Clint Eastwood wurde mit dem neusten Remake von A Star Is Born in Verbindung gebracht. Es wäre faszinierend gewesen, wie Eastwood, der an der Schwelle zwischen dem alten Hollywood der ersten Verfilmungen und der Populärkultur der dritten berühmt wurde, diese altehrwürdige Geschichte von Aufstieg und Fall verhandelt hätte. Oder eine Vollkatastrophe. Fakt ist nun Bradley Coopers Neuverfilmung, die beim Filmfestival von Venedig außerhalb des Wettbewerbs läuft. Fakt insofern als alle paar Generationen ein neuer Stern geboren wird und dieser hier wird unserer bleiben (bis zur Serien-Adaption beim nächstbesten Streaming-Anbieter). Als Hauptdarsteller füllt Lady Gaga diesen Stern aus. Ihre junge Sängerin Ally durchläuft eine Metamorphose, die Gagas eigene Image-Entwicklung auf den Kopf stellt. Am Anfang steht die rohe Joanne, am Ende, wenn schon kein Fame Monster, so doch ein moduliertes Star-Gesicht. Je weiter sich der neue A Star Is Born von seinen Anfängen entfernt, desto mehr sehnt man sich nach diesem Rohdiamanten, der in der zweiten Hälfte Szene für Szene abgeschliffen wird. Ein Star wird in dem, es lässt sich nicht anders beschreiben, aufpeitschenden Musikfilm geboren, so will es die Geschichte, wie sie seit 1937 periodisch erneuert wird. Dabei geht etwas anderes verloren.
Bradley Coopers A Star Is Born: Das gelungene Remake eines gescheiterten Remakes
Bradley Cooper gibt sein Regiedebüt mit dieser überraschend altmodisch angelegten Liebesgeschichte einer aufstrebenden Sängerin und eines trunksüchtigen Country-Stars. Er entdeckt sie in in einem Club, lädt sie auf die Bühne ein. Sie wird berühmt, wird geformt. Er geht in ihrem Schatten zugrunde. Die Grundzüge sind erhalten geblieben. Allys Vater wird mit seinen aus einem David O. Russell-Film entflohenen Vorstadt-Italoonkeln verwundert über die YouTube-Views diskutieren, die Allys erster großer Auftritt sammelt. Sie geht viral. "Wie zählen die das?", kratzen sie sich für einen Filmlacher an den Kopf. Im Grunde schlägt sich Cooper auf ihre Seite. Social Media spielt keine Rolle, Smartphones, das Werkzeug schlechthin, um die eigene Berühmtheit zu steuern oder sie eskalieren zu lassen, sind geringfügig wichtiger. Das zeugt von einem Willen zur Zeitlosigkeit und einem prinzipiellen Desinteresse an der Frage, was das Star-Sein heutzutage ausmacht.
Was Star-Sein in der Liebesgeschichte anno 2018 allenfalls ausmacht: Die Blase auf der Bühne. Darren Aronofskys Stammkameramann Matthew Libatique zeichnet mit für die Konzertszenen verantwortlich, die diesen A Star Is Born näher an dem Streisand-Debakel mit Kris Kristofferson in der Cooper-Rolle verorten. Wir haben es hier mit einem gelungenen Remake eines gescheiterten Remakes zu tun. Die ersten beiden Filme von William A. Wellman (1937) und George Cukor (1954) spielten jeweils im Filmgeschäft, was ein prinzipielles Problem eröffnete: Wie stellt man in einem Film das Können eines Filmstars dar? Im ersten und weiterhin besten Film aus dem etwas anderen Sternen-Zyklus stand Janet Gaynors Passionsgeschichte der Empathie an der Seite ihres fallen gelassenen Filmstar-Gatten (Fredric March) stellvertretend für ihre angenommene Leistung in den Filmen-im-Film, die sie berühmt machen. Wir sehen Gaynor in der Rolle und glauben, ihr allen anderen. Bei Judy Garland 1954 war es der Gesang auf der Bühne, in Filmsets und daheim, der diese Funktion übernahm. Im Streisand-Remake von 1976 wurde die Story vollends ins Musikgeschäft verlegt, wenn auch seltsamerweise die öde Musik der größte Makel des Films war (neben vielen anderen).
