The Wire - "All in the game"

17.01.2012 - 08:50 Uhr
The Wire
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Heute geht es bei Mein Herz für Serie um das 60-stündige Baltimore-Epos The Wire. Erfinder und Autor David Simon hat mit diesem magnus opus nicht nur ein erzählerisches Meisterwerk geschaffen, sondern auch Sehgewohnheiten verändert.

Ich muss zugeben, ich habe für einige Zeit fast gar keine Fernsehserien mehr geschaut. Als es mit meiner Filmleidenschaft so richtig los ging, hatte ich lange nur verächtliche Blicke für das Medium Fernsehen und seine Oberflächlichkeiten übrig. Zeit verschwenden mit irgendwelchen Krankenhaus-Lovestorys oder übertriebenen Polizeiserien, die immer nach dem gleichen Schema ablaufen? Niemals! Das war mir zu angepasst, zu langweilig, zu redundant. Doch dann kam die Serie, durch die sich meine Einstellung um 180° gedreht und aus mir einen wahren Serienjunkie gemacht hat – The Wire.

The Wire ist eine amerikanische Fernsehserie, die in den Jahren 2002 bis 2008 im US Bezahlsender HBO lief. Staffel 1 und 2 sind mittlerweile auch hierzulande auf DVD zu bekommen. Erfinder und Showrunner war der ehemalige Journalist und Sachbuchautor David Simon (Homicide, Generation Kill, Treme ). Und dass die Macher nicht aus dem typischen Fernseh- oder Hollywoodumfeld kommen, merkt der Zuschauer The Wire definitiv an. Handlungsort ist die ehemalige Industriestadt Baltimore im Nordosten der USA. Allein die Wahl des Schauplatzes fand ich bereits erfrischend. Mal was anderes, als kalifornische Strände oder die Häuserschluchten New Yorks. Aber was ich nicht geahnt habe: Nicht nur in diesem Punkt betrat The Wire radikal neue Wege, was die Verwendung des Serienformats im Fernsehen anging.

Klassische Polizeiserie oder soziologische Untersuchung?
Auf den ersten Blick mag The Wire lediglich wie eine weitere 08/15 Cop-Show wirken, die es im Fernsehen ja massenhaft zu sehen gibt. Polizisten des Baltimore Police Department versuchen, mit Hilfe moderner Abhörtechnik die Drogenbarone der Stadt dingfest zu machen. Dies ist auch dringend notwendig, denn die Straßenecken werden kontrolliert von jungen Dealern, den Fußsoldaten mächtiger Organisationen im Hintergrund. Schießereien und Morde sind in einer der gefährlichsten amerikanischen Städte an der Tagesordnung.

Natürlich steckt allein in dieser Prämisse bereits einiges an dramatischem Potenzial. Doch Staffel für Staffel erweitert sich der Fokus der Serie und zusätzliche Strukturen und Institutionen der Stadt werden erforscht. Dreht sich in der ersten Staffel noch alles um die Auseinandersetzung zwischen Polizei und Dealern, also dem nicht enden wollenden Krieg gegen den Drogenhandel, schwenkt der Blick in Staffel 2 auf den Hafen Baltimores und stellt dessen Verfall und die damit einher gehenden Probleme der dortigen Arbeiter ins Zentrum der Geschichte. Staffel 3 bringt eine konkrete politische Dimension mit ins Spiel, indem der Wahlkampf um das Amt des Bürgermeister näher beleuchtet wird. Die 4. Staffel nimmt das marode amerikanische Schulsystem unter die Lupe. Und Staffel 5 bringt schließlich die Medien und den Verfall des klassischen Printjournalismus mit ins Spiel.

Das beeindruckende an The Wire ist, dass die Macher es schaffen, aus all diesen Themen eine übergreifende Story zu entwickeln, die zwar extrem komplex ist, den Zuschauer für seine Aufmerksamkeit aber letztendlich in einem Maße belohnt, wie es wohl kaum eine Serie zuvor zu leisten vermochte. Und dafür ist, neben dem beschriebenen Inhalt der Geschichte, vor allem die besondere Machart der Serie verantwortlich.

„All the pieces matter“
The Wire verlangt nicht wenig von seinen Zuschauern. Zum einen präsentiert die Serie dem Publikum keinen einzelnen Protagonisten, mit dem es sich von Beginn an zu identifizieren oder mitzufiebern hat. Die gesamte Story besteht stattdessen aus zahlreichen miteinander verwobenen Einzelschicksalen der verschiedensten Figuren aus den genannten Umfeldern. Und egal ob Straßenjunge oder Drogenboss, Arbeiter oder Gewerkschaftsvorsitzender, Streifenpolizist oder Polizeichef: Es wird versucht, allen Figuren eine ähnliche Tiefe zu verleihen. Somit schweift der Blick der Serie nicht nur horizontal über die Stadt Baltimore, sondern bewegt sich auch vertikal durch die verschiedenen Bereiche ihrer Institutionen. Als Folge könnte es durchaus passieren, dass zwanzig Fans der Serie auch zwanzig verschiedene Lieblingsfiguren haben. An ikonischen Charakteren mangelt es The Wire definitiv nicht. Da gibt es in Form von Jimmy McNulty (Dominic West) den egozentrischen Ermittler mit Hang zur Alkoholsucht, den schwulen Drogenräuber Omar (Michael Kenneth Williams), den intellektuellen Rauschgifthändler Stringer Bell (Idris Elba), den gutherzigen Junkie/Polizeispitzel Bubbles (Andre Royo), und und und… Dabei bekommen sowohl Haupt- wie auch Nebenfiguren ihren eigenen Erzählbogen spendiert.

Ein visueller Roman
Die Liebe zum Detail erkennt wir bei The Wire allerdings nicht nur anhand der ausgefeilten Figuren. Realismus gehört bei David Simons Serien zum Darstellungsprinzip und so wurde The Wire beinahe ausschließlich an Originalschauplätzen und mit der Hilfe zahlreicher Einheimischer in den Nebenrollen verwirklicht. Verstärkt wird der starke Authenzitätseindruck, den die Serie vermittelt, durch die Art und Weise, wie hier mit Sprache umgangen wird. Ohne Rücksicht auf den Zuschauer und ausschließlich den realen Verhältnissen verpflichtet, lassen die Autoren die Figuren Slangwörter und Ausdrücke verwenden, die teilweise nicht einmal das amerikanische Publikum von Beginn an zuordnen konnte. David Simons Motto: „Scheiß auf den durchschnittlichen Zuschauer“, ist hier besonders präsent. Mein Tip: O-Ton und die englischen Untertitel einschalten, dann wisst ihr auch bald was “Hopper”, “Lowrisers” oder “G-Packs” sind.

Wer sich also nicht vorwerfen lassen will, zum Durchschnitt zu gehören und die Herausforderung annimmt, wird mit einem Werk epischen Ausmaßes belohnt. The Wire ist weniger eine klassische Fernsehserie, als ein knapp 60-stündiger Film, in den wir, wie in einen fetten Schmöker, vollends eintauchen können. Somit ist The Wire neben den Sopranos definitiv einer der Serien, die die neue Welle des so genannten „Quality TV“ mit ins Rollen gebracht hat und zudem mein Herz für Serien wieder höher hat schlagen lassen.

Was haltet ihr von The Wire?

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