Fargo - Staffel 3, Episode 4: Fake News in Minnesota

12.05.2017 - 08:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
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Fargo taucht in der 4. Folge der 3. Staffel in die Russian Connection ab und zeigt sich mit seiner Abhandlung über die zwei Arten der Wahrheit brandaktuell.

Billy Bob Thornton begrüßt uns als Erzähler in der 4. Folge der 3. Staffel von Fargo und was für eine Fabel er für uns hat! Abgesehen vom hirnlosen Schädel einer Leiche dominieren Monologe, Gespräche und Detektivarbeit, doch gleichzeitig können wir zusehen, wie sich ein böser Wolf Biss für Biss sein allesahnendes Opfer schnappt. Das Brüderpaar Emmit und Ray Stussy bildet dabei zunehmend den uninteressantesten Aspekt einer Staffel, die mit The Narrow Escape Problem unverblümt unsere Realität streift. Der Aufstieg von Wladimir Putin wird angerissen, die russischen Definitionen von Wahrheit erklärt und alles durch Sergei Prokofjews Musikmärchen Peter und der Wolf gerahmt. Nach dem Zeichentrick-Trip in der letzten Folge kehrt die Episode zur Fargo-Norm zurück, doch die Norm der Serie von Noah Hawley bleibt ihre erzählerische Experimentierfreudigkeit. Wir haben diese Figuren in Variationen in den letzten beiden Staffeln schon mal gesehen und dank dieser Sicherheit liefernden Vertrautheit lassen sich die Abweichungen leichter verarbeiten: UFOs, Roboter oder die Stimme von Lorne Malvo, die uns ganz selbstverständlich die musikalische Begleitung in Peter und der Wolf erklärt.

Are you sitting comfortably? Good, then i'll begin.

Die markanteste Schwäche von Fargos 3. Staffel bleibt allerdings Emmit Stussy (Ewan McGregor). Betrachten wir einfach mal die Kernszene des Parkplatzkönigs von Minnesota in dieser Folge: V.M. Varga (David Thewlis) steht unerwartet vor seiner Haustür und zwingt sich förmlich an den Esstisch mit Emmits Ehefrau und Schwiegermutter. Erst verschlingt Varga also die Firma, nun breitet er sich parasitär in Emmits Privatleben aus (und markiert sein Territorium mit einer bulimischen Brecheinlage über Emmits Toilette). Vielleicht wird er auch Emmits Überreste irgendwann ausspeien. Den Genuss scheint Varga, ob beim Pancake-Frühstück oder der Firmenexpansion, nur im Moment der Überwältigung des Gegenübers zu finden, im förmlichen Verschlingen. So sehen wir es im Prolog, wenn Varga sein Maul aufreißt, die Kamera sich in seinen von der Magensäure verzehrten Zähnen verliert und wir von einer Überblendung zum verschneiten Minnesota erlöst werden. Sättigung hieße Verzicht.

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Im Verlauf des Gesprächs bezirzt Varga Emmit. Er isoliert ihn weiter von Sy (Michael Stuhlbarg) und schürt die Furcht vor dem "Loser" Ray (Ewan McGregor), der es, wie die "Mexican Lowlives", die über die Grenze strömen, auf seinen Reichtum abgesehen habe. Es ist alles ziemlich faszinierend, gerade auch dank der Darstellung von David Thewlis, der das Groteske seiner Figur vor der Lächerlichkeit bewahrt. Nur ist Emmit über weite Strecken ein passiver Zuschauer, sowohl in seiner Firma als auch daheim. Was in seinem Charakter begründet liegt, überlässt er das Tagesgeschäft und die harten Entscheidungen doch Sy. Die Trägheit seines Handlungsstrangs äußert sich aber auch in der kaum skizzierten Ehefrau Stussy. In The Narrow Escape Problem stößt die Dürftigkeit seiner Figur ganz besonders auf. Die Folge führt mit Polizistin Winnie Lopez (Olivia Sandoval) nämlich im Handumdrehen eine neue Fargo-Exzentrikerin ein. Um die fürchtet man sogleich, als sie in Sys Büro unangenehme Fragen stellt, beobachtet von Vargas Helferlein Yuri (Goran Bogdan) und Meemo (Andy Yu) - und das trotz der viel zu ausführlichen Ausführungen über ihr Liebesleben.

Vielleicht ist Sy einfach zu unterhaltsam. Michael Stuhlbarg, der durch A Serious Man größere Bekanntheit errang, spielt einen dieser Ein-Silben-Menschen, die gerne Drei-Silben-Menschen wären, um mal Glorias neuen Chef zu paraphrasieren. Seine unnötig komplizierte Ausdrucksweise grenzt an eine Fremdsprache ("... the ridicule of beloved remains" - "Cremains is, I think, the preferred nomenclature.") und seine Einschüchterungsmaßnahmen fallen sofort auf urkomische Weise in sich zusammen. In der vorletzten Folge rammte er ein unbeteiligtes Auto, um Ray eins auszuwischen. Die Konsequenzen dieses Malheurs führen indirekt zu Glorias Eingebung am Ende dieser Folge, was die Verbindung der Stussys angeht. Eine klassische Ursache-Wirkungs-Kette im Universum der vermaledeiten Fargo-Partikel. Und als er Ray mit dem Zeigefinger droht, stolpert er sogleich vor seiner Autotür herum. Multitasking ist Sys Sache nicht, dafür erweist sich Michael Stuhlbargs Talent für physische Komik als eine der Geheimwaffen einer Staffel, die bislang weniger Interesse an einem dichten Plot zeigt, und mehr an Meta-Monologen über dessen tiefere Bedeutung. Was ich persönlich begrüße. Eines meiner Lieblingelemente beim Akt des Fargo-Schauens ist der Akt des Fargo-Nach-Googlens, in diesem Falle etwa Prokofjews Biografie oder die russische Nomenklatur für Wahrheit.

