Seit der Erfindung des Filmes gibt es ein Genre, das nicht nur von der ersten Bewegtbildsekunde an dabei war, sondern auch bis heute noch das meistgesehene (und meisverleugnete) ist: der Porno. Selbst der große Georges Méliès, Erfinder des phantastischen Filmes (Die Reise zum Mond), hat neben seinen Trick-Filmen schon Pornos gedreht. So wie Après le bal: Unter dem Deckmantel quasi-dokumentarischer Beobachtung einer Alltagssituation entblößt sich eine Frau (Méliès’ spätere Ehefrau) vor seiner Kamera. Auch wenn dieser Film heutzutage seinen Zweck nicht mehr erfüllt und ich mich frage, wie man mit dermaßen vielen Klamotten überhaupt dazu vordringen konnte, nackt zu sein und Sex zu haben, anstatt genervt aufzugeben, war Après le bal 1897 der heiße Scheiß schlechthin:
Porno ist ein einzigartiges und ambivalentes Genre: Es ist quasi eine zweckgebundene Filmkunst, ein Gebrauchsfilm mit einem ganz spezifischen Sinn: den Zuschauer durch audiovisuelle Reize sexuell zu stimulieren. Im besten Fall bis zum Orgasmus. Deswegen guckt man Pornos ja auch nur bis zu dem Punkt, an dem man gekommen ist. Oder wisst ihr, ob Pornos einen Abspann haben? Seht ihr ...
Einzigartig macht den Porno aber auch, wie stark er nach Inhalten geclustert ist. Eigentlich geschieht ja immer das Gleiche: Menschen haben Sex. Das aber in verschiedenen Positionen, Arten und Konstellationen, und nach diesen sind die Filme dann auch kategorisiert und nach diesen werden sie auch bausteinartig zusammengebaut. Zwei Frauen, die miteinander Oralverkehr haben, sich dabei ein bisschen den Hintern versohlen = Kategorien: lesbian, oral, bdsm, spanking. Ist eine von den beiden vielleicht noch nicht weiß? Super! Dann kann man noch eine Kategorie hinzufügen: interracial, Indian, Asian, Ebony etc. Eine spannende Herangehensweise. Wenn man die auf andere Filme anwenden würde ... Terminator 5: Genisys, Kategorien: Alter, starke Frau, Action, Metall, Weltrettung, Zeitreise. Klingt nicht annähernd so verheißungsvoll und animiert jetzt nicht wirklich zum Gucken.
Genauso zielgerichtet, wie diese Kategorisierungen auf den genauen sexuellen Inhalt verweisen, genauso zielgerichtet werden Pornos auch auf ihr Publikum zugeschnitten. Und dieses Publikum wird in 99 Prozent aller Fälle, also im Mainstream-Porno, als männlich und heterosexuell verortet. Womit Pornos noch radikaler als Filme anderer Genres auf ihre Verwertung konzipiert sind, was mitunter lustige, aber auch schreckliche Auswirkungen und Verzerrungen haben kann.
Sieht man sich zum Beispiel mal die Kategorie lesbian an, so stellt man mit etwas guter Beobachtungsgabe schnell fest: mit lesbisch hat das überhaupt nichts zu tun. Weder sind die Frauen in den Filmen lesbisch, noch ist das echter Lesbensex. Vielmehr sind diese Filme pseudo-lesbische Performances, die zwei Frauen miteinander interagieren lassen, aber immer durch den Filter des männlichen, heterosexuellen Zuschauers und dessen Idee von Lesbensex. Oder, kurz gesagt: So gut wie keine Lesbe auf dieser Welt würde sich von einer anderen Frau mit lang gefeilten Fingernägeln fingern lassen. Das ist nicht nur unfassbar unpraktisch, sondern auch gefährlich. Und die wenigsten Lesben fingern ihre Freundin, als wäre die ein Stück Stoff und sie eine Singer-Nähmaschine auf höchster Stufe:
Kurzum, das Problem mit Mainstream-Pornografie ist, dass sie viele Menschen ausschließt. Und dass sie oftmals ein verzerrtes Bild von Sexualität zeigt, was problematisch ist, denn Porno ist eine oft verwendete Quelle, um etwas über Sex zu lernen. Vor allem für Jugendliche. Und Mainstream-Porno ist problematisch, weil er Menschen, vor allem Frauen, so stark objektiviert, dass ihnen ihre Individualität und Menschlichkeit abgesprochen werden und sie nur noch zur Verfügung stehende Körper sind. Das fängt dabei an, dass sie ihrer Hautfarbe oder ihren Körpermerkmalen nach kategorisiert werden und endet bei dem typischen Pornstar- Look: aufgespritze Lippen, Silikonbrüste und das klassische Porno Make-up . Von den Arbeitsbedingungen gar nicht erst zu sprechen.
Sollte man deshalb also Pornos verbieten und grundsätzlich, wie Alice Schwarzer und Co., PorNO sagen?
Nö. Man sollte sich lieber bewusst darüber werden, was da schief läuft und gute Alternativen finden. Und diese gibt es inzwischen immer mehr, denn seit einigen Jahren formiert sich eine alternative Porno-Landschaft, die sexpositiv ist und Pornos produziert, die sexy, divers, ehrlich und selbstbestimmt sind. Und das unter dem Überbegriff "feministischer Porno".
Fuck? Yeah!