Adams Rippe dient den teuflischen Damen in Suspiria als eiserner Haken, mit dem statt Heuballen verrenkte und verknotete Leiber ins Dunkel geschleift werden. Angesiedelt im Jahr 1977, als Dario Argentos Horrorklassiker ins Kino kam, spielt auch das Remake von Call Me By Your Name-Regisseur Luca Guadagnino in Deutschland. Statt in München landet die neue Susie Bannion (Dakota Johnson) im geteilten Berlin. Das Wetter ist nicht viel besser. Aus dem Farbenrausch des Originals wird die chaotische Zeit des Deutschen Herbstes. Possession ist bereits aus der Ferne zu erahnen. Das Remake von Suspiria, das im Wettbewerb des Festivals von Venedig Premiere feiert, begegnet seiner eigenen latenten Überflüssigkeit mit einer Flucht nach vorn. Wo Argento mit dem Schritt aus dem Flughafenterminal ein erzählerisch reduziertes Horrormärchen eröffnete, begegnet das Remake jedem "weniger" des Originals mit einem "mehr". Mehr städtischer, mehr historischer Hintergrund, mehr Charakter, mehr Tanz, mehr Plot, bis die 150 Minuten knapp wirken für das überbordende Werk. Eine konsequente Herangehensweise an das Remake haben die Macher damit gewählt. Niemand wird bei dem neuem Suspiria ernsthaft behaupten können, das alles schon bei Argento gesehen zu haben.
Der neue Suspiria ist geprägt von RAF und deutscher Teilung
Adams Rippe kommt in der Berliner Tanzschule immer dann zum Einsatz, wenn eines der Mädchen aus der Reihe tanzt. Am Anfang steht ein Verschwinden. Chloë Grace Moretz‘ Patricia erzählt im Prolog einem Psychotherapeuten von ihrem Verdacht. In der Schule stimmt etwas nicht. Reine Einbildung, meint der Therapeut, der sich im Film als Schnittstelle der Außenwelt immer dann ins Bild drängen wird, wenn es auf dem Parkett von Madame Blanc interessanter zur Sache gehen könnte. Patricias leeres Zimmer wird zum Glücksfall für Susie aus Ohio, die sich vom Vortanzen an zur Lieblingsschülerin von Madame Blanc entwickelt (Tilda Swinton in einer ihrer mal mehr, meist weniger glaubwürdigen Rollen im Film). Kam die erste Susie als Lamm in ein Schlachthaus, fühlt sich diese hier pudelwohl. Susie wurde für diesen Ort und Madame Blancs Choreografien geboren, selbst wenn das Tausende Kilometer entfernt im denkbar ungeeigneten Ohio geschah. Indessen geht der Psychiater dem Verschwinden Patricias nach, das ihn geradewegs ins Fadenkreuz des Matriarchats der Tanzschule führt.Das Verschwinden der jungen Frauen wird in dieser Version von Suspiria bewusst mit der deutschen Zeitgeschichte assoziiert. Treibende Motivation des Seelenklempners ist die Erinnerung an seine während der NS-Zeit verlorene Ehefrau. Patricia wiederum machte sich in der Schule anscheinend durch ihre politischen Umtriebe unbeliebt. Sie wollte lieber Kaufhäuser in die Luft jagen als tanzen. Mit dem deutschen Herbst wird in der ersten Stunde der Hintergrund zugekleistert. Die Entführung von Hans Martin Schleyer begrüßt Susie in Berlin, die Geiselnahme der Landshut in Mogadischu klinkt sich medial ein und die Todesnacht von Stammheim scheint durch die Parallelisierung der horrenden Ereignisse in und außerhalb der Tanzschule die Eskalation noch zu befördern.
So bildet sich durch das Setting im Mindesten ein Prisma, um die auch in diesem Suspiria drohende Opferung der Jungen für die (hexenden) Alten neu zu betrachten. Das dunkle Treiben in der Tanzschule erscheint auch hier wie eine abgeschottete Welt, vor allem bildet es das unentdeckte Land einer Tiefenanalyse, die jeden Psychiater in Schockstarre versetzen würde. Regisseur Guadagnino selbst verweist im Festivalkatalog auf die feministische Revolution des Jahres 1977 als Referenzpunkt. Die vielen revolutionären Triebe der Zeit geraten, so diese Lesart der Suspiria-Geschichte, in Konflikt mit der alten Garde, in West-Berlin und in der Tanzschule mit Altbau-Kommunen-Charme.
Dakota Johnson gehört die Bühne in Suspiria
Das klingt nun nach einer filmischen Hausarbeit für die Uni. Die erwähnten Abstecher zu dem Psychiater, der angeblich von einem gewissen Lutz Ebersdorf gespielt wird, aber wie Tilda Swinton mit einer Latexmaske aussieht, diese Abstecher besitzen die Verve einer Pflichtübung, die erst in den allerletzten der 150 Minuten belohnt wird. Zurück zum Tanz drängt es einem nämlich in jeder Szene, die außerhalb der hohen Decken spielt. Angela Winkler, Ingrid Caven und Renée Soutendijk bilden einen würdigen Ersatz für die Menagerie der einschüchternden Madames aus dem Original. Besonders auf Winklers viel sagende und gleichzeitig opake Blicke stützt sich die Inszenierung. Eine Latexmaske braucht diese großartige Schauspielerin nicht. Was nur zu 50 Prozent als Kritik an Tilda Swintons Darbietung(en) in Suspiria gemeint sein soll. Ihre Madame Blanc wird als charismatischer Fixstern am Firmament der unerfahrenen Susie eingeführt, bevor sich Susie zum elektrisierenden Fixstern ihrer Meisterin entwickelt. Dakota Johnson und Tilda Swinton erweisen sich bei diesem intensiven Schmieden eines unsichtbaren Bandes als ebenbürtig.
Die Bühne Suspirias gehört Dakota Johnson, mit der Guadagnino bereits A Bigger Splash drehte. Kamera, Schnitt und die schwelende Musik von Radiohead-Frontmann Thom Yorke sind ihr behilflich, um in den Tanzszenen ihr Feuer zu entfesseln. Da hüpft und schlägt und räkelt sie sich animalisch auf dem Boden, als wollte sie die ganze zerklüftete Welt mit ihren Bewegungen zusammenziehen, nur um sie wieder zerbersten lassen. Weil sie es kann. Bei aller historischer wie politischer Aufladung der Story, findet sich Suspiria erst, sobald Susie und ihre Begleiterinnen auf das Parkett losgelassen werden. Es knirscht im ganzen Haus. Die Hexen dieses so gut wie ausschließlich mit Frauen besetzten Films durchfährt das Wissen um die neue Macht in ihrem Zentrum. Die neue Susie, die sehr genau weiß, was sie will, greift in den Choreografien nach jedem Marmorstein in diesem Gebäude, jedem Menschen und vermutlich jedem Handlungsmotiv und jeder geschichtlichen Referenz. Sie hält sie alle in ihrer Faust. Ein tiefer, von unerklärlichen Kräften ausgestoßener Seufzer hängt in der Luft. Für ein paar Minuten sehen und hören wir da einen echten Suspiria.
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