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In der letzten Folge hatten wir Gloria (Carrie Coon) bei der schrittweisen Erkenntnis ihrer Rolle als Dokumentaristin der Wahrheit zugesehen. Wie wichtig diese ist, zeigt ihre Auseinandersetzung mit dem Irakkriegsveteran und Sheriff (Shea Wigham). Der will den Fall um den eingeschlagenen Schädel des Mörders Maurice ad acta legen, aber nicht weil es die Beweise erzwingen. Vielmehr bewegen ihn seine Erfahrungswerte aus Fallujah dazu, Gloria nicht ernst zu nehmen. Sein eingeengter Blickwinkel führt zu einer Fehlinterpretation der Angelegenheit. Er gleicht damit dem Großvater aus Peter und der Wolf, der seinen Enkel im Haus einsperren will. Erst als Peter der Autorität des Älteren widerstrebt und ausbüchst, ist er in der Lage, den Wolf zu fangen und in den Zoo zu bringen. Im Nachhinein wurde diese Wendung als reichlich subversiv für ein "symphonisches Märchen für Kinder" in Zeiten des Stalinismus interpretiert. Im Drehbuch von Monica Beletsky unterstreicht die Szene Glorias Rolle in der Handlung in mehrfacher, auch metatextueller Hinsicht: Sie begehrt gegen die Autorität auf und ermittelt weiter; sie bringt sich damit in die Rolle des Helden, der den Wolf Varga bezwingen muss; Varga wiederum wird in einer Szene direkt mit Stalin assoziiert, in einer anderen mit dem Autokraten Putin.

Noah Hawley hat im Vorfeld der Staffel gesagt, sie werde sich in direkter Reaktion auf den Präsidentschaftswahlkampf in den USA um Wahrheit und Fake News drehen. Insofern findet sich in Yuris Erzählung von Wladimir Putins Kindheit und seiner Bewunderung für Geheimdienstchef Jan Bersin die bislang offensichtlichste Ausformulierung von Hawleys Anliegen. In Russland gebe es, so Yuri, zwei Wörter für Wahrheit: prawda und istina. Prawda bezeichnet ursprünglich jene Wahrheit, die durch Erfahrungen und Beweise ermittelt wird, liegt also der wissenschaftlichen und westlichen Vorstellung von Wahrheit näher[1]. Istina transzendiert diese Wahrheit, es ist die göttliche Wahrheit, wie Yuri es erklärt; eine Art "es ist eben so und war schon immer so". Und dann gibt es die Nicht-Wahrheit, die sich die Mächtigen zu eigen machen.

Vielleicht abonniert Hawley die New York Times. "To Understand Trump, learn Russian" , hieß es da in einer Meinungskolumne im Dezember. In der wurde ausgeführt, wie Prawda durch die Mächtigen pervertiert wird, versinnbildlicht durch die gleichnamige Zeitung, die als Organ der kommunistischen Partei der Sowjetunion fungierte. Wahrheit und Nicht-Wahrheit wurden nach Belieben der Machthabenden definiert und instrumentalisiert. Ein Prozess, den wir wiederum in der Szene zwischen Emmit und Varga sehen. Varga verleibt sich Emmits Firma ein. Er nimmt sich die Macht, Emmits Geschichte zu seinen eigenen Gunsten neu zu definieren und so formt er aus der tatsächlichen Invasion eine falsche Wahrheit: die vom "Zeitalter des Flüchtlings", von den verarmten Massen, die vor den Toren lauern, eine klare Parallele zur ersten Wahlkampfrede von Donald Trump. Es ist die Geschichte vom Neider Ray, der - das muss hier eingestanden werden - mit Hilfe einer lockigen Perücke 10.000 Dollar und einen Beutel Hundeasche von seinem Bruder gestohlen hat. Ray aber bildet für seinen Bruder bislang keine Gefahr vom Maße eines Varga. Doch jede alternative Wahrheit braucht einen, der sie akzeptiert.


Zitat der Folge: "Remember: The richest guy in the room is always the boss."

Anmerkungen am Rande:

  • Wie David Thewlis "Schweinekoteletts" ausspricht!
  • "Rich is a fleet of private planes filled with decoys to mask its scent. It's a banker in Wyoming and another in Gstaad"
  • Vogel - Querflöte - Emmit
  • Ente - Oboe - Ray
  • Katze - Klarinette - Nikki
  • Großvater - Fagott - Sy
  • Wolf - Hörner - Varga
  • Peter - Violine bzw. Streichinstrumente - Gloria
  • Gewehrschüsse - Pauken - Yuri & Meemo

[1] nachzulesen in Russia and Western Civilization: Cultural and Historical Encounters (2003)

Fargo Recap 1: Staffel 3, Episode 1: The Law of Vacant Places
Fargo Recap 2: Staffel 3, Episode 2: The Principle of Restricted Choice
Fargo Recap 3: Staffel 3, Episode 3: The Law of Non-Contradiction

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