Lady Gaga behauptet sich in A Star Is Born
Der neue A Star Is Born lebt von den Konzertszenen, allerdings diesmal mit eingängigen Liedern und einer leidenschaftlich auf die beiden Sänger konzentrierten Inszenierung. Wenn die soeben aus einem Sackgassenjob entflohene Ally mit dem Country-Rocker Jack (Cooper) auf der Bühne steht, bleiben die Zuschauer außen vor. Die Sänger bewegen sich in ihren eigenen zarten Blasen auf der Bühne und zum Crescendo treffen und vereinen sie sich, um unsere Nackenhaare gen Himmel zu jagen. Die Zuschauer - letztlich Generatoren des Star-Seins aus dem Titel - als Statisten zu bezeichnen, wäre zu viel des Guten. Eine lautstarke, unscharfe Kulisse bleiben sie, zurückgelassen und vergessen im Schnittraum. Alles, was zählt, sind die beiden, hier und jetzt.
Mehr noch als die anderen offenbart sich dieser A Star Is Born als ein Beziehungsdrama. Heruntergekocht aufs Wesentliche geht es weniger um Ruhm und vermutlich nicht mal um Musik. Die Männer in diesen vierfach verfilmten gescheiterten Beziehungen waren stets Süchtige. Trotzdem steht der Alkoholismus von Coopers Jack stärker im Scheinwerferlicht als sonst. Lady Gaga behauptet sich in ihrer bisher größten Schauspielrolle (abgesehen von Lady Gaga) und agiert schauspielerisch nur auf der Bühne so, als wolle sie sich gerade behaupten. Das Drehbuch von Eric Roth, Will Fetters und Cooper modelliert einige Stationen der Geschichte auf angenehm überraschende Weise zugunsten Allys. Redlich wird sich bemüht, sie als starke, selbstständige Frau zu zeigen, die dem Charme eines Trinkers nicht so einfach verfällt (man riecht Coopers Fahne bis in den Kinosaal).
Trotz aller Energie fehlt etwas in A Star Is Born
In erster Linie beraubt das Buch den fallenden Stern um einige seiner unangenehmen Kanten. Alkoholismus wird zeitgemäß als Krankheit verstanden. Der Todesdrall von Jack wird allerdings mit diversen äußeren Einflüssen zu erklären versucht, bis er wie das Ergebnis einer vollgestopften Gleichung erscheint. Sinnbild für Coopers Jack wird die Veränderung der Grammy- bzw. ehemals Oscar-Sequenz. Jeder A Star Is Born-Film passiert diesen erzählerischen Meilenstein. Auf dem Höhepunkt angekommen, wird der geliebte Entdecker dank einer öffentlichen Erniedrigung für den neuen Stern am Himmel zur Bürde. Im Film von Bradley Cooper balanciert die Fremdscham auf dem kaum noch sichtbaren Grat zwischen Comedy und Drama, was eher wie ein inszenatorischer Unfall wirkt, als eine bewusste Entscheidung. Ich schreibe es nicht oft, aber hier sehnte ich mich nach einem wie David O. Russell und insbesondere Silver Linings. Der traute sich immerhin, Coopers Charisma die abstoßenden Taten seines Helden tragen zu lassen. Was in dessen eigener Regiearbeit fehlt. Drehbuchstützen en masse werden aufgefahren, um zu Hilfe zu eilen.
Wenn jedoch diese Ally diesen Jack bei einer Drag Show kennenlernt und wie er um sie wirbt und sie ihm auf die Bühne ins regenbogenfarbene Rampenlicht folgt - da steckt ein ganzes Kraftwerk an gemeinsamer Chemie von Bradley Cooper und Lady Gaga drin, befeuert von Sam Elliott als Jacks Bruder, das den Film 130 Minuten lang am Laufen hält. Die Eastwood-Version hätte ich trotzdem gern gesehen.
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