Young Sheldon - Der junge Sheldon ist der bessere Sheldon

08.01.2018 - 10:40 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Iain Armitage als kleiner Sheldon CooperCBS
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Young Sheldon erweist sich beim ersten Eindruck als sensibles Hochbegabten-Porträt. Die The Big Bang Theory-Wurzeln sind spürbar, aber noch überraschend unwichtig.

Update, 08.01.2018: Unseren Serien-Check zu Young Shelden haben wir bereits anlässlich der US-Premiere auf CBS geschrieben. Nun kommt das The Big Bang Theory-Prequel im hiesigen Free-TV jeden Montag um 20:45 Uhr auf ProSieben.

Wenn du dich einer Origin-Story oder einem Prequel hingibst, willst du vielen kleinen Fäden aufleuchten sehen, durch die deine Lieblingsfigur im Hier und Jetzt als hilflose Marionette in ihren Handlungen gelenkt wird. Als gäbe es für jede getroffene Entscheidung eine dazu passende Erinnerung. Da ist die Fiktion der Realität überlegen, denn hier kann alles irgendwie einem kausalen System untergeordnet werden. Deshalb sind Prequels so interessant: Sie stellen Verbindungen her und erklären Ursachen. Bei Young Sheldon gibt es nichts zu erklären. Die große Erkenntnis des Piloten ist, dass Sheldon schon immer Sheldon war. Gegenüber dem jungen Sheldon wirkt der alte aus The Big Bang Theory eher wie eine Ableitung oder die zweite Entwicklungsstufe eines Pokémon.

Hey mom, look that girl ist pregnant.

Um den Wurzeln der gegenwärtig populärsten Fernsehfigur nachzuspüren, versetzt uns Young Sheldon ins Texas der späten 1980er, wo Tischgebete gesprochen werden und Football Religion ist, was sich nicht unbedingt ausschließt. Der Pilot begleitet den ersten Schultag des neunjährigen Sheldon in der Highschool, die er vier Jahre zu früh besucht. Im selben Jahrgang: sein großer Bruder George - ein Football-spielender Anti-Sheldon mit Vokuhila-Schnitt. Am Frühstückstisch verweigert Sheldon (Iain Armitage) den direkten Körperkontakt mit seinen Familienmitgliedern und trägt Handschuhe beim Händchenhalten mit dem gekränkten Vater. Was zu Sheldon durchdringt, ist nur die Liebe seiner Mutter, derer wegen er überhaupt sowas wie Profanes wie Kirchgänge erträgt (was wiederum ein sehr christlicher Beweggrund ist). Aber er insistiert auch ihr gegenüber mit eiserner Grausamkeit, mit einer Fliege um den Hals zur Schule zu gehen. In der ersten Stunde attestiert er der Klassenlehrerin eine flaumige Oberlippenbehaarung. Außerdem schließt er, genussvoll seinen Intellektdampf inhalierend, die Augen beim Aufsagen langer Sätze, in denen er die Nichteinhaltung der Kleiderordnung durch seine Mitschüler bemängelt. Nach einem Tag in der Schule ist er noch nicht verprügelt worden, hat aber das gesamte Lehrerzimmer gegen sich aufgebracht und einigen Lehrern sogar seine Führerschaft angeboten.

Or they recognize my intellect and make me their leader.


Wie der alte Sheldon ist auch der junge eine Herausforderung für seine Umwelt und die Menschen, die ihn lieben. Wie der alte Sheldon weiß es der junge Sheldon einfach nicht besser. Seine Ignoranz gegenüber allem, was nicht unmittelbar ihn selbst betrifft, ist unendlich naiv und deshalb verzeihlich.

Young Sheldon

Mit dieser glucksenden Stimme, die immer den Eindruck erweckt, sich an ihrem eigenen witzigen Klang zu erfreuen, führt Jim Parsons als Erzähler durch die erste Folge von Young Sheldon. Dass Jim Parsons Sheldon Cooper als Chronist seines eigenen Lebens fungiert, ist mehr als ein Verweis auf den anektdotenfreudigen Wissenschaftler aus The Big Bang Theory. Es ist auch eine Erinnerung an dessen Narzissmus. Oft blitzt das Menschliche in ihm hervor und verkriecht sich sofort wieder, macht so die nächsten Wochen mit neuerlichen Gemeinheiten aber ertragbar. Seine Liebenswürdigkeit muss interpretiert werden, sie ist nicht spür- oder sichtbar. Er verkörpert den törichten Glauben an das Gute im Menschen und bringt so eher Güte hervor, als dass er sie wirklich aufzubringen vermag. Doch der junge Sheldon ist besser als der alte Sheldon: Er verbreitet Liebe.

Seine soziale Intelligenz in Young Sheldon ist der des alten Sheldon in The Big Bang Theory mindestens ebenbürtig. Der kleine Sheldon wirkt gar im zwischenmenschlichen Bereich oft reifer und zu großen Gesten fähig. Was Sheldon in The Big Bang Theory emotionale Kraftakte abverlangt, erledigt der junge Sheldon mit einem emphatischen Fingerschnippen. Der überraschend stimmig geschriebene und erzählte Pilot schließt so auch einen hübschen Bogen. Am Ende der Episode darf der bedrückte Vater die nackte Hand seines Sohnes halten.

Young Sheldon

Jede Sitcom hat einen gut tarierten Sympathiehaushalt. Young Sheldon könnte ein Problem mit seinem bekommen, denn der alte Sheldon aus The Big Bang Theory bezieht einen Großteil seiner irrationalen Beliebtheit daraus, dass wir ihm so viel Großzügigkeit entgegenbringen müssen, um ihn zu mögen. Wenn wir dem erwachsenen Sheldon seine Unverschämtheiten durchgehen lassen, ihn trotzdem lieben, verschafft uns das ein wohliges Samariter-Gefühl. Unsere Zuneigung ist nicht selbstverständlich, wir erbieten sie ihm: Wir sind großherzig.

Nun ist da ein Kind mit Zahnlücke, milchgesichtig, altklug, und wir müssen ihm sowieso alles verzeihen. Er ist ein Kind, verdammt noch mal. Und er hat es verflucht schwer. Der junge Sheldon ist wie ein Kätzchen, das an deinem Finger knabbert und für einen Moment zu fest zubeißt. Beim jungen Sheldon bleibt kein Vakuum für unterdrückten Unmut. Das ändert sich auch nicht durch die zwanghaft wirkende Einwebung von Charaktermerkmalen des erwachsenen Sheldon, Machtphantasien etwa. Die Serie täte vielleicht gut daran, ihren Ursprung zu vergessen und auf Fan-Service zu verzichten. Sie ist dafür stark genug, das Porträt eines in seinem Intellekt gefangenen Jungen war und ist ein interessantes Serienkonzept, dass die Autoren gut auszufüllen verstehen. Mit einer einfühlsamen, melancholischen Tonlage hebt Young Sheldon sich ab von etwa Malcolm Mittendrin. Young Sheldon ist offen tragisch, nicht zynisch und bissig. Da wächst eine Art Wunderbare Jahre heran, in dem die The Big Bang Theory-Wurzeln irgendwann komplett unwichtig werden könnten.

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