Heute startet Moonrise Kingdom von Wes Anderson in unseren Kinos, der noch letzte Woche das Festival Cannes eröffnete. Die Kritiker feiern den Film, in dem wieder das große Thema Wes Andersons durchscheint: skurrile Familien. Gern kehrt er in die Kindheit seiner Protagonisten zurück, schaut auf familiäre Beziehungen, aus denen sich seine Figuren nicht befreien können. Seine Filme sind bevölkert von Menschen mit exzentrischen Macken und verschrobenen Ansichten, die er liebevoll und verspielt, auf frische und witzige Weise porträtiert. Nie blickt er herablassend auf die Fehler seiner Protagonisten, sondern gesteht ihnen ihre eigene, ganz individuelle Lebensweise zu.
In der Tragikomödie Die Royal Tenenbaums sehen wir drei hochbegabten Kindern – einem Finanzgenie, einer Schriftstellerin, einem Tennisspieler – dabei zu, wie sie ihre Talente verschleudern, sich selbst betrügen und ihr Leben zu einem einzigen Desaster wird. Die Familie der Tenenbaums ist seltsam deformiert, Chas (Ben Stiller), Richie (Luke Wilson) und Margot (Gwyneth Paltrow) könnten nicht skurriler sein, aber sie werden noch getopt von Royal Tenenbaum (Gene Hackman), der als Familienoberhaupt dem Ganzen die Krone aufsetzt. Er ist in allem wichtigtuerisch, als Taugenichts, als Charmeur und als Schwindler, sucht aber letztlich nur die Zuneigung seiner Familienmitglieder. Alle Figuren erlitten Verletzungen in der Vergangenheit, die sie aber über die Jahre geschickt kompensiert haben. Mit einem skurrilen und exzentrischen Tick verstecken sie die Wunden und tragen sie so für alle öffentlich zur Schau: Das Leben und der Alltag erscheinen dann viel weniger aussichtslos. Die Royal Tenenbaums sind eine eigentümliche Familie, die wir als Zuschauer lieben können, aber als Verwandtschaft wegen ihrer depressiven und neurotischen Art wohl eher weitläufig umgehen würden.
Mit Anleihen aus Familien- und Abenteuergeschichten sowie dem Vater-Sohn-Drama inszeniert Wes Anderson auch Die Tiefseetaucher. Das Panoptikum absonderlicher Charaktere in nicht minder absonderlichen Situationen ist hier geradezu erdrückend. Über allen schwebt der sensible und an sich zweifelnde Ozeanograph Steve Zissou (Bill Murray), der schon bessere Tage gesehen hat. Jede Figur macht der anderen ein wenig das Leben zur Hölle, alle sind sie Gefangene von familiären Bindungen. Keiner kann sich aus ihnen befreien. Auch in Darjeeling Limited geht es um das Psychogramm einer Familie. Hier sind es drei Brüder, die schon seit mehreren Jahren kein Wort mehr miteinander wechseln, sich aber auf nach Indien machen, um ihre Mutter (Anjelica Huston) zu sehen. Getarnt als Selbstfindungstrip präsentieren uns Francis (Owen Wilson), Jack (Jason Schwartzman) und Peter (Adrien Brody) ihre zahlreichen verschrobenen Macken.
Der aktuelle Film von Wes Anderson ist an der Küste Neuenglands im Jahre 1965 angesiedelt und erzählt von zwei Zwölfjährigen (gespielt von Kara Hayward und Jared Gilman), die sich verlieben und in die Wildnis durchbrennen. Die Erwachsenen in Gestalt von Pfadfinderführer Edward Norton, Insel-Sheriff Bruce Willis, Sozialarbeiterin Tilda Swinton und den Eheleuten Bill Murray und Frances McDormand nehmen die Verfolgung auf. Wieder wird hier eine Familiengeschichte präsentiert, die den amerikanischen Traum torpediert. Zwar mögen sich alle irgendwie, aber harmonisch und liebevoll geht es nicht gerade zu. Da steckt viel Witz und auch viel Wahres drin. Auch Moonrise Kingdom ist wieder bevölkert mit skurrilen Figuren, die an ihren Familien-Angehörigen verzweifeln. Der Liebe zueinander tut dies aber keinen Abbruch.