Fargo - Staffel 3, Episode 7: Ein Alter Bekannter schaut vorbei

02.06.2017 - 10:00 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Fargo
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Mr. Wrench ist zurück im Finale der 7. Episode dieser 3. Staffel von Fargo, in der Nikki einfach nicht aus der Bedrängnis entkommt und Emmit langsam aus der Spur fliegt.

Vertraute Trommelrhythmen begleiten die Rückkehr eines alten Bekannten ins Universum von Fargo. Mr. Wrench (Russell Harvard) sitzt da nämlich im Finale von The Law of Inevitability (S03E07) neben Nikki (Mary Elizabeth Winstead) im Gefängnisbus. In der 1. Staffel lernten wir den tauben Auftragskiller kennen, damals als Partner von Mr. Numbers, und in Staffel 2 tauchte er kurz als Junge auf. Vier Jahre nach der Jagd auf Lorne Malvo sitzt Mr. Wrench nun in diesem Bus zum Bundesgefängnis, vielleicht angekettet an die schlecht gelaunte Dame neben ihm, und er wird sogleich in einen Unfall verwickelt. Einen Funken Hoffnung gibt es - für Fargo, für Nikki und für Wrench - dass er zu Beginn der nächsten Episode der Serie noch lebt. Vor diesem sich überschlagenden Finale liegt die Trauer in der Luft von Minnesota. Der überraschende Tod von Ray (Ewan McGregor) treibt Emmit (Ewan McGregor) weiter in Vargas Arme, lässt Sy (Michael Stuhlbarg) vor seiner Frau zusammenbrechen und bringt Nikki in den Knast. Oder soll es zumindest, denn Vargas Killer wollen sie ihrem scheinbar unausweichlichem Schicksal zuführen. Die selbst für Fargo-Verhältnisse überaus düstere Episode stilisiert den Crooked Man Varga zum Horror-Schurken. Schauspielerisch wird woanders aufgetrumpft.

Zwei Pole der Verzerrung von Wahrheit lassen sich in Fargos 3. Staffel ausmachen. An einem Ende steht V.M. Varga (David Thewlis). Er verformt die Realität nach Belieben und kreiert Fakten. Yuri (Goran Bogdan) verkörpert in dieser Folge von Fargo diese Herangehensweise, wenn er dem eingeschüchterten Polizisten Donny in der Stadtbibliothek von Eden Valley ein "Your eyes are lying" zuflüstert, bis dieser daran glauben will und Yuri den Zugriff auf die Akte Emmit Stussy überlässt. Einschüchterung ist seine Methode, geschult an den Propaganda-Methoden des Stalinismus.

Chief Moe Dammick (Shea Whigham) hingegen verfolgt keine infernalischen Ziele (ein Twist in dieser Hinsicht ist natürlich denkbar). Vielmehr steht er - nennen wir ihn den "amerikanischen Pol" - in der Tradition von Unfähigkeit in Führungsetagen, wie sie Bob Odenkirks enervierend träger Polizist in Staffel 1 verkörpert hatte. Moe steht im Mordfall Stussy vor denselben Fakten wie Gloria (Carrie Coon) und zieht die falschen Schlüsse, ebenso im späteren Verhör mit Nikki. Weil es ihm die engen Grenzen seiner Erfahrung gebieten, weil es gemütlicher ist, nicht über den Tellerrand zu blicken. Das eigene Weltbild muss nie erweitert werden, wenn sich alles in vorgegebene Schemata fügt. Eden Valley ist kein Hort des Mordes, nur einer der Zufälle, usw. "Only an intellectual would conclude something so stupid", meint er abschätzig zu Glorias "Verschwörungstheorie". Fast hören wir Noah Hawleys eigene Stimme, der mal wieder zu lang CNN geschaut hat und sich über den grassierenden Anti-Intellektualismus im politischen Diskurs der USA (und anderswo) echauffiert. Genau dieser Impetus scheint eine frustrierende Figur wie Moe Dammik anzutreiben, der der Unterhaltungswert anderer Bewohner Minnesotas abgeht. So bleibt ein Prellbock von einer Figur, die hoffentlich mit den wiederholten Mordanschlägen auf Nikki in dieser Folge einen dauerhaften Sinneswandel erlebt.

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Anderswo präsentiert sich die Erkundung von alternativen Fakten und ihrer Instrumentalisierung in Fargo ergiebiger. Nach dem Tod von Ray (Ewan McGregor) mutiert Emmit (Ewan McGregor) willig zum Sprachrohr von Varga. Beim bärigen Dinner mit der Witwe Goldfarb (Mary McDonnell) spuckt er dessen Parolen aus, als wolle er nachträglich die Schuld am Tod seines Bruders rechtfertigen (und interpretiert Ebenezer Scrooge nebenbei als Opfer der Weihnachtsgeschichte). Gegenüber Polizistin Winnie (Olivia Sandoval) quillt eben diese Schuld aus ihm heraus. "I've been here since 6", lautet seine Antwort auf die Frage nach einem Alibi, die nicht gestellt wurde.

