Wie Der Dialog Cineasten der Generation Smartphone anspricht

20.09.2016 - 09:50 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
Gene Hackman in Der DialogStudioCanal/Arthaus
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1974 erschien Francis Ford Coppolas Thriller Der Dialog mit Gene Hackman in der Rolle eines Abhörspezialisten. Rückblickend erwies sich der Film als visionäres, düsteres Omen einer technologisierten, transparenten Überwachungsgesellschaft.

Rund 40 Jahre nach der Veröffentlichung von Der Dialog sollte sich der Film als dunkle Vorausschau aufs Heute entpuppen. Francis Ford Coppola setzte in seinem Überwachungsthriller Gene Hackman als Abhörspezialisten in Szene, der nicht weniger verkörpert als die Dualität des modernen Menschen in Zeiten von geheimdienstlicher Überwachung und breitflächiger Spionage. Coppola, der nur zwei Jahre zuvor mit dem ersten Teil der Pate-Trilogie in den Olymp Hollywoods aufstieg, erwies sich als Visionär, von dessen Vision man sich aktuell wünschte, sie hätte nie auch nur ansatzweise solch wahrhaftige Sprengkraft in sich getragen.

Der sich inzwischen im Ruhestand befindende Method Acting-Vertreter Hackman spielt in Der Dialog Harry Caul, einen Experten für Überwachungstechnik. Während eines Auftrags gerät er nicht nur in eine Spirale einer möglicherweise tödlichen Verschwörung, sondern konfrontiert sich angesichts eines sich immer stärker aufbauenden Drucks mit sich selbst. Seine "Kunst", wie sein Beruf einmal bezeichnet wird, entwickelt sich für Harry zu einer Konfrontation mit sich selbst, seinen Ängsten, seiner Paranoia, seiner Menschlichkeit und der Erkenntnis dessen, welche Konsequenzen seine Handlungen nach sich ziehen könnten.

Deshalb ist Der Dialog auch heute noch von brisanter Aktualität

Francis Ford Coppola befindet sich anno 1974 auf einem über Jahre anhaltenden Höhepunkt seines Schaffens. Im Geiste der New Hollywood-Bewegung und damit einhergehender künstlerischer Freiheiten wusste er das Innere Harrys sowie die Kälte des Überwachungsapparats mit der Sprache des Kinos sicht- und fühlbar zu machen. Er inszeniert die gesichtslose Anonymität von Harrys Beruf zu Beginn in einer geradezu verstörenden Auftaktsequenz. Darin zeigt er die Zielfiguren von Harrys Auftrag unwissend als Opfer ihrer Überwacher. Entsprechend lässt er uns teilhaben an dem Job. Mit geradezu autoritärer Kraft zwingt uns der Regisseur in die Rolle des Überwachers, indem er häufig aus dessen Sicht bzw. mit dessen Werkzeugen filmt und wir uns plötzlich hochkonzentriert als Beobachter auf der Suche nach dem perfekten Ergebnis wiederfinden.

Ohnehin versteht es Coppola im Folgenden in Der Dialog immer wieder mit simplen, aber genialen Kameraperspektiven sowie der Hinzunahme teils verfremdeter, verzerrt klingender Töne die Bedrohung einer omnipräsenten, technischen Überwachung erlebbar zu machen und innere Zustände seiner Hauptfigur auf den Punkt zu bringen. Da reicht etwa schon das maschinelle, repetitive Hin- und Herschwenken oder das geschickte Spiel mit der Platzierung der Kamera, während wir Harry in privatesten Momenten, einem Voyeur durch seine Linse gleich, beobachten - ein gespenstisches Bild. Zumal der Protagonist eine Einwicklung durchmacht, die ihn als Menschen (an-)greifbar macht:

Gene Hackman verwandelt sich vor den Augen des Publikums von der Maschine zum Mensch.

Gene Hackman in Der Dialog

Denn sein Harry ist zu Beginn des Thrillers ein zunächst perfekt funktionierender Corpus, der eins ist mit seiner (selbst konstruierten) Technik. Er vertraut niemandem bis in die letzte Konsequenz und findet einzig Entspannung im Saxophonspiel. Seine geradezu obsessive Arbeit hat ihn jedoch längst durchdrungen, womit er sich ironischerweise zum eigenen Opfer machte. Auf seinen Festnetzanschluss angesprochen, leugnet er zunächst, überhaupt ein Telefon zu besitzen und kommt es zu vereinzelter zwischenmenschlicher Interaktion, reagiert er mit Flucht oder Ablehnung, wenn er sein selbsterrichtetes Fort aus isolatorischer Zurückgezogenheit, gespeist aus Paranoia, in Gefahr sieht. So endet denn auch ein Moment der Zweisamkeit in konsequenter Einsamkeit.

