Aufbruch zum Mond: Wenn Ryan Gosling heult, haben wir verloren

29.08.2018 - 19:00 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Ryan Gosling in Aufbruch zum MondUnivrsal
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Für seinen La La Land-Regisseur jagt Ryan Gosling in Aufbruch zum Mond in den Weltraum. First Man, so der Originaltitel, trifft es beim Eröffnungsfilm des Festivals von Venedig eher. Oder besser: Only Man.

Klack, klack, klack. Mit Ameisen-Hammerschlägen verschafft sich der Höhenmesser Gehör. Jedes klack stellvertretend für 1000 Fuß, die Neil Armstrong ungewollt in seiner X-15 gen Weltraum treibt. Es ist die falsche Richtung und doch fasst der Auftakt von Aufbruch zum Mond den Sog zusammen, der die folgenden 130 Minuten dominieren wird. Der Horizont des Erdballs spiegelt sich auf Armstrongs Gesicht, es läuft Gefahr von der schwarzen Leere des Weltraums verschluckt zu werden. Oder wünscht er sich genau das? Nach weltberühmten wahren Begebenheiten erzählt der neue Film von Damien Chazelle von den Anstrengungen, die Neil Armstrong 1969 zum ersten Menschen auf dem Mond machen sollten. Mit dem Eröffnungsfilm des Festivals von Venedig kehrt Chazelle an jenen Ort zurück, wo La La Land Premiere feierte. Ryan Gosling spielt den Geschichte machenden Astronauten, der sich in seiner nüchtern-schüchternen Art der medialen Heldenverehrung entzieht. Er ist genau der richtige für den Posten. Dabei wird das Streben Armstrongs in Aufbruch zum Mond als Jahre und Millionen Steuerzahler-Dollar umspannender Versuch betrachtet, endlich irgendwo anzudocken. Ja, so ein Film ist das.

Aufbruch zum Mond: Ryan Gosling in einer Ode an die NASA

Aufbruch zum Mond ist ein Liebesbrief an die NASA. Jedes Klack des Testflugs, jede Warnleuchte in der Gemini VIII, sogar die mit getrockneten Überresten von Erbrochenem verzierten Hemden der Auszubildenden werden mit der Genauigkeit eines Liebhabers betrachtet, der vierblättrige Kleeblätter in Poesiebänden konserviert. Die Materialliebe kommt einem aus Chazelles Schlagzeuger-Drill Whiplash bekannt vor. Nur wird die Musik über weite Strecken von den Furienschreien ersetzt, die Armstrong und seine unscharfen Begleiter in die Atmosphäre und darüber hinaus begleiten. Das ist keine Übertreibung. Der Weg ins All ist ein Höllenritt knirschenden Metalls, röhrender Triebwerke und piepsender Alarme, jedes Ventil ein Instrument des Infernos. Armstrong zieht es wiederholt hinein. Das ist das Mysterium im Kern des Films. Dieser Armstrong schwingt keine Reden, öffentliche Aufmerksamkeit ist ihm zuwider und im Cockpit blickt er den Weiten des Weltraums beinahe ausdruckslos entgegen. Goslings Held könnte auch in einem thailändischen Dampfbad neben Nicolas Winding Refn stehen. Ein Lächeln hier und da emuliert mechanisch die Hollywood-Konvention.

Aufbruch zum Mond

Als Urknall dieses Drangs in die Höhe positioniert das Drehbuch von Josh Singer den Tod von Armstrongs kleiner Tochter Karen an den Folgen eines Tumors. Im Januar 1962 wurde die Tochter begraben, im April "sprang" Armstrong mit der X-15 aus der Atmosphäre Richtung All. Daheim gibt Gosling eine introvertierte Nerd-Version von Brad Pitts Vorstadtvater aus Malicks Tree of Life. Sie sind Kinder ihrer Zeit. Geweint wird hinter verschlossenen Türen. Armstrong zeigt sich unfähig und unwillig, über den Verlust zu sprechen, ob mit Ehefrau Janet (Clarie Foy) oder seinen Kollegen (Jason Clarke, Patrick Fugit).

