Wir schauen Homeland - 4. Staffel, 9. Folge

25.11.2014 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Homeland
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Homeland begibt sich auf 24-Pfade und liefert eine ungeheuer aufreibende Episode ab, die sich kurz vor Schluss so überstürzt, wie es nur Homeland vermag.

What the fucking fuck? Keiner bringt das Finale der 9. Episode der 4. Staffel von Homeland so gekonnt auf den (vulgären) Punkt wie der CIA-Chef Lockhart (Tracy Letts). Natürlich ist jeder selbst schuld, wenn er sich bei einer Folge mit dem Titel There's Something Else Going On in Sicherheit wiegt. Tatsächlich verdienen die teils absurden Homeland-Titel in dieser Staffel einen eigenen 10.000-Wörter-Essay mit vier Seiten Anhang (aber leider wird uns ein Uh... Oh... Ah...-Sequel vorenthalten). Während die Autoren titeltechnisch ihre Späße mit den Zuschauern treiben, liefern sie immerhin eine überwiegend grandios spannende Thriller-Episode ab, die im letzten Augenblick in mittlerweile klassischer Homeland-Manier alle Zügel fahren lässt und mal eben den Staffelverlauf auf den Kopf stellt. Für mich, die nur eine Saison mit 24 verbracht hat (die sehr gute erste Staffel), ist der Klimax dieser Folge einer jener Momente, in denen sich die vorherige Anstellung der Homeland-Schöpfer am deutlichsten bemerkbar macht. Das ist nicht notwendigerweise schlecht. Wie bei so vielen Twists zählt das, was die Serie danach daraus macht, mehr als die paar Minuten Schock.

Homeland - S04E09 (There's Something Else Going On)

Einer der Gründe, warum mir Homeland ursprünglich vitaminwassergleich in den Organismus gefahren ist, war die Art und Weise, wie die Autoren die Auswirkungen des Krieges gegen den Terror auf die Heimatfront erkundet haben. Das erreichte dank des begrenzten Worldbuildings selten die Komplexität anderer "Qualitätsserien" (ein Deadwood für die CIA wäre auch zu schön). Das musste es aber auch nicht. Homeland hat selbst in seinen schwächeren Inkarnationen durch intensive, widersprüchliche Einzelmomente brilliert, die auf psychologischer Ebene oft mehr über das Erbe der Bush-Jahre ausgedrückt haben als die am besten recherchierte Dissertation. Homelands Staffel 4 beschäftigt sich weniger mit der Verwaltung eines Erbes, etwa in Form einer alternativen, deutlich konservativeren Zeitlinie, wie sie noch in Staffel 1 und 2 betont wurde. Mittlerweile ist die Serie, wenn auch nicht in der Glaubwürdigkeit der Geschichten, in der Realität angekommen. Das zeigt der Bezug auf jüngste Entführungsfälle in der vergangenen Folge sowie Handlungsort und Charakterentwicklung der aktuellen Staffel. Wenn Drohnenkönigin Carrie förmlich darum bettelt, das Töten zu stoppen, hört man die herausposaunten Ideale eines realen Präsidenten zerschellen. Existiert in Homeland eine Ursünde, so ist es nicht der 11. September 2001, sondern ein Racheakt, bei dem ein unschuldiges Kind starb: Issa. Waren also die ersten Staffeln von der Post-9/11-Paranoia, der Vergiftung des "Heims" durchzogen, folgt Staffel 4 der Blutspur der Vergeltung ins Ausland.

