Die Netflix-Zahlen sind wertlos und The Irishman ist der neuste Beweis

12.12.2019 - 09:20 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
The IrishmanNetflix
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Netflix veröffentlicht zu The Irishman beeindruckende Zahlen. Mal wieder. Viel sagen diese Daten aus verschiedenen Gründen nicht aus. Aber Netflix will das ändern.

In den letzten zwei Monaten vor Ende des Jahres veröffentlicht Netflix so viele schillernde Großproduktionen wie selten zuvor. Mit The King, The Irishman, Dolemite is my Name, 6 Underground, Marriage Story, Die Geldwäscherei und Die zwei Päpste könnten mittelgroße Kinos ihre Säle wochenlang füllen.

Das Unternehmen selbst ließ Anfang des Jahres wissen, dass 10 Prozent der addierten Fernsehzeit aller US-Amerikaner auf seinen Streaming-Dienst entfallen (CNBC). Das sind 100 Millionen Stunden pro Tag, falls euch das interessiert.

Warum die Netflix-Daten so wichtig sind

Netflix ist zu einer wichtigen Echokammer für die Filmbranche geworden. Was bei dem Streaming-Dienst läuft und wie gut es läuft, ob es erfolgreich ist und die Zuschauer interessiert, interessiert alle, auch außerhalb des Unternehmens. Wie viele Menschen zum Beispiel wollen einen dreieinhalb Stunden langen Mafiafilm mit künstlich verjüngten Filmikonen sehen?

Bei Quoten und Zuschauerzahlen geht es nicht nur um wirtschaftlichen Erfolg. Wenn Martin Scorsese, einer der einflussreichsten Regisseure der letzten vier Jahrzehnte, einen Film wie The Irishman vorlegt, stellt sich die Frage nach dem kulturellen Fußabdruck des Werks, der sich am deutlichsten immer noch in Zuschauerzahlen spiegelt.

Sagen wir's einfach so: Die Filmwelt muss wissen, ob ein Riesenprojekt wie The Irishman erfolgreich sein kann. Aus Erfolgen und Misserfolgen zieht die Branche Erkenntnisse.

The Irishman ist ein Millionenerfolg - aber stimmt das auch?

Nun hat Netflix ja Zahlen zu The Irishman veröffentlicht. Oder sie eher ausgeplaudert. Ted Sarandos, der Content-Chef des Streaming-Dienstes, verriet bei einer Konferenz, dass seine wohl teuerste Filmproduktion in der ersten Woche von 26,4 Millionen Haushalten gesehen wurde.

The Irishman

Er schätzt übrigens, dass der Film innerhalb der ersten 28 Tage auf 40 Millionen Zuschauer kommen wird. Warum auch nicht? Vielleicht werden es auch ein paar Millionen mehr oder ein paar Millionen weniger. Wen kümmert's, Ted Sarandos hätte ja auch einfach Fantasiezahlen in den Raum werfen können.

Wie die Zuschauerzahlen bei dem Streaming-Dienst errechnet werden und ob sie wirklich stimmen, weiß niemand. Und überhaupt scheint Netflix Zuschauerzahlen nur dann zu veröffentlichen, wenn sie beeindrucken.

Schauen wir uns mal an, wann das Unternehmen Zahlen veröffentlichte - und wann nicht.

Die angeblich erfolgreichsten Netflix-Filme

Bright war Ende 2017 einer der ersten richtig großen Filme des VOD-Anbieters. Er ergatterte 11 Millionen Zuschauern in drei Tagen, verkündete Netflix stolz.

Bird Box sammelte in den ersten sieben Tagen 45 Millionen Zuschauer. Nach knapp vier Wochen, also einem normalen Kino-Run, kam Bird Box auf über 80 Millionen Zuschauer, gab Netflix bekannt. Im Laufe von des Jahres 2019 präsentierte das Unternehmen immer mal wieder Erfolgsmeldungen zu Filmen, die ausschließlich auf der Plattform liefen.

