1967 - Wir hau'n die Spießbürger in die Pfanne!

05.11.2012 - 08:50 UhrVor 11 Jahren aktualisiert
Die Lümmel von der ersten Bank
Constantin Film
Die Lümmel von der ersten Bank
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Ob ihr sie nun als seichten Klamauk oder hintergründige Satire verstehen wollt – Die Lümmel von der ersten Bank begeistern noch heute Generationen von deutschen Filmliebhabern. Pepe Nietnagel haut die Pauker in die Pfanne!

In welchem Jahrzehnt hättet ihr gern gelebt? Vielleicht in den Swinging Sixties, wie es der Film BlowUp – Ekstaze ’67 so schön illustriert? Mit rebellierenden Studenten, spindeldürren Models in bonbonfarbenen Strumpfhosen, mit der Musik der Beatles und der Rolling Stones auf den Ohren? Nun, vielleicht solltet ihr zu eurem Wunschjahrzehnt unter keinen Umständen die Ortsangabe vergessen. Sonst könntet ihr euch auch gewaltig ins Knie schießen und im spießbürgerlichen Deutschland der Sechziger Jahre landen.

Die Lausbuben kommen in die Schule
Früher war alles besser? Von wegen! Das deutsche Schulsystem war auch in den Sechzigern nicht unbedingt das Gelbe vom Ei, davon nahm sich das Mommsen-Gymnasium in Baden-Baden nicht aus. Am 30. Oktober 1967 begannen in Hamburg die Dreharbeiten zu einem Film, der die Schüler der Bundesrepublik begeisterte, Eltern und Lehrer beunruhigte, die Kirche entsetzte und einen Großteil der Kritiker die Hände über den Köpfen zusammenschlagen ließ.

Die beliebten Lausbubengeschichten hatten sich nach fünf Verfilmungen totgelaufen und die Produzenten wollten Streifen ähnlichen Kalibers ins Schulmilieu verlegen. Was eignete sich da besser zur Vorlage als die Buchreihe des Deutschlehrers Herbert Rösler, die mit subtilen Titeln wie Zur Hölle mit den Paukern oder Die mittlere Unreife schon viel über den Stil der nachfolgenden Umsetzungen verraten sollte?

Eine Lektion im Fremdschämen
Der Erfolg der letztlich sieben Filme umfassenden Reihe Die Lümmel von der ersten Bank hing nicht zuletzt mit ihrem stattlichen Schauspielerensemble zusammen. Hans Kraus in der Rolle des gewitzten Pepe Nietnagel war schon aus den Lausbubengeschichten bekannt, den ewig gestrigen Direx Taft gab das Schauspielurgestein Theo Lingen, das schon Jahrzehnte zuvor in M – Eine Stadt sucht einen Mörder dem pfeifenden Peter Lorre an den Fersen gehangen hatte.

In den oft wechselnden Lehrerrollen gaben sich Harald Juhnke und Hans Korte die Klinke in die Hand, und die damaligen Jungschauspielerinnen Uschi Glas und Hannelore Elsner sorgten für den nötigen Schauwert. Und dann gab es da noch die musikalischen Gastauftritte – nix mit Swinging Sixties. In Deutschland stand das Massenpublikum dann doch eher auf die Schlager von Peter Alexander und Heintje Simons, die in regelmäßigen Abständen ihre neusten Hits trällern durften. Gerade in Anbetracht des wirklich unterirdischen Soundtracks der Lümmelfilme, ist wohl auch eine gewisse Affinität zum Fremdschämen bei der Sichtung angebracht.

„Man fasst es nicht!“
Das Herzstück von Filmen à la Zum Teufel mit der Penne und Wir hau’n die Pauker in die Pfanne! bildeten natürlich die Streiche, die die Klasse 10a dem Lehrkörper angedeihen ließ. Sie trennten der gewissenhaften Dr. Pollhagen das Häkelkleid auf, sabotierten den Schulalltag mithilfe des neu installierten Fliegeralarms, verteilten in Juckpulver getunktes Klopapier auf den Lehrertoiletten und sprangen vorgeblich aus dem Fenster, um den armen Oberstudienrat Dr. Knörz(erich) zu verwirren.