Aufbruch zum Mond: Der einzige Mann auf der Welt

Weitere Beerdigungen werden folgen und mit jeder scheint der Lärm sich zu steigern. Regenströme auf den Dächern, Autoreifen, Kindergeschrei, fragende Journalisten. Und Steuerzahler. Als sozialhistorische Erweiterung der singulär auf Armstrong fixierten Vision von Aufbruch zum Mond halten Proteste gegen die Regierung her. Gil Scot-Herons Whitey on the Moon soll die öffentliche Stimmung in beinahe forrestgumpiger Einfachheit zusammenfassen. So viel Geld werde für die NASA verschwendet, während Teile des Landes dahinsiechen. Wie sollen wir diese Störgeräusche ernst nehmen, wenn die Welt ausschließlich aus der Strecke zwischen Neil Armstrong und dem Erdtrabanten besteht? Wir sind auf Neils Seite, die Kritiker bleiben Spielverderber.

Aufbruch zum Mond

Aufbruch zum Mond ist Armstrong mit Schraube und Mutter verschrieben, jede andere Figur des Films bleibt Reflexionsfläche seines verborgenen Innenlebens. Gosling hat sich diesem Schauspielmodus derart verschrieben, dass seine an einem Victory-Zeichen abzählbaren Emotionsausbrüche amateurhaft wirken. Oder wie deplatzierte Zugeständnisse an die Erwartungen. An nachvollziehbaren Reaktionen, aber vor allem an Hollywood-Erzählungen, die unsere Sympathien kanalisieren. Mit Claire Foy wurde ihm nicht zufällig eine Schauspielerin gegenübergestellt, deren jede Wimper Ausdrucksstärke suggeriert. Während Chazelle und Komponist Justin Hurwitz durch die obligatorische Kubrick-Referenz rotieren, kommt die Sehnsucht nach Soderberghs Psychothriller Unsane auf, in dem Foy ihre durch die Netflix-Serie The Crown gewonnene Bekanntheit in schauspielerisches Kapital umwandeln konnte. Andererseits ist jede Rolle, die in Aufbruch zum Mond nicht von Ryan Gosling gespielt wird, undankbar, ob Corey Stolls arroganter Schwätzer Buzz Aldrin oder Kyle Chandler in einer dieser Kyle Chandler-Nebenrollen, deren wesentlichste Eigenschaft Kyle Chandler bleibt.

So wie Goslings Neil Armstrong gelegentlich Hollywood-Menschen imitiert, scheint Chazelle sich in Aufbruch zum Mond als Mechaniker eines Kinos der großen Gefühle zu maskieren. In La La Land gelang ihm das geradeso, hier aber nicht. Zu offensichtlich schlägt sein Herz woanders. So falsch wirken die anschwellenden Streicher und majestätischen CGI-Nachstellungen von Raketenstarts. Apollo 13 bricht durch, obwohl Auslöschung thematisch näher liegt. Diese Ausbrüche, in denen der Film zu sich selbst mit der Distanz eines historischen Moments heraufblickt, laufen der Beschränkung auf Armstrongs Perspektive zuwider und auch Armstrong selbst. Aufbruch zum Mond überwältigt, wenn die sinnliche Abstraktion die Kontrolle übernimmt. Wir schauen dem einsilbigen Armstrong bei seinem Job über die Schulter. Die Furien besingen seinen Weg ins All und erst in diesen Szenen ist das Innenleben von Neil Armstrong tatsächlich greifbar - weil eben nichts erzählt werden muss, aber alles gehört und gesehen werden kann. Was nämlich jedes Mal auf diese Hölle folgt: Stille.

Weitere Berichte vom Filmfestival in Venedig:

Was haltet ihr von Damien Chazelle als Regisseur?

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