Ballerina schickt Ana de Armas aktuell als tödliche Tänzerin in die Welt von John Wick. Als Fan von Keanu Reeves' kämpfender Killermaschine war ich zunächst unschlüssig, ob der Kinoabstecher sich lohnen würde, wenn der Protagonist der Reihe nur für einen Gastauftritt vorbeischaut. Dass der Action-Ausflug sich am Ende doch als Mordsspaß auszahlt, verdankt Ballerina seinem Abstecher in ein Dorf voller Killer: in die österreichische Ortschaft Hallstatt.
Erst in Österreich findet die Ballerina-Action zu wahrer John Wick-Größe
Unbekannte Assassinen ermorden den Vater der kleinen Eve, woraufhin das Mädchen bei den Ruska Roma, also in der Tanz- und Killer-Akademie von Anjelica Hustons Direktorin, aufwächst. Als Erwachsene (Ana de Armas) begibt Eve sich auf einen Rachefeldzug, der sie auf die Spur der damaligen Mörder ihrer Familie führt.
Die Handlung von Ballerina bleibt von Anfang an überschaubar. Das war bei John "Hunderächer" Wick nicht anders. Es bedeutet aber auch, dass der Film seine Existenz auf anderer Ebene rechtfertigen muss: eben wie John Wick, mit herausragend inszenierter, einfallsreich kreativer oder besonders brutaler Action. Was ihm nach anfänglichen Zweifeln in der zweiten Hälfte des Films zum Glück gelingt, wenn die Tanzschuhe gegen Handgranaten eingetauscht werden.
Zunächst fühlt sich Ballerina wie ein neuer Aufguss von Elektra oder all den anderen Filmen an, in denen ein Mädchen den Tod der eigenen Familie überlebt und daraufhin selbst zur Killerin mutiert. Sogar wenn Eve im New Yorker Continental-Hotel Charon (Lance Reddick), Winston (Ian McShane) und schließlich sogar John Wick (Keanu Reeves) über den Weg läuft, wirkt das eher wie der allzu bemühte Versuch, Ana de Armas irgendwie in die beliebte Action-Reihe zu pressen. (Zumal ihre Rolle in John Wick: Kapitel 3 kurz von Schauspielerin Unity Phelan verkörpert worden war.)
Bis Eve nach Prag kommt, ist die Action okay, aber nichts, was ins Langzeitgedächtnis gehört. Erst wenn sie ins verschneite Hallstatt in Österreich einzieht, findet Ballerina schließlich zu einer kämpferischen Identität, die sich würdig in den Höhenflug von John Wicks Handgreiflichkeiten einfügt.
Hallo in Hallstatt: Dank Killer-Kult kämpft die Ballerina mit John Wicks harten Bandagen
Wer Ballerina im englischen Original schaut, dürfte sich schon früh darüber wundern, dass einige Gegner im Hintergrund gelegentlich ein deutsches Wort fallen lassen. Erst wenn Eve nach Hallstatt reist, was als Ortschaft südöstlich von Salzburg wirklich existiert, ergibt die unerklärte Sprache der Bösewicht-Fraktion allerdings Sinn: Die malerische Wintermärchenkulisse am See ist ein österreichisches Dorf voller Mörder.
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Von der ersten Barfrau bis zum "Kanzler" (Gabriel Byrne), von der Mutter über den schrankgroßen Handlanger bis zu den Schulkindern mit Zielscheiben im Hinterhof, wird Hallstatt ausschließlich von Killern bewohnt. Ein ganzer Ort als Sektenhauptquartier, wo jeder Eve die Stirn bieten kann und will, sobald die Lautsprecher-Durchsage dazu auffordert. Kurz meldet sich in meinem Kopf die genervte Stimme, dass der Film wieder mal das internationale Klischee der deutschsprachigen Schurken bedient. Aber das ist schnell vergessen, wenn diese Österreicher so formvollendet beginnen, auf die Ballerina einzudreschen.