Eine fürs weitere Geschehen vermutlich entscheidende Szene ist denn auch sein Gespräch mit Sy im Auto. Kurz weicht Emmit von seiner eigenen Verschwörungstheorie bzgl. Sy und Ray ab (Was soll hier der Plan gewesen sein, fragt Sy sarkastisch, "to turn millions into thousands?"). Doch das Geheimnis über Rays Tod teilt er mit seinem engsten Vertrauten nicht. Wenn Varga wie ein Horrorschurke am Fenster wacht und er Emmit später mit dem Kinderreim vom Crooked Man beruhigen will, braucht man sich den Schatten Nosferatu-ähnlicher Krallen nur noch dazu denken. Die unheimlich unklaren Schemen des Killers im Polizeirevier haben ebenfalls etwas von einer Horror-Inszenierung. Fein auch der Meta-Bruch mit den Casting-Erwartungen, wenn ausgerechnet Road Tripper DJ Qualls sich als Täter mit der Spritze herausstellt. Der Crooked Man wiederum inspirierte bereits diverse Horrorfilme (unter anderem Conjuring 2). Er mag zudem als Bild dafür gedeutet werden, wie die eigene Weltsicht die Umwelt einordnet und Entscheidungen (ver)formt ("There was a crooked man, and he walked a crooked mile...").

Als sein Freund nach dem Tod des Bruders willig in die Fänge der Bestie zurückkehrt, kann Sy nicht anders, als zusammenbrechen. In Szenen wie dieser trennt sich die schauspielerische Fargo-Spreu vom Weizen. Michael Stuhlbarg spielt, wie andere Fargo-Darsteller auch, eine überzeichnete Figur. Deswegen ist Sy so unterhaltsam, ob er nun auf einem Parkplatz randaliert oder aus einer penetrierten Tasse schlürft. Umso schwieriger gestaltet sich die Gratwanderung in solch einer Szene emotionaler Auflösung. Der zertifizierte Coen-Brüder-Absolvent Stuhlbarg allerdings manövriert virtuos durch die unterschiedlichsten Affekte: lächerlich, erbärmlich, verzweifelt und doch berührend steht Sy da neben seiner Frau, die nicht den Hauch einer Ahnung hat, was los ist. Hier scheint mir Stuhlbarg auch souveräner im Spiel als beispielsweise Ewan McGregor beim eben überzeichnet wirkenden Zusammenbruch über den toten Ray.

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Nach sieben Folgen von Staffel 3 ist Sy in seiner vielschichtigen Einschichtigkeit einer der besten Neuzugänge im Fargo-Universum. Demgegenüber steht bzw. sitzt Nikki in einer anderen toll gespielten Szene dieser Episode, als sie vom Tod Rays erfährt. Mary Elizabeth Winstead bleibt ihrerseits der Zusammenbruch erspart. Während Shea Wighams Chief der Verdächtigen Nikki seine Theorie häuslicher Gewalt unterzujubeln versucht (auch eine Methode, den eigenen Job zu erleichtern), können wir ihr beim Denken zusehen. Dazu gibt es im fabulierfreudigen Minnesota ja nur selten Gelegenheit. In den fliehenden Augen von Mary Elizabeth Winstead eröffnet sich eine eigene kleine Welt, die uns die Tragweite ihrer Beziehung zu Ray erahnen lässt: die Chancen, die Träume, die Liebe. Für ein paar Sekunden erzählen die Autoren von Fargo am meisten, in dem sie gar nichts erzählen.

Zitat der Folge: "The world, the world is wrong.... It looks like my world, but everything is different."

Anmerkungen am Rande:

  • Fargos Russisch-Lehrstunde der Woche: безумец (bezumets) bedeutet so viel wie Tollkopf, Wahnsinniger.
  • "Follow the Money."
  • "I'm not talking about certainty, I'm talking about doubt."
  • Was hat Nikki auf dem Tatort-Bild erkannt? Liegt da irgendwas unter der Kommode?
  • Hängt Witwe Goldfarb mit Varga zusammen oder werden Emmit oder Sy die beiden gegeneinander ausspielen, um ihren Hals aus der Schlinge zu ziehen?
  • "How do you feel?" - "Free."
  • Nikki isst am liebsten Kokoscreme-Kuchen mit Schokoflocken oben drauf
  • Nikkis Fluchtversuch im Motel ist geringfügig weniger erbärmlich als der von Jerry in  Fargo.


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