Tag 4 - Cate Blanchett brilliert in lesbischem Liebesdrama

17.05.2015 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
"Just when you think it couldn't get any worse, you run out of cigarettes."
DCM Film
"Just when you think it couldn't get any worse, you run out of cigarettes."
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Cate Blanchett brilliert in Todd Haynes lesbischem Liebesdrama Carol und das Leben der Amy Winehouse wird in einer intimen Dokumentation aufgearbeitet. Cannes Tag 4 in der Rückschau:

Rund viereinhalb Stunden Wartezeit für Carol von Todd Haynes, das ist die Bilanz des 4. Festivaltages in Cannes. Also abgesehen von den Filmen. 90 Minuten in der Schlange für die erste Vorstellung und in Sichtweite der Scanner des Personals folgt die Ansage: voll! Noch einmal zweieinhalb Stunden zittern vor einem kleineren Saal mit meinem Lieblingskinonamen in Cannes: Bazin. Ganz vorne in der Schlange wird sich verbrüdert, was unter der Presse so viel heißt wie: "Ich übersetze dir das unverständliche Französisch der Festivalmitarbeiter." Oder: "Ich hole dir einen Espresso." Oder: "Ich verstehe zwar deine Sprache nicht, aber bei der Erwähnung der Google-Szene in The Sea of Trees schüttele ich verständnisvoll den Kopf." Zwischendurch schaut ein Sadist bei den Wartenden vorbei. Er sei nach einer Stunde aus Carol rausgegangen, so schlimm sei der Film. Alle halten sich die Ohren zu. "Er muss gut sein, er muss gut sein", wird zum allgemeinen Mantra.

Viereinhalb Stunden, damit wäre ein Gros von Miguel Gomes' Epos Arabian Nights geschafft, der in drei Teilen an drei Tagen in Cannes gezeigt wird. Das Ringen um die Entscheidung, Gomes auf den Plan zu setzen oder nicht, hat ebenfalls ein mehrstündiges Epos verdient. Bei mir fiel er raus, denn nur einen Teil des unpraktisch terminierten Sechsstünders des Regisseurs von Tabu - Eine Geschichte von Liebe und Schuld zu sehen, kam nicht in Frage. Alle drei wären aus verschiedenen, sehr überzeugenden Gründen nicht machbar gewesen. Cannes bedeutet Commitment, um Networking-Sprache zu bedienen. Sechs Stunden Gomes oder keine; Carol sehen, egal wie viel Zeit dafür draufgeht; das Baguette vom Strandimbiss herunterwürgen und den ledrigen Mozzarella einfach ignorieren. Aber, und das hat mich Mia madre von Nanni Moretti (Habemus Papam - Ein Papst büxt aus) gleich am Morgen gelehrt, hier wird zu viel gemeckert. Das wird Regisseurin Margherita (Margherita Buy) in Morettis Familiendrama vorgeworfen. Margherita dreht grottenschlechte linke Filme über die Mühen der Arbeiterklasse und muss sich gedanklich damit abfinden, dass ihre Mutter bald sterben wird. Wie in Das Zimmer meines Sohnes beobachtet Moretti mit einiger Sensibilität die Familiendynamik, was gegen Ende fast zu Tränen rührt. Nur würzt er das Drama einerseits mit einem urkomischen John Turturro als vergesslichen amerikanischen Schauspieler Barry. Der verschafft dem Zuschauer Erleichterung im Trübsal. Sein Auftritt suggeriert indes, dass Moretti und Turturro schon immer mal zusammen arbeiten wollten, unabhängig davon, ob es zum jeweiligen Projekt passt. Zum zweiten rechnet Moretti recht unverblümt mit (weiblichen) politischen Filmemachern ab, ohne seine Kritik über Stammtischdrehbuchideen hinauszubringen. Dabei passt die Regisseurin Margherita so gut zur starken weiblichen Präsenz hinter der Kamera beim diesjährigen Festival de Cannes...

Amy reiht sich da thematisch gut ein. Die Dokumentation von Senna-Regisseur Asif Kapadia verfolgt den Aufstieg und Fall der Amy Winehouse ausgehend von Homevideos, Live-Mitschnitten und ähnlichem. Wie in Senna wird auf Talking Head-Interviews verzichtet, was eine größere Nähe zum Subjekt der Doku mit sich bringt. Es bewegt ohne Frage, wenn Winehouse' familiäre und gesundheitliche Probleme aufgereiht werden, wenn das allgemeine Versagen der Familie, insbesondere ihres Vaters, den Weg zur Tragödie bereiten. Dennoch will die offensichtliche Schuldzuschreibung des Films nicht so leicht geschluckt werden. Irgendwann machen die intimen Heimvideos der Freunde den Paparazzi-Aufnahmen Platz und Amy folgt dem klassischen Mythos vom Künstler, der durch den Erfolg verzehrt wird. Dabei fasziniert absolut, wie ein Leben über die Jahre medial konstruiert und konsumierbar gemacht wird. Gerade auch wegen Präsenz von Camcordern und später Handyvideos, die jeden ihrer entscheidenden Schritte schon vor dem Ruhm zu dokumentieren schienen. Die Medienkritik dieses Dokumentarfilms verliert allerdings enorm an Biss, wenn jene Paparrazzi-Bilder und -Videos, die Winehouse' öffentliches Leben zur Hölle machten, hier bedenkenlos ausgeschlachtet werden, um Höhe- und Tiefpunkte zu illustrieren, während die Streicher auf der Tonspur anheben. Damit wird in Amy eine Komplizenschaft mit jenen eingegangen, die filmisch an den Pranger gestellt werden, damit "das Publikum" - erst des Niedergangs, dann des Films - der Tragödie auch schön die praktischen Feindbilder zuordnet.

Von der Regisseurin über die Sängerin und schließlich zu Carol, die in den 1950er Jahren ein hübsches Vorstadthaus besitzt, eine süße Tochter hat und einen unerschöpflichen Vorrat roten Nagellacks. Hinter der perfekten Fassade, die Cate Blanchett in Form einer einschüchternden Eleganz in jeder Pore ihres Körpers zu suggerieren vermag, bröckelt es. Nun liegt es an der Verkäuferin Therese (Rooney Mara), diese zum Einsturz zu bringen. Obwohl Todd Haynes den Sirk-Level in Carol massiv herunterdreht, liegt sein Vorstadt-Drama Dem Himmel so fern als Referenz auf der Hand. Die lesbische Liebesgeschichte in Carol verstößt ebenso gegen die Konventionen der Zeit wie die zwischen einer Mittelklasse-Hausfrau und einem schwarzen Gärtner. Jedoch stehen Carol und Therese bereits in Sichtweite der sexuellen Revolution, ohne es zu wissen. Die eine drängt auf die Scheidung, die andere ist im Begriff, aus einem typischen Frauenberuf auszubrechen und sich selbst zu verwirklichen. Ihre Annäherung verläuft zaghaft, zärtlich und vielschichtig, wenn das Kinderbild der jüngeren Geliebten die eigene Tochter in Erinnerung ruft. Die Facetten dieser Beziehung werden von einer blendenden Cate Blanchett und einer ebenbürtigen Rooney Mara gestemmt. Dabei setzt Haynes kaum auf emotionale "Szenen", sondern erfährt seine Heldinnen durch ihre Blicke, die aus der repressiven Umgebung auszubrechen suchen. Die melancholischen, verlorenen Blicke durch tränende Autofenster und jene, die ein Gegenüber finden und nicht mehr loslassen wollen.

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