Weckt mich, wenn's Kartoffeln gibt

16.02.2011 - 08:50 Uhr
The Future
moviepilot
The Future
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Zwei Mal Wettbewerb in Folge. Nachdem gestern ja die eine oder andere Zitrone dabei war, bot der heutige Tag eine positive Überraschung und zwei Filme, die hielten, was sie versprechen.

Nach zwei Tagen in den frühen Pressevorführungen des Wettbewerbs merke ich schon die anstrengenden Seiten der Berlinale. Bei Eiseskälte radle ich morgens durch halb Berlin, nur um ein paar kümmerliche Minuten länger zu schlafen. Aber dann angekommen, empfangen mich die freundlich lächelnden Kino-Mitarbeiter und der Tag kann beginnen.

Nader und Simin – Eine Trennung von Asghar Farhadi
Es ist doch schön, wenn man in einen Film geht, und auf das Schlimmste gefasst ist, doch dann wieder erwarten gut unterhalten wird. So erging es mir, als ich innerlich fluchend in Nader und Simin – Eine Trennung Platz nahm: Das wird bestimmt wieder so ein seltsamer Nischenfilm, den jene, die das Thema interessieren könnte, nicht sehen dürfen. Das harte Leben im Iran, blablabla. Und das in aller Herrgottsfrühe!

Doch die Geschichte, die Nader und Simin – Eine Trennung erzählt, könnte überall spielen. Der Iran bietet nur einen Hauch Lokalkolorit. Die Handlung dieses Filmes, bei dem es um Schuld, Vertrauen, Rechtsbewusstsein und Überforderung geht, ist hier nicht in zwei Sätzen wiederzugeben. Gerade hier liegt seine Stärke: Komplizierte Probleme werden nicht mit einfachen Lösungen und hohlen Phrasen abgetan, sondern in ihrer ganzen vielfältigen Verschachtelung begriffen. Damit nährt sich dieses Gerechtigkeitsdrama in seiner Konfliktauflösung fast der Unausweichlichkeit einer griechischen Tragödie. Nader und Simin – Eine Trennung erzählt uns auch vom anderen Iran, in der die Leute auch ganz andere Sorgen haben, als Islamisten und Amerikaner. Sehr schön anzusehen und bis zur letzten Sekunde spannend ist der Film eine echte Empfehlung.

The Future von Miranda July
Danach kam Miranda July (Ich und du und alle, die wir kennen) und stellte mir ihre Version der Liebe im 21. Jahrhundert vor. Ein junges Paar will eine Katze adoptieren und merkt plötzlich, dass sie nur noch einen Monat in “Freiheit” gemeinsam haben, bis die Katze ihr Leben als unabhängiges Individuum beenden wird. In der resultierenen Torschlusspanik beschließen beide, alles nachzuholen, was sie in ihrem Leben vermissen. Während er sein ich aus der Zukunft besucht, fängt sie eine Affäre mit einem Wildfremden an. Überhaupt ist in diesem Film Surreales und Normales, Phantastisches und Realistisches oder Lustiges und Trauriges auf ganz entzückende Art gemischt.

So wird der Film umrahmt vom Monolog der verletzten Katze, welche von ihrer Einsamkeit und ihrer Angst berichtet, und gegen deren dunkle Seele die modernen Beziehungsproblemchen der Beiden lächerlich wirken. Überhaupt ist The Future sehr aufmerksam gegenüber den Ängsten und Wehwehchen moderner Paare, auch wenn ich sagen muss, dass ich mir solche Pärchen bestenfalls in Berlin Mitte vorstellen kann. Beide sind 35, irgendwie Künstlertypen, aber vor allem (möchtegern-)arbeitslos. Sie umarmen ihre Unabhängigkeit und merken nicht, wie sie sich damit isolieren. Sie gehören zueinander, aber haben gleichzeitig Angst vor dieser Nähe. Es sind diese Menschen, die immer etwas ganz Großes planen, und dann mit Mitte dreißig merken, dass sie immernoch auf das Leben warten, dass ihre Freunde schon längst führen.

Das Turiner Pferd von Béla Tarr
Eines gleich vorweg: Meine Besprechung von Das Turiner Pferd wird klingen wie ein schlimmer Verriss, aber so ist es gar nicht gemeint. Wenn ich jedoch allein die Handlung des Filmes erörtere, wird sich dieser Eindruck unmöglich vermeiden lassen. Ich dachte ja, uninformiert wie ich war, dass es um Nietzsches Italienerlebnis geht, wonach er seinen alles entscheidenden Nervenzusammenbruch hatte, nachdem er beobachtete, wie ein Pferd von einem Kutscher halbtot geprügelt wurde. Nein. Der Film handelt von dem Pferd, nachdem es wieder im heimischen Stall steht. Genauer gesagt handelt es von dem Bauer und seiner Tochter, dem dieses Pferd gehört. Was nun Nietzsche damit zu tun hat, hat sich mir nicht erschlossen. Diese beiden Bauern beobachtete ich dann sechs Tage lang beim Kartoffeln essen (er mit Salz und laut schmatzend, sie ohne Salz und in Stücken), Wasser holen, schlafen oder Pferd ausmisten, während draußen in kargen Landschaft ein furchtbarer Sturm tobt und das Pferd sowohl seinen Dienst als auch das Futter verweigert. Der gesamte Dialog des Filmes passt wahrscheinlich auf einen Bierdeckel.

Dennoch war ich wirklich faziniert von dem Film, was auch nicht dadurch beeinträchtigt wurde, dass ich ein paarmal weggenickt bin. Dieses körnige Schwarz-Weiß, diese karge Konstellation von Menschen, das unwirtliche Leben, das sie führen. All dies hatte doch auch etwas Biblisches, etwas Apokalyptisches, was sich am Ende auch zu bewahrheiten scheint. Das Turiner Pferd war so ein wenig die existentialistische Kunstfilm-Version von Bauer sucht Frau und wenngleich das Gegenteil von spannend, doch auch ungleich faszinierender und gruselig. Irgendetwas war in diesen Bildern, das von etwas ganz anderem sprach, das ich weder hören noch sehen und schon gar nicht in Worte fassen konnte. Vielleicht hab ich aber einfach nur schlecht geträumt.

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