berlinale 2016: Hail, Caesar! ist ein Geschenk für Filmnerds

12.02.2016 - 08:50 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Berlinale 2016: Hail CaesarUniversal
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Gestern feierte die 66. Berlinale mit Hail, Caesar! von den Coen-Brüdern ihre Eröffnung. Einen passenderen Film konnte sich die Festival-Leitung für dieses Ereignis kaum aussuchen.

Es gibt ernste Angelegenheiten und dann gibt es den Kalten Krieg. Beim Kräftespiel von USA und Sowjetunion stand die Menschheit mehrfach kurz davor, nuklear ausgelöscht zu werden. Und selbst im kleineren Rahmen geriet die Menschenwürde auf beiden Seiten in Gefahr, in den bürokratischen und propagandistischen Apparaten der Großmächte zermahlen zu werden. Schaut euch nur Bridge of Spies - Der Unterhändler und Trumbo an. Ernst ist gar kein Ausdruck! Schaut euch lieber nicht Hail, Caesar! von Joel Coen und Ethan Coen an, um den Ernst in seiner ganzen Ernsthaftigkeit ernst nehmen zu können. Hail, Caesar! spielt 1951. Es war das Jahr, als das Ehepaar Julius und Ethel Rosenberg wegen Spionage für die Sowjetunion in den USA zum Tode verurteilt wurde. Und es war das Jahr, als das House Un-American Activities Committee (HUAC) seine zweite Untersuchung kommunistischer Umtriebe in Hollywood antrat. Filmemacher denunzierten einander im Namen der Demokratie, andere wurden mit einem inoffiziellen Berufsverbot bestraft. Politisch wie ideell bekleckerte sich die Branche damals mit allem, außer Ruhm. Währenddessen flammte mit dem Aufkommen des Fernsehens der Niedergang der Industrie bereits am aufgemalten Horizont auf. Ausgerechnet dieses schwierige Jahr haben sich die Coen-Brüder ausgesucht, um ihre Hommage an das klassische Hollywood-Kino zu drehen. Denn Hail, Caesar! ist in seinem ganzen Unernst eine umwerfende Liebeserklärung.

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Hommage bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Coen-Brüder in Hail Caesar! das Objekt ihrer Bewunderung von seinen offenkundigen Fehlern her aufarbeiten. Entsprechend spielt Josh Brolin den professionellen Problemlöser von Capitol Pictures. Der Katholik Eddie Mannix wird von seinen privaten Sünden fast täglich auf den Beichtstuhl getrieben. Für den Lebensunterhalt kümmert er sich um ungewollte Schwangerschaften von Starlets, Alkoholeskapaden der Leading Men und überraschende Regenfälle an Filmsets in Mexiko. Alles, damit die gut geölte Fabrik im Takt Western, Musicals und Monumentalfilme auf den Markt wirft. Selbst die Entführung seines Stars Baird Whitlock (George Clooney) geht Mannix mit einer auffallenden Ruhe an. Er macht das wohl nicht zum ersten Mal. Zunächst ist Eddie sowieso nur da, um uns in seine Welt einzuführen. Von Studiohalle zu Studiohalle, Film zu Film, Genre zu Genre springt die Handlung, nur um sich gelegentlich daran zu erinnern, dass da doch noch George Clooney irgendwo im Keller liegt. Wer will sich schon beschweren, bilden die gesammelten Hollywood-Vignetten für Liebhaber dieser Epoche ein einziges Sammelsurium an spaßigen Referenzen, wie überhaupt der ganze Film. Christopher Lambert als exzentrischer skandinavischer Regisseur wandert hier durch die Kulissen, Tilda Swinton gibt eine Hedda Hopper-artige Klatschkönigin im Zwillingsformat. Der fiktive Baird Whitlock erzählt dem sehr realen Professor Herbert Marcuse in einer Szene, wie er einmal vor der Wahl stand, Danny Kayes Rücken zu rasieren. Die Coens zelebrieren ihre selbstverliebte Filmnerdigkeit ziemlich scham- und rücksichtslos, was Woody Allens Philosophen-Name-Dropping in Irrational Man in Erinnerung ruft. Das alles noch, bevor sie dazu übergehen, sich über einen Raum voller politisch engagierter Drehbuchautoren lustig zu machen. Dass es nicht bitter aufstößt, wie lächerlich die mit Berufsverbot belegten linken Autoren in ihrem ideologisch verbohrten Zwist dargestellt werden, hat wohl nur einen Grund: In Hail Caesar! wird, wie aus Burn After Reading gewohnt, vom Statisten bis zum Box Office-Goldlöckchen (Channing Tatum) jeder der Lächerlichkeit preisgegeben.

George Clooney in Hail, Caesar

Die affektiert dramatische Erzählerstimme von Michael Gambon begleitet Eddie Mannix durch das Studiogelände, in dem die Coen-Brüder je nach Halle einen anderen Winkel des Goldenenen Zeitalters nachstellen. Als Modus Operandi zieht sich eine nicht gänzlich stimmige Mischung aus detailversessener Nachahmung und derbem Bruch mit dem Pathos durch Hail, Caesar! Vollends einlassen auf die Naivität eines What You See Is What You Get-Unterhaltungskinos wollen sich die Gebrüder Coen offenbar nicht. Channing Tatum darf wie Gene Kelly als Matrose durch eine Bar steppen, der grandios komische Alden Ehrenreich singt wie Kirby Grant bei Mondschein auf einer Ranch und Scarlett Johansson erlebt eine Busby Berkeley-Choreographie aus Die goldene Nixe nach. Doch an jedem Szenenende erweist sich die Verlockung zum referenziellen Kommentar, zur kritischen Distanzierung, zum Meta-Gag als zu groß. Was bei Filmemachern, die einen Rabbi, einen Katholiken, einen Protestanten und einen Orthodoxen höchst amüsant über den Gottesbegriff in einem Monumentalstreifen streiten lassen, nun wenig überrascht.

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Für die Berlinale 2016 stellt sich Hail, Caesar! als idealer Eröffnungsfilm heraus. Denn als einigermaßen surreal lässt sich bereits der Gang über den Potsdamer Platz beschreiben, bei dem Amnesty International-Wagen neben hippem Food Court und [Automarke eurer Wahl]-Lounge stehen. Glänzend polierte schwarze Limousinen laden ihre millionenschweren Gäste vor einem Nobelhotel oder dem Berlinale "Palast" für Pressekonferenz oder Premiere ab. Der Coen-Komödie schließt sich an diesem ersten Festival-Tag parallel zum Trubel auf dem roten Teppich das Screening eines Dokumentarfilms über verschleppte Frauen in Mexiko an. Als auditive Untermalung mag man sich statt Kreissägen und Hupen Interviewschnipsel über den politischen Auftrag des Festivals und deplatzierte Fragen über die Flüchtlingsdebatte  dazudenken. Sofort wird's einem ganz flau im Magen, ob der vielen Widersprüche auf so wenigen Quadratmetern. Die Coen-Brüder entgehen dem Vertigo zwischen christlichen Schuldgefühlen und marxistischer Revolutionsrhetorik durch die Flucht direkt ins blendende Scheinwerferlicht. Der Film im Film und der Film über den Film - sie beide laufen schließlich unter dem Titel Hail, Caesar! Mit Ausrufezeichen. Der Gruß geht an den Imperator, er geht an das sündige Rom und nicht den Zimmermann aus Galiläa. Das Heil geht direkt an den frivolen Zirkus Hollywood.

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