So wird Der Dialog auch zu dir sprechen

Damit offenbart Coppola den modernen Menschen von Heute, 40 Jahre, bevor NSA sowie eine technnologisierte Urbanisierung und Globalisierung in diesem Maße gesellschaftsbestimmende Dimensionen annahmen. Hackmans Harry ist ein desozialisierter, innerlich isolierter und einsamer Mensch, der einzig in der Effektivität seiner beruflichen Obsession Befriedigung findet. Sein Charakter ist der eines in der Großstadt lebenden Menschen: anonym, allein und in seiner Welt. Ein perfektes Zahnrad in der Maschinerie der modernen Arbeitswelt, der als Dienstleister die Nachfrage-Nische eines Angebots besetzt, das sich aktuell in einem Ausmaße präsentiert, das den Rahmen seiner Legitimierung längst gesprengt hat.

Harry ist wir, wir sind Harry.

Seine Dualität ist die Fratze des modernen Menschen, der die durch Technologie und politischer Bereitstellung eingeführten Überwachungsmechanismen längst resignierend akzeptiert hat. Wenn nicht gerade Lichtgestalten der "Szene", Edward Snowden etwa, das international ausgeleuchtete Parkett betreten, herrscht gespenstische Stille im Diskurs um die ultimative Transparenz des Menschen - von einer Rebellion dagegen ganz zu schweigen. Gleichzeitig erleben jene Entlarver ihre denunzierende Dämmerung und werden zum Schweigen und zur Flucht gezwungen.

Der Dialog

Coppolas Auseinandersetzung findet in der Hoffnung aber auch einen optimistischen Gefährten. Denn Harry wandelt sich von der tadellos funktionierenden Maschine zum immer paranoider, immer mehr die Kontrolle über sich verlierenden Menschen. In diesem Stadium bricht der Keim einer Rebellion hervor und, hinsichtlich aktueller Umstände, die Bereitschaft, Nein zu sagen und Terror nicht als Blaupause für das Akzeptieren jedweder politischer Maßnahmen zu rechtfertigen. Wenngleich Coppola keine konkret politischen Konsequenzen zieht, sind sie doch im zunehmend unkontrollierbaren Brodeln und letztlichen Ausbruch von Hackmans Figur intendiert.

Darum wird Der Dialog nicht verstummen

Über die Dekaden hinaus in die heutige Zeit trägt den Film daher sein parabelhaftes Wesen, das seinen Bogen ins Heute spannt. Resonierte Der Dialog bei Erscheinen noch durch seine zeitliche Nähe zum Watergate-Skandal, erhält er sich seine Aktualität angesichts einer Gesellschaft, in der Smartphones als ständige Begleiter eine tragende Säule der Transparenz bilden.

Coppola pervertiert in seinem Werk das Verhältnis von Täter und Opfer noch, denn Harry gerät aus seiner Profession heraus in den Fokus seiner eigenen Technik. Wir als Nutzer sozialer Netzwerke sind es dagegen, die sich letztlich freiwillig in eine potenzielle Opferschaft manövrieren. Wir beobachten Lebensereignisse, zum Teil uns gänzlich unbekannter Personen, und lassen beobachten, indem wir Vorkommnisse unseres Daseins mit anderen teilen. Somit sind wir die Evolution der Hackman'schen Filmfigur, in der es keinen Mittler in Form eines Auftraggebers mehr gibt.

Denn die Pforten des Privaten für die zuschauende Welt öffnen sich bereitwillig, wenn etwa Selfies aus dem Schlafzimmer einer globalen Öffentlichkeit in Form sozialer Netzwerke zugänglich gemacht werden. Statt an Auftraggeber, heften wir uns bzw. alle Beteiligten dieser (Selbst-)Darstellung unmittelbar an diese Durchsichtigkeit an.

Harrys nervöse Paranoia transformierte sich schließlich zum entspannten Selbstverständnis - ob Coppola diesen realen Story-Arc vorausgesehen hat?

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