1985 - Frischer Wind fegt durch die Anime-Welt

27.08.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Totoro
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Hochwertige Animationsfilme müssen nicht zwangsläufig aus dem Hause Pixar stammen. Markante Momente widmet sich heute der charmanten Version aus Fernost: Studio Ghibli.

Ich erinnere mich noch lebhaft an Zeiten, in denen ich nach der Schule mit meinen Freunden in einer Wahnsinns Geschwindigkeit nach Hause gerannt bin, um ja die neuste Folge von Pokémon nicht zu verpassen. Und wenn es nicht die knuddeligen Kampfmaschinen waren, dann eben die weltenrettende Amazone Sailor Moon, der oberschlaue Detective Conan oder die gerissenen Kartenspieler von Yu-Gi-Oh!. Die großäugigen Animefiguren aus dem fernen Land der aufgehenden Sonne haben meine Kindheit ohne Frage geprägt. Richtig interessant wurde es dann aber erst, als mir dämmerte, dass jenseits des eigenen Horizontes noch ganz andere Werke entdeckt werden wollten. Und so kam ich auf das japanische Studio Ghibli.

Klauen bei Schneewittchen
Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts experimentierten Kreative in der ganzen Welt mit neuartigen Animationstechniken, und auch in Japan erschien 1917 ein erster animierter Kurzfilm. Zwei Minuten lang zeigte er einen Samurai, der sein neues Schwert ausprobierte. Das Genre erfreute sich während der dreißiger Jahre steigender Beliebtheit, etablierte sich schnell als alternative Erzählweise, und 1944 erschien finanziert von der japanischen Marine der erste Langfilm namens Momotaros Divine Sea Warriors.

Als Schneewittchen und die sieben Zwerge den internationalen Durchbruch für die Walt Disney Company brachte, waren die Japaner aufmerksam geworden und hatten sich einige Animationstechniken abgeschaut und weiterentwickelt, um die eigenen Kosten zu senken und die Produktion zu vereinfachen. Kein Wunder also, dass mit den immer populärer werdenden Mangas auch die Animes in der Kinolandschaft immer präsenter wurden. So richtig im Mainstream landeten sie aber erst in den achtziger Jahren.

Eine frischer Wind in der Anime-Welt
Mit der sogenannten Insektenprinzessin wehte 1984 ein frischer Wind durch die japanische Animationswelt. Nausicaä – Prinzessin aus dem Tal der Winde von Hayao Miyazaki erzählte von einer Königstochter, die ihr Reich gegen alle erdenklichen Feinde einer postapokalyptischen Zukunft verteidigt. Die Verfilmung des gleichnamigen Manga war in Japan so erfolgreich, dass ein Jahr darauf die Produktionsfirma Tokuma Shoten das Animationsstudio Ghibli gründete.

Die Metapher vom frischen Wind behielt Gründer Hayao Miyazaki gleich bei, genau den wollte er schließlich in die Anime-Industrie bringen. In seinem prall gefüllten Terminkalender eines Regisseurs, Produzenten, Firmengründer, Zeichner, Grafiker, Drehbuchautor und Mangaka (ja, all das in einer Person) hatte es immer einen Platz für sein Interesse an der Luftfahrt gegeben. Da lag es nahe, das eigene Studio nach der Bezeichnung für den heißen Sahara-Wüstenwind und italienische Flugzeuge aus dem Zweiten Weltkrieg zu benennen.

Eine japanische Erfolgsgeschichte
Das Studio Ghibli war geboren, nun mussten sich nur noch die Erfolge einstellen. Und die ließen nicht lange auf sich warten. Ob die Abenteuer in Das Schloss im Himmel, das Antikriegsdrama Die letzten Glühwürmchen oder die Fantasiewesen aus Mein Nachbar Totoro – die liebevoll und detailreich gezeichneten Figuren aus den Ghibli-Filmen begeisterten nicht nur Kinder und Anime-Liebhaber, sondern auch Kritiker und Cinephile außerhalb des Fernen Ostens. Besonders der knuddelige Kinderfreund Totoro wurde zu einer Ikone des Studios und deine Silhouette ziert bis heute das Firmenlogo.

Aber was ist es, das die Filme von Studio Ghibli so von anderen Animes unterscheidet? Vielleicht der noch immer verhältnismäßig sparsame Gebrauch von Computeranimation. Den sieht Hayao Miyazaki nämlich skeptisch: „Wieso brauchen wir Computer, um etwas zu tun, das auch Hände können?“ So erklärt es sich, dass im Studio noch immer Techniken wie das Abfotografieren handgezeichneter Folien zum Einsatz kommen, wenn auch nicht ausschließlich.

Der Qualität der Filme tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil, sie sind sogar überaus erfolgreich: Chihiros Reise ins Zauberland erhielt nicht nur einen Goldenen Bären auf der Berlinale 2002, sondern auch den Oscar als Bester Animationsfilm und ist somit der am meisten ausgezeichnete Zeichentrickfilm aller Zeiten. Auch Das wandelnde Schloss ereilte einige Jahre später eine Nominierung. Viele Filme aus dem Hause Ghibli haben schon lange Kultstatus erreicht. Und mir haben sie eine Anime-Welt eröffnet, die über Pokémon und Konsorten hinausgeht.

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1985 bewegte:

Drei Filmleute, die geboren sind
26. März 1985 – Keira Knightley, die Piratenbraut aus Fluch der Karibik
28. Mai 1985 – Carey Mulligan, verführte Minderjährige aus An Education
03. Dezember 1985 – Amanda Seyfried, Kind auf Vatersuche in Mamma Mia!

Drei Filmleute, die gestorben sind
16. Mai 1985 – Margaret Hamilton, die böse Hexe aus Der Zauberer von Oz
02. Oktober 1985 – Rock Hudson, der schöne Gärtner aus Was der Himmel erlaubt
10. Oktober 1985 – Orson Welles, gefeierter Regisseur von Citizen Kane

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscars – Amadeus von Milos Forman (Bester Film, Hauptdarsteller, Regisseur)
Goldene Palme – Papa ist auf Dienstreise von Emir Kusturica
Los Angeles Film Critics Association Awards – Brazil von Terry Gilliam

Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
Zurück in die Zukunft von Robert Zemeckis
Rambo II – Der Auftrag von George P. Cosmatos
Rocky IV – Der Kampf des Jahrhunderts von Sylvester Stallone

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
01. September 1985 – Jean-Louis Michel und Robert Ballard entdecken das Wrack der Titanic
07. Oktober 1985 – das Passagierschiff Achille Lauro wird von palästinensischen Terroristen entführt
09. November 1985 – Garri Kasparow wird der jüngste Weltmeister der Schachgeschichte

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