1979 - And the Oscar goes to... Oskar!

04.06.2012 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Oscar kriegt 'nen Oscar
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Oscar kriegt 'nen Oscar
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Jedes Jahr aufs Neue stöhnen Filmfans auf der ganzen Welt über die seltsamen Entscheidungen der Academy. Und trotzdem sind und bleiben die Oscar-Verleihungen ein Riesenspektakel. Im Jahr 1979 war Deutschland das erste Mal dran.

Damals im Deutschunterricht war das immer so eine Sache. Zum Soundsovielten sollten wir den einen oder anderen Roman gelesen haben und wenn es dann tatsächlich soweit war, hatten ungefähr zwei Drittel der Klasse nur die Zusammenfassung aus dem Internet ausgedruckt oder die Verfilmung gesehen. Nun, in diesem Fall hätten sie damit zumindest einen sehenswerten Film geschaut.

Ein schwacher Trost
So eine Sache ist das auch mit den Oscarverleihungen. Tausende Filme werden jährlich überall auf der Welt produziert: Langspielfilme, Kurzfilme, Dokumentationen und Animationsfilme, avantgardistische Experimentalfilme, die Auswahl ist groß. Die wohl bekannteste Auszeichnung, der Academy Award, wird trotzdem fast ausschließlich an Werke aus dem Hause Hollywood verliehen. Immerhin gibt es aber noch die Kategorie ‚Bester fremdsprachiger Film‘. Ein schwacher Trost, angesichts der ausgesprochen großen Vielfalt an Produktionen, aber uns fragt ja keiner.

1980 war es dann schließlich soweit: Der ausgezeichnete Film war nicht französischsprachig, er war nicht schwedisch und auch nicht japanisch, er war deutschsprachig. Volker Schlöndorff hatte sich an einen dicken Schmöker gewagt, der nicht nur seinem Verfasser, Günter Grass, den Literaturnobelpreis einbringen sollte, sondern der auch mit aller möglichen Symbolik und historischem Ballast aufgeladen war.

Ein ganz besonderer kleiner Junge
Die Blechtrommel erzählt die Geschichte des kleinen Oskar Matzerath. Gespielt von David Bennent, stürzt er sich von einer Kellertreppe, um sein Wachstum zu beenden, bringt mit seiner Stimme die Brillengläser seiner Lehrerin zum Zerspringen und trommelt unablässig auf seiner weiß-roten Blechtrommel, mit der er sogar die Aufmärsche der Nazis aus dem Takt bringt. Diejenigen von euch, die damals im Deutschunterricht doch das ganze Buch gelesen haben, erinnern sich vielleicht noch: Es ist ein ziemlich dicker Wälzer.

Um den Erzählfluss in Gang zu halten, setzte Volker Schlöndorff den Rotstift an und ersparte sich diverse Rückblenden und Zeitsprünge. Oscars vielschichtiger Charakter litt darunter, etwas gruselig blieb der kleine Junge trotzdem. Außerdem hatte der Regisseur nun die nötige Zeit, sein Werk mit symbolträchtigen Szenen vollzupfropfen. Oskar führt ein ausgedehntes Zwiegespräch mit einer Christusfigur, die unkonventionelle Angelmethode mit dem Pferdekopf traumatisiert seine Mutter gewaltig und sein Vater, gespielt von Mario Adorf, schluckt ein NS-Parteiabzeichen.

Brausepulver wird zum Politikum
Noch eine Sequenz blieb den Zuschauern im Gedächtnis und sorgte 1997 sogar für eine ausgewachsene Kontroverse: die Brausepulverszene. Oskar und Maria, verkörpert von der jungen Katharina Thalbach, ziehen sich in einer Umkleidekabine am Strand zum Schwimmen um und entdecken die spielerischen Vorzüge von prickelndem Brausepulver, das sich nicht nur aus der Tüte essen, sondern auch aus Händen und Bauchnabeln lecken lässt.

Ein Richter aus Oklahoma in den USA nahm Anstoß daran und klagte gegen Die Blechtrommel unter dem Vorwurf von Kinderpornographie. Ein Verbot des Films konnte in letzter Instanz aufgehoben werden. Das Material sei „nicht vorwiegend auf Erregung sexueller Gelüste ausgerichtet“ und außerdem ein „echtes Kunstwerk“, so lautete die Begründung. Lassen wir die filmanalytisch wohl eher zweifelhaften Methoden der Rechtsexperten einmal außer Acht – die Cineasten von Ontario in Kanada hatten jedenfalls weniger Glück. „Darstellung minderjähriger Sexualität“ lautete das Urteil und so wurde Die Blechtrommel dort verboten.

Filme mit historischem Ballast
Die meisten Zuschauer ließen sich von der aufwändigen Bestseller-Verfilmung von Volker Schlöndorff aber begeistern. Neben dem Oscar für den ‚Besten fremdsprachigen Film‘ erhielt er so auch noch die Goldene Palme beim Festival in Cannes. In Hollywood war aber nach Die Blechtrommel noch lange nicht Schluss mit der deutschen Präsenz. Zugegeben, nach langer Pause schaffte es wieder eine Romanverfilmung (diesmal nach Stefanie Zweig), den hochdotierten Preis abzusahnen: nirgendwo-in-afrika-2 von Caroline Link erzählte die Geschichte einer jüdischen Familie, die sich in das kenianische Dorf Mukutani flüchtet.

Und noch ein drittes deutsches Werk gewann nur vier Jahre später: Das Langfilmdebüt Das Leben der Anderen von Florian Henckel von Donnersmarck, in dem der Schauspieler Ulrich Mühe eine Glanzleistung zeigte. Deutsche Gewinnerfilme scheinen geradezu prädestiniert für eine Menge historischen Ballasts zu sein. Bevor euch das alles zu viel wird, schaut vielleicht doch noch mal in Die Blechtrommel. Also, ich meine das Buch.

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1979 bewegte:

Drei Filmleute, die geboren sind
27. Januar 1979 – Rosamund Pike, Bondgirl aus James Bond 007 – Stirb an einem anderen Tag
04. April 1979 – Heath Ledger, der Joker aus The Dark Knight
19. April 1979 – Kate Hudson, Blondine aus Wie werde ich ihn los – in 10 Tagen?

Drei Filmleute, die gestorben sind
12. Februar 1979 – Jean Renoir, französischer Regisseur von Die große Illusion
11. Juni 1979 – John Wayne, Westernheld aus Filmen wie Der schwarze Falke
08. September 1979 – Jean Seberg, die Amerikanerin aus Außer Atem

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscar – Kramer gegen Kramer von Robert Benton (Bester Film, Bester Regisseur,…)
Goldene Palme – Apocalypse Now von Francis Ford Coppola
National Board of Review – Manhattan von Woody Allen

Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
Kramer gegen Kramer von Robert Benton
Amityville Horror von Stuart Rosenberg
Rocky II von Sylvester Stallone

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
07. Januar 1979 – die vietnamesische Armee beendet die Herrschaft der Roten Khmer
28. März 1979 – partielle Kernschmelze im Kernkraftwerk bei Harrisburg, Pennsylvania
04. Mai 1979 – Margaret Thatcher wird britische Premierministerin

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