Hin und wieder streut Netflix auch Tweets wie diese mit seltsamen Rankings, in denen komplett auf Zahlen verzichtet wird.

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Es gibt bei diesen Zahlen 4 Probleme, die sofort auffallen.

  • 1. Die Transparenz: Die Zahlen werden nicht von einer unabhängigen Instanz veröffentlicht oder geprüft.
  • 2. Die Methode: Wir wissen nicht, wie genau Netflix seine Zahlen misst und wie die Daten zustande kommen.
  • 3. Die Verlässlichkeit: Die veröffentlichten Zahlen weichen immer wieder von den Nielsen-Daten ab, der einzigen Institution, die regelmäßig unabhängig Netflix-Daten erhebt.
  • 4. Die Willkür: Netflix veröffentlicht längst nicht zu allen Filmen Zahlen.

Über die Zugriffszahlen des Kritikerlieblings Roma etwa ist nichts bekannt: Der bei den Oscars bisher erfolgreichste Film soll "von vielen Leuten" gesehen worden sein, sagt der Produzent David Linde dem Hollywood Reporter .

Auch für den aufwendigen The King, Die Geldwäscherei und den Oscar-Kandidaten Dolemite is my Name fehlen Angaben. Eine einfach Erklärung wäre nun, dass die Zahlen hier einfach nicht besonders gut sind. Anders als bei The Irishman oder eben dem Adam Sandler-Film des Jahres, eine Bank bei Netflix.

So erhält die ohnehin trübe Zahlenpolitik den Anschein von Willkür. Netflix veröffentlicht Zahlen offenbar nur dann, wenn es gerade passt, also der Film auch erfolgreich war. Solange das so ist, hat diese Art der Kommunikation von Erfolg etwas vom prahlerischen Brusttrommeln eines Gorillas.

Murder Mystery

Ändern können das nur unabhängige Bewertungsinstanzen und Vergleichswerte. Pläne dafür gibt es auch. Netflix will mehr Zahlen veröffentlichen, sichert der Haus-Produzent Scott Stuber Variety  erst letzte Woche zu.

Der Streaming-Dienst habe den Wert der Zahlen für die kreative Community erkannt. "Es ist wichtig für alles", sagt Stuber. "Ihr werdet mehr Zahlen von uns sehen, mehr Transparenz, mehr Einblicke darin, was funktioniert und was nicht."

Zahlen von Streaming-Diensten: Was ist eigentlich mit Disney+?

Offenbar sehnen sich die großen Studios und Streaming-Dienste nach einem geschützten Raum, der nicht von Bewertungsinstanzen durchleuchtet wird. Auch Disney+ schickt zu The Mandalorian keine Zuschauerzahlen raus. Die einzigen Gradmesser sind sogenannte "Äußerungen von Nachfrage", also alles, was irgendwie Interesse ausdrückt.

So blöd ist das innerhalb der Streaming-Logik eigentlich auch nicht. Die reinen Zuschauerzahlen sind für die Konkurrenz, die Presse, die Zuschauer und die Filmschaffenden eben interessanter als für Netflix und Disney selbst.

Die interessieren sich eher für den Wirbel, den ihre Großproduktionen in der Außenwelt anstiften. Denn jede Produktion, die Aufsehen erregt, ist ein Werbung für den Abschluss eines Abos, das dann wieder Zugriffszahlen erwirkt.

Ist The Irishman ein langweiliges Meisterwerk? Hört den Moviepilot-Podcast:

Andrea, Esther und Jenny stellen sich in der 7. Folge Streamgestöber die Frage, wo The Irishman auf der Scorsese-Skala von Mafia-Meisterwerk bis ultralangweilig einzuordnen ist und kommen zu einem erstaunlichen Fazit: Gerade die Unterschiede zu klassischen Mafia- und Gangstergeschichten zeichnen das Netflix-Epos aus. Bei 00:06:38 geht es mit The Irishman los.

Würdet ihr gerne wissen, wie erfolgreich eine Netflix-Film ist?

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