Zugegeben – der Humor der Lümmelfilme ist weniger von kunstvoller Subtilität als von krachendem Anarchismus. „Anspruchslos in Inhalt und Gestaltung; Auftakt einer Folge von derb-geschmacklosem Klamauk, der in den späten 60er und frühen 70er Jahren zu einem großen Publikumserfolg wurde“, urteilte zum Beispiel das Lexikon des Internationalen Films.

Die Subversion des Pepe Nietnagel
Wer gewillt ist, kann zwischen den Zeilen der leichten Unterhaltung aber auch so etwas wie die zahmen Vorzeichen der aufkeimenden Studentenrevolte und der sexuellen Revolution herauslesen. Nicht umsonst lässt Pepe Nietnagel in der Einleitung des ersten Filmes das Publikum wissen, es müsse „endlich einmal einer hinter die Kulissen leuchten, damit die Menschheit erfährt, wie es in Wirklichkeit zugeht und was die Pauker für Figuren sind.“ Schließlich gehörten die ja noch zur Generation, die „zum Beispiel Adolf Hitler gewählt haben“.

Nicht selten springen in den Lümmelfilmen dralle Schülerinnen in Unterwäsche vor der Nase der Erwachsenen herum und sogar eine Massenorgie inszeniert die Klasse zum Entsetzen der spießbürgerlichen Lehrerschaft. Pepe und seine Getreuen sind sich für keine Provokation zu schade. Und, wie sieht’s aus? Ihr in der Bundesrepublik der 60er Jahre? Ihr könnt euch das ja nochmal überlegen.

Was die Menschheit sonst noch im (Film)Jahr 1967 bewegte:
Drei Filmleute, die geboren sind
20. Juni 1967 – Nicole Kidman, untreue Ehefrau aus Eyes Wide Shut
23. Juli 1967 – Philip Seymour Hoffman, Dickies Freund aus Der talentierte Mr. Ripley
28. Oktober 1967 – Julia Roberts, modernes Aschenputtel aus Pretty Woman

Drei Filmleute, die gestorben sind
29. Mai 1967 – Georg Wilhelm Pabst, Regisseur von Die Büchse der Pandora
26. Juni 1967 – Françoise Dorléac, die ehemalige Prostituierte aus Wenn Katelbach kommt
07. Juli 1967 – Vivien Leigh, Scarlett O’Hara aus Vom Winde verweht

Die großen Festival- und Award-Sieger waren unter anderem
Oscars – Ein Mann zu jeder Jahreszeit von Fred Zinnemann (Bester Film, Regisseur, Hauptdarsteller)
Goldene Palme – BlowUp – Ekstaze ’67 von Michelangelo Antonioni
Goldener Löwe – Belle de jour – Schöne des Tages von Luis Buñuel

Die drei kommerziell erfolgreichsten Filme
Die Reifeprüfung von Mike Nichols
Das Dschungelbuch von Wolfgang Reitherman
Rat mal, wer zum Essen kommt von Stanley Kramer

Drei wichtige Ereignisse der Nicht-Filmwelt
02. Juni 1967 – Benno Ohnesorg wird während einer Demonstration von einem Polizisten erschossen
05. Juni bis 10. Juni 1967 – Sechstagekrieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn
09. Oktober 1967 – Ernesto ‘Che’ Guevara wird von der bolivianischen Armee erschossen


Katrin Doerksen hat es zum Filmwissenschaftsstudium nach Mainz verschlagen. Dort sitzt sie nun also und wenn sie nicht studiert, schreibt sie trotzdem über die Geschichte des Films, und zwar in der Rubrik Markante Momente bei moviepilot. Über Themenwünsche, Anregungen oder Kritik freut sie sich immer. Wer wissen will, womit sie sich nebenbei noch beschäftigt, folge ihr bei facebook oder bei Twitter.

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