Warum Moonlight nicht von der Oscar-Panne überschattet werden sollte

25.08.2017 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
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Moonlight wird in die Hollywood-Geschichte eingehen als der Film, der dann doch den Oscar gewann. Dabei ist das Drama wesentlich mehr als nur eine Oscar-Kuriosität und hat eure Aufmerksamkeit verdient.

An einem Sonntag im Februar 2017 wurden in Hollywood zum 89. Mal die Oscars verliehen. Der Filmpreis gilt als wichtigster der Traumfabrik und startete in der Vergangenheit schon diverse Karrieren - diejenigen, die vom mysteriösen Oscar-Fluch heimgesucht wurden, einmal außen vor gelassen. Alle paar Jahre schreiben Filme oder Stars Oscar-Geschichte. So war Halle Berry 2002 die erste afroamerikanische Schauspielerin, die einen Oscar als Beste Hauptdarstellerin gewann. Kathryn Bigelow erhielt 2010 als erste - und bislang einzige - Frau den Oscar in der Kategorie Beste Regie. Auch 2017 schrieb ein Film Geschichte. Das US-amerikanische Drama Moonlight gewann als erster Film, dessen Besetzung ausschließlich aus schwarzen Personen besteht, und der zudem einen schwulen Protagonisten hat, den Oscar als Bester Film. Aufgrund eines Fehlers bei der Verkündung des Gewinners geschah jedoch einer der größten Skandale in der Geschichte der Academy Awards, der die Signifikanz des Erfolges von Moonlight bis heute überschattet. Der Film bietet jedoch weit mehr als nur die Grundlage für die Memefizierung von Warren Beatty.

Das Oscar-Debakel

Es war der letzte Preis einer langen Verleihung, in der sich Hollywood - zum Teil peinlich deutlich - selbst auf den Rücken geklopft hat. Mit Mahershala Ali und Viola Davis gewannen zwei afroamerikanische Schauspieler in den Nebendarsteller-Kategorien. Das Musical La La Land räumte unter anderem in der Kategorie Beste Hauptdarstellerin und beste Regie ab. Damien Chazelle wurde durch seinen Gewinn der jüngste Regisseur, der je den Preis mit nach Hause nehmen konnte. Zur Verleihung des Preises für den Besten Film kamen Faye Dunaway und Warren Beatty auf die Bühne. Was folgte, sollte als größter Fauxpas der Oscar-Geschichte die Schlagzeilen des nächsten Tages und kommender Wochen dominieren.

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Die Verwechslung eines Briefumschlags führte dazu, dass zunächst die Produzenten von La La Land ihre Dankesrede starteten, bevor ein Stimmengewirr auf der Bühne darauf aufmerksam machte, dass etwas nicht stimmte. Kurz danach wurde verkündet, Moonlight sei der rechtmäßige Gewinner. Die Verblüffung stand allen Beteiligten ins Gesicht geschrieben, inklusive Barry Jenkins, der gänzlich überrumpelt den Preis entgegennahm. Der Moderator Jimmy Kimmel versuchte die Situation zu retten und sagte "Können wir nicht beide Filme gewinnen lassen?" und war somit - nach Warren Beatty - die zweite Person, die dem Film unfreiwillig seinen Moment des Sieges raubte. Kurz darauf waren die Oscars zu Ende. In der Berichterstattung über den Skandal ging der Gewinn des Films und die Bedeutung dessen etwas unter, insbesondere hierzulande.

Moonlight: i. Little

Der etwas "andere" Film

Moonlight ist der zweite Spielfilm des aus Florida stammenden Regisseurs Barry Jenkins. Nach seinem Regiedebüt, Medicine for Melancholy aus dem Jahr 2008, war er lange auf der Suche nach Material für einen Nachfolger. In Miami traf er schließlich auf den Autor Tarell McCraney, der 2003 das semi-autobiografische Theaterstück In Moonlight Black Boys Look Blue geschrieben hatte, das bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht veröffentlicht worden war. Jenkins und McCraney stammen aus einer sozial schwachen Gegend in Miami, Florida und blicken auf eine ähnliche Kindheit und Jugend zurück. Jenkins adaptierte das Theaterstück zu einem Drehbuch für einen Spielfilm. Dieser ist zum Teil eine semi-autobiografische Aufarbeitung beider Autoren. Sowohl Jenkins' als auch McCraneys Mutter litten an einer Drogensucht. Letztere starb an Komplikationen von AIDS.

Im Zentrum von Moonlight steht der afroamerikanische Mann Chiron (gespielt von Alex R. Hibbert, Ashton Sanders und Trevante Rhodes). Wir treffen ihn erstmalig im zarten Alter von circa 10 Jahren, als er von seiner Umgebung Little genannt wird. Schon früh wird er gehänselt und hat weder zu Hause noch in der Schule einen Rückhalt. Eine Ausnahme bildet sein Kumpel Kevin. Eines Tages trifft er auf den Drogendealer Juan (Mahershala Ali), der mit seiner Partnerin Teresa (Janelle Monáe) schnell eine elterliche Rolle in Littles Leben übernimmt. Dies geschieht sehr zum Unmut von Littles Mutter Paula (Naomie Harris), die ihm jedoch kaum Aufmerksamkeit schenkt und mehr mit dem Konsum harter Drogen beschäftigt ist.

Moonlight: ii. Chiron

In einer ersten herzzerreißenden Szene fragt Little Juan, was eine Schwuchtel ist. Juan erklärt ihm, dass "Schwuchtel" ein Begriff ist, um schwule Männer zu beleidigen. Daraufhin fragt Little ihn, ob er eine Schwuchtel sei. Juan beantwortet dies mit "Nein". Er könne zwar schwul sein, sich aber von niemandem Schwuchtel nennen lassen. Mit dieser Szene beweist Jenkins, dass er mit Moonlight einen "anderen" Film macht. Für gewöhnlich werden schwarze Männer, die in Ghetto-ähnlichen Gegenden aufwachsen oder aufgewachsen sind, als fast toxisch maskulin dargestellt. Juan ist jedoch verständnisvoll und gibt Little - zu Recht - das Gefühl, dass es okay wäre, schwul zu sein.

Die Erzählung von Chirons Geschichte erfolgt in drei Kapiteln. Im ersten steht Little im Zentrum. Das nachfolgende heißt Chiron und widmet sich der Teenager-Variante der Hauptfigur. Im dritten und letzten, Black, treffen wir auf eine erwachsene Version Littles.

Moonlight: iii. Black

Neben der Findung der eigenen sexuellen Identität behandelt Moonlight weitere Themen, die im amerikanischen Film oftmals ignoriert oder in einer Nebenhandlung erzählt werden. Die gesamte Besetzung besteht aus afroamerikanischen Schauspielern und Schauspielerinnen. Das für sich ist eine Leistung. Zudem ist es kein Film, in dem ein historisches Ereignis aufgearbeitet wird, der sich zum Beispiel mit der Geschichte des Sklavenhandels (dies ist keine 12 Years a Slave-Kritik) oder der Bürgerrechtsbewegung auseinandersetzt (siehe Selma). Die Figuren in Moonlight leben zum größten Teil in ärmlichen Verhältnissen. Einer der wenigen Auswege ist es, vom unglücklichen Schicksal anderer zu profitieren, wie zum Beispiel durch den Drogenhandel. Juan ist ein positives Rollenbild für Little. Nichtsdestotrotz ist er auch an seiner Misere schuld, da er Littles Mutter ermöglicht, an Drogen zu kommen. In Moonlight leben die männlichen Figuren frei nach dem Motto "Der Stärkste gewinnt". Little bzw. Chiron werden aufgrund ihres Kontrastes zu diesem gängigen Männerbild von ihrer Umgebung schikaniert. Die Entwicklung Chirons ist Ausdruck dessen, welchem Druck sich Männer unterworfen fühlen, einer gewissen Erwartung gerecht zu werden, insbesondere in einer Gegend, in der Andersartigkeit als Schwäche interpretiert wird.

Sexuelle Identität, die Dekonstruktion und Analyse des Männerbildes, ein Einblick in die Welt armer afroamerikanischer Bürger und Bürgerinnen mitten in Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten: Barry Jenkins gelingt es in Moonlight, alle diese Themen zu kombinieren, und er schafft einen meisterhaften Film, der Zuschauer und Zuschauerinnen in seinen Bann zieht. Auch jene, die sich mit keiner der aufgeführten Thematiken identifizieren können, sollten sich den Film unbedingt anschauen. Moonlight behandelt nämlich auch die Liebe. Liebe zu Vorbildern, potentiellen Partnern, der eigenen Mutter. Und Liebe kennen wir doch alle, oder?

Moonlight: Little und Juan

Moonlight unterscheidet sich in seiner Herangehensweise stark von anderen Filmen, die in die jährliche Oscar-Saison starten. Die Geschichte wird sehr unaufgeregt und in einem elliptischen Stil erzählt. Was hier gänzlich fehlt, ist zum einen die emotionale Schwere, die oftmals in typischen Oscar-Filmen zu finden ist, wie zum Beispiel Brokeback Mountain. In diesem wird die Geschichte zweier schwuler Männer mit besonderer Betonung ihrer Tragik erzählt. Zum anderen verzichtet Jenkins darauf, die Zuschauer mit einem Gefühl des Abschlusses aus dem Film zu entlassen, wie es zum Beispiel in leicht erzählten historischen Geschichten wie The Help oder Hidden Figures geschieht. Am Ende von Moonlight steht durchaus Hoffnung. Es liegt bei Chiron, aus dieser das Beste zu machen. Moonlight ist keineswegs ein Film, der auf die Wählerschaft der Oscars zugeschnitten scheint, was seinen Gewinn nochmals interessanter und wichtiger macht. Dass er sich gegen ein leichtes Musical, das Hollywood zelebriert, durchsetzen konnte, lässt einen sich immer noch verwundert am Kopf kratzen, bevor die Freude über den Gewinn erneut einsetzt.

Es bleibt zu hoffen, dass Moonlight es schafft, sich vom Debakel der Oscar-Verleihung loszulösen und schließlich für die filmische Meisterschaft wertgeschätzt wird, die ihm zugrunde liegt.

Moonlight erscheint hierzulande am 25.08.2017 auf Blu-ray und DVD und wartet darauf, euch in seinen Bann zu ziehen.

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