Im Vorfeld gab es Gerüchte, dass Ballerina massiv überarbeitet wurde. Um den Ruf der Action-Reihe nicht zu trüben, soll John Wick-Papa Chad Stahelski für zwei bis drei Monate an Nachdrehs an Bord gekommen sein, um (ohne Regisseur Len Wiseman) den Film zu retten. Sogar der Kinostart wurde um ein Jahr verschoben. Stahelski und Wiseman dementierten das zuletzt gegenüber dem Hollywood Reporter und sprachen lediglich von zwei Wochen zusätzlicher Dreharbeiten. Wo immer die Wahrheit liegt: Fest steht, dass Ballerina erst im letzten Drittel enorm an Fahrt aufnimmt – wodurch der Film zu wahrer Größe findet.
Teller, Schlittschuhe und Flammenwerfer: Ballerina fackelt am Ende ein grandioses Action-Inferno ab
Das verschneite Hallstatt hat, anders als manch deutscher Marvel-Flughafen, als Kampfschauplatz unzweifelhaft Charakter – auch wenn natürlich nicht alles tatsächlich vor Ort gefilmt wurde. Aber wenn in geschnitzten Schankstuben die Teller fliegen und im Duell "Eve vs. Bardame" die zwei sich das Porzellan splitternd wieder und wieder um die Ohren hauen, entschlüpft mir im dunklen Kinosaal vor Freude ein ungläubiges Juchzen. Was einem John Wick in Teil 3 die zu Mordwaffen umfunktionierten Bibliotheksbücher waren, ist einer Eve Macarro ihr Essgeschirr.
Kurz darauf greift die Ballerina bei einem neuen Gegner zu einem Paar Schlittschuhe, um – passend zum weißen Urlaubsambiente – mit scharfen Kufen die Albträume aller Wintersportler wahrzumachen. Matthew Vaughns Action-Farce Argylle hätte sich bei seinem lächerlichen Eislauf-Gemetzel letztes Jahr hier gern etwas abschauen können.
Was passiert, wenn man als Waffen nur einen schier unerschöpflichen Vorrat an Granaten zur Hand hat, beweist Eve anschließend bei Durchmarsch durch Heimatstuben und Hinterzimmer, in der Löcher in Wände wie Körper gleichermaßen gesprengt werden. Rabiat, effektiv und unerhört unterhaltsam.
Infernale Freude lässt der Film schließlich aufkommen, wenn die Heldin zum Flammenwerfer greift. Wer glaubt, im Trailer mit dem Harry-Potter-gegen-Voldemort ähnlichen Duell von Wasser gegen Feuer schon alles gesehen zu haben, irrt: Die titelgebende Ballerina entfesselt mitleidlos Feuersbrünste und fackelt einen Feind nach dem nächsten ab, sodass man die Kinnlade für fünf Minuten gleich unten lassen kann.
In Hallstatt folgt Schlag auf Schlag und Actionsequenz auf Actionsequenz. Mit diesen erstklassigen Kämpfen kann Ballerina endlich richtig strahlen. Keanu Reeves' John Wick hält sich dabei, größtenteils als Beobachter, angenehm im Hintergrund. Sein zweifacher Auftritt mag am Ende größer ausfallen als erwartet. Aber er kommt nicht, um Ana de Armas ihren Film zu klauen. Und das ist gut so. Denn an diesem Punkt braucht Ballerina ihn gar nicht mehr als "Retter" – oder als Argument, sich den Film anzuschauen.
Im Kampf gegen den absurden österreichischen Kult, der eng mit Eves eigener Vergangenheit verknüpft ist, wird Ana de Armas' Ballerina selbst Kult-würdig. Am Ende erblüht das Spin-off in den Alpen doch noch zu einem Kapitel, das kein Fan der grandios choreografierten John Wick-Eskapaden auslassen sollte. Die Leinwand erbebt, brennt und zittert. Das Adrenalin verebbt beim Abspann erst langsam wieder. So soll Action-Kino sein.