"14 years of war and this is what it has come to?", fragt Carrie auf dem Rollfeld Saul als Echo ihres Dialoges mit Quinn in Halfway to a Donut. Im Gefangenenaustausch findet Regisseur Seith Mann (The Wire) ein perfektes Bild für die Verzweiflung an der Gewalt, die Staffel 4 von Homeland und ihre Heldin prägt. Zwischen zwei Kriegsfronten findet sich Zivilist Saul wieder, neben ihm ein Kind mit einer Sprengstoffweste. Zuvor hatte Saul den Jungen im Schlaf beruhigt und dann erfahren, dass dieser durch einen Drohnenangriff während seiner Amtszeit Vater und Bruder verloren hatte. "They put the west on him, not us." Wieder ist es Carrie, die Saul Hoffnung zusprechen muss, dass sich etwas ändert. Wieder gelingt es. Obwohl gerade von Mandy Patinkin erschütternd gespielt, lässt die Szene mich zweifeln, ob sich die Homeland-Autoren einem Bruch zwischen Carrie und Saul jemals mit voller Inbrunst verschreiben können. Hier liegt schließlich die Gefahr redundanter dramatischer Kniffe in der Steppenluft.

Wenn Carrie und insbesondere Saul die Staffel überhaupt lebend verlassen. Denn so großartig, wie Thriller-Veteran Patrick Harbinson (Millennium, 24, Person of Interest) im Buch die Vorbereitungen des Gefangenenaustauschs aufbaut, den Verdacht eines doppelten Spiels sät, auch weil er sie mit den Verhören Dennis Boyds kombiniert, so überstürzt wirkt der zweite Höhepunkt dieser Homeland-Folge. Eine halbe Stunde wird vorher benötigt, um Gefangenentransport und -übergabe darzustellen, nur damit There's Something Else Going On in zehn Minuten aneinandergereihter Explosionen, Wendungen, Fucks, Fucks, Fucks und meinem neuen Lieblingsdialog in der Geschichte von Homeland gipfelt: "Where have the Marines gone?" - "To get assistence." - "All of them?" - "Why not?"

Schon Carries Beharren auf Quinns Verbleib in der Botschaft lässt alle Alarmglocken schrillen und der Tunnel wurde auch nicht zum ersten Mal erwähnt. Irgendwie freue ich mich auf Demolition Embassy  mit Quinn, Lockhart und einem Vorrat dreckiger Unterhemden. Es wäre das White House Down-Sequel meiner Träume. Vielleicht wollen die Homeland-Autoren auch nur ihre Version der Anschläge in Benghazi  drehen, bei denen 2012 der amerikanische Botschafter in Libyen ums Leben kam. Zu diesem Zeitpunkt und nach dieser gerade auch dramaturgisch teils brillanten Folge ist zu hoffen, dass die Homeland-Autoren die Infiltration der Botschaft nicht nur um des Spektakels willen ausschlachten. Heizkeller zum Austoben hält das Gebäude für Carrie wohl genügend bereit.

Interessanter aber ist die Weiterentwicklung von Homelands diskussionswürdigem "Weltbild" innerhalb der Staffel. Mit CIA-Boss Lockhart und Botschafterin Boyd wurden (geheimdienstliche) Intervention und Diplomatie auf ein Hase-und-Igel-Rennen geschickt, bei dem nun nur Verlierer überbleiben. Ein Drohnenangriff geriet zur PR-Katastrophe, ein Gefangenenaustausch letztlich zur Win-Win-Finte der Terroristen, um die Marines von der Botschaft wegzulocken. So scheinen die Homeland-Helden einem Schicksal jenseits ihrer Kontrolle ausgeliefert zu sein. Was sie auch tun, welche Leben sie auch zu retten suchen, die Antwort lautet Gewalt. What the fucking fuck indeed.

Zitat der Folge: "I wanna go home."

Recap: Wir schauen Homeland - 4. Staffel, Folge 8
Recap: Wir schauen Homeland - 4. Staffel, Folge 7
Recap: Wir schauen Homeland - 4. Staffel, Folge 6
Recap: Wir schauen Homeland - 4. Staffel, Folge 5
Recap: Wir schauen Homeland - 4. Staffel, Folge 4
Recap: Wir schauen Homeland - 4. Staffel, Folge 3
Recap: Wir schauen Homeland - 4. Staffel, Folge 1 & 2

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