Streaming und der schleichende Niedergang des Bonusmaterials

24.09.2017 - 08:50 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Hobbit - Hinter den KulissenWarner Bros. Pictures Germany
15
7
Stunden von Making-ofs, Audiokommentare und massenweise Hintergrundwissen. Mit dem Aufkommen der DVD bekamen Fans tiefe Einblicke in die Entstehung von Filmen. Doch die Zukunft des Streamings könnte das Ende des Bonusmaterials bedeuten.

Im Zuge unseres Streaming-Specials befassen wir uns nicht nur mit den paradiesischen Utopien, die uns durch den Erfolg der Streaming-Dienste erwarten. Denn der schwindende Absatz von Heimkinomedien wie DVDs und Blu-rays und der Exklusivvertrieb von Filmen auf Streaming-Portalen könnte das Ende der Ära des Bonusmaterials einläuten. Hierzu wollen wir euch einen kleinen Rückblick auf das Phänomen Special Features geben und uns den aktuellen Stand und Rücklauf von besonderen Extras anschauen.

Als die DVD um die Jahrtausendwende auf dem Vormarsch war, hatte sie einen großen Vorteil gegenüber der VHS-Kassette. Zahlreiche Extras wie beispielsweise Making-ofs, geschnittene Szene, alternative Enden und Audiokommentare kannten Fans bisher hauptsächlich von Laserdiscs. Auch auf VHS-Kassetten fanden sich öfters spezielle Extras im Anschluss an den Hauptfilm, die jedoch mit dem runden Silberling nun einfacher zugänglich wurden. Bonusmaterialien wurden hauptsächlich von den Verleihern genutzt, um den anfangs teuren Preis des neuen Mediums zu rechtfertigen. Dieser Mehrwert sorgte dafür, dass eine ganze Generation von Filmfans spannende Einblicke und Hintergrundinfos zu den Produktionsabläufen ihrer Lieblingsfilme bekamen.

Ein verstecktes Extra: Yoda tanzt Hip Hop

Easter-Eggs und interaktive Inhalte
Um den Verkauf der Heimkinomedien anzukurbeln, gab es neben Einzeldisc-Veröffentlichungen zahlreiche Special Editionen, die besondere Schnittfassungen, wie Director's Cuts und haufenweise Extras anboten. Durch die Technik der DVD waren erstmals auch interaktive Funktionen möglich. So gab es zum Beispiel eine interaktive Version des Horrorfilms Final Destination 3, in der der Zuschauer das Schicksal und die Entscheidungen der Figuren beeinflusst. Neben kleinen Minispielen auf vielen DVDs waren die Highlights dieser Interaktivität die versteckten Easter-Eggs, die durch spezielle Menüführungen oder Tastenkombinationen aufgerufen wurden. Ein prominentes Beispiel eines Easter-Eggs ist wahrscheinlich die versteckte chronologische Schnittfassung von Christopher Nolans Memento, welche sich auf der amerikanischen limitierten 2-Disc-Edition befand. Nur durch die Lösung eines speziellen Minispiels konnte auf diese Schnittfassung zugegriffen werden. Weitere Beispiele für besondere versteckte Extras haben wir hier einmal aufgelistet:

Die Höhen und Tiefen der Zusatzinhalte
Doch die besten Extras auf DVDs und später auf Blu-rays sind wahrscheinlich die vielen Audiokommentare der Filmemacher und umfangreiche Making-ofs, mit denen Fans Stunden und Tage in die Welt und Entstehung eines Films eintauchen können. Auf der Special Edition des Science-Fiction-Horrors Prometheus - Dunkle Zeichen konnten Ridley-Scott-Fans in über 3,5 Stunden die einzelnen Entwicklungsprozesse seines Alien-Prequels verfolgen. Auch zu den vier Alien-Filmen entstanden umfassende Dokumentationen, die Fans durch DVDs und Blu-rays zu Gesicht bekamen. Die wohl umfangreichste Begleitung eines Filmprojekts war die Entstehung von Peter Jacksons Herr-der-Ringe-Trilogie und später seine Hobbit-Trilogie. Auf den Sondereditionen der Filme fanden sich nicht nur erweiterte Versionen der Fantasyfilme, sondern auch stundenlange Making-ofs, die detailliert die Produktionsarbeiten dokumentieren. Es gibt noch so viele unzählige Bonus-Highlights, an die sich Filmfans gerne zurückerinnern.

Hinter den Kulissen zu Prometheus

In den letzten Jahren zeichnete sich jedoch ein spürbarer Rückgang der Fülle an Extras auf DVDs und Blu-rays ab. Immer seltener finden sich umfangreiche Extras auf den runden Scheiben und oft bestehen die Making-ofs aus Ausschnitten von Promotion-Materialien. Dies ist besonders bei Indie-Filmen zu spüren, die nicht von großen Hollywoods-Studios produziert wurden. Auch bleibt öfters bei vielen Unrated-Versionen von Komödien oder Extended Cuts mittlerweile ein fader Beigeschmack, dass diese Versionen nur als Kaufargument erstellt wurden, und kaum einen Mehrwert bieten. Dies liegt zum Teil daran, dass viele Produktionen immer weniger (wenn überhaupt) Geld für die Erstellung von Bonusmaterialien ausgeben wollen. Die großen Hollywood-Blockbuster mal ausgenommen, schrumpfen in den letzten Jahren die Produktions-Budgets immer weiter. Und natürlich fällt die Beschäftigung von Making-of-Teams als erstes der Kostenschere zum Opfer. Doch ist diese Entwicklung wirklich dem Boom des Streaming-Marktes zuzuschreiben?

Die harten Fakten
Wir haben uns die deutschen Verkaufszahlen im Heimvideomarkt (Quelle: FFA ) der letzten Jahre angeschaut und der Eindruck, dass Streaming bald die DVD und die Blu-ray ersetzen könnte, verstärkt sich. Seit der Markteinführung der Blu-ray schwinden die Verkaufszahlen von DVDs seit 2008 jedes Jahr stetig. Jedoch ist die DVD immer noch das umsatzstärkste Medium im Heimkinobereich. Im Jahr 2016 machte die DVD knapp 45% des Heimvideomarktes aus und die Blu-ray nur 24%. Nach dem Start des Streamingdienstes Netflix im Jahr 2014 konnte der Umsatz-Anteil von SVoD (Subscription Video on Demand) nach nur zwei Jahren bereits 18% des Heimvideomarktes ausmachen. So konnten Streamingdienste in nur wenigen Jahren fast den Umsatz-Anteil des Blu-ray-Mediums erreichen, der seit vergangenem Jahr auch zu sinken beginnt. In den USA ist diese Entwicklung schon etwas weiter fortgeschritten. Wie die LA Times  berichtet, verzeichneten die Umsätze durch abonnierte Streaming-Dienste im Jahr 2016 einen Zuwachs von 23% auf 6,23 Milliarden Dollar. Das sind über 50% des gesamten Umsatzes des Heimkinomarktes, der 2016 rund 12 Milliarden Dollar ausmachte. Damit hat das digitale Medium die physischen Medien DVD und Blu-ray in den USA bereits überholt.

Ein stetiger Rückgang der Umsätze von physischen Medien zeigt sich deutlich in den Umsatzzahlen des Heimvideomarktes. Damit scheint die These, dass Streaming das physische Medium ablösen könnte, gar nicht mehr so abwegig. Und in dieser Entwicklung liegt auch das langsame Aussterben des Bonusmaterials. Denn wenn man sich die Verfügbarkeit von zusätzlichen Filminhalten bei den gängigen Streaming-Anbietern anschaut, zeichnet sich ein Bild des Horrors für Fans von Special Features ab.

Hat das Ding auch Bluetooth?

Die Schreckensvision der Streaming-Anbieter
Im Angebot von Netflix, Amazon Prime Video finden sich selten Zusatzmaterialien für Filme und Serien. Selten wird eine Making-of-Dokumentation (Beispiele: Sense 8, Tote Mädchen lügen nicht) bei Netflix als Bonusinhalt angeboten. Bei Amazon Video können zwar Filme inklusive Special Features käuflich erworben werden, allerdings finden sich außer einer Gesamtlaufzeit keinerlei Angaben zu den einzelnen Features. Wer also nicht auf Hintergrundinformationen zu seinen Lieblingsserien verzichten möchte, kommt um den Kauf einer DVD oder Blu-ray nicht herum. Viele Behind-the-Scenes-Reportagen oder Interviews lassen sich oft nur verteilt im Internet finden. Es bleibt bei den physischen Medien weiterhin der Vorteil einer zentralen Sammlung der Bonusinhalte. Obwohl beispielsweise eine Unterbringung von Audiokommentaren bei Netflix und Co. von technischer Seite kein Problem darstellen dürfte, sucht man vergeblich nach solchen Inhalten. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass der Rechteerwerb solcher Zusätze für die Streaming-Anbieter zu teuer sein dürfte. Auch auf DVD und Blu-ray gibt es öfters Audiokommentare oder Interviews, die auf den US-Veröffentlichungen zu finden sind, jedoch nicht auf den deutschen Versionen, da die Rechte für bestimmte Inhalte schwerer für einen deutschen Vertrieb zu erwerben sind und sich dies bei kleineren Indie-Titeln finanziell nicht lohnen würde. Ein aktuelles Beispiel wäre hier Ben Wheatleys Free Fire, bei dem der in Großbritannien und in den USA erschienene Audiokommentar von Wheatley, Cillian Murphy und Jack Reynor nicht auf der deutschen Veröffentlichung auf DVD und Blu-ray zu finden ist.

Wohin soll das alles nur führen?
Mit dem steigenden Anteil des Streaming-Angebotes scheint das Bonusmaterial dem Untergang geweiht zu sein, sollten die jeweiligen Anbieter nicht eine bessere Lösung für die Einbindung von Zusatzinhalten finden. Allerdings sind Netflix und Co. bisher nicht darauf angewiesen, überhaupt Extras zur Verfügung zu stellen. Alternative Schnittfassungen und Audiokommentare sucht man beim Streamen vergeblich. Die DVD und Blu-ray sind also weiterhin ein Muss für Fans, die mehr Hintergründe über ihre Lieblings-Filme und -Serien erfahren möchten. Mit Extras, die sich auf Streaming-Plattformen nicht finden lassen, haben die physischen Medien ein Alleinstellungsmerkmal, das sie weiterhin unverzichtbar macht. Kleinere Vertriebe wie Criterion (USA), Arrow Video (Großbritannien) oder Capelight in Deutschland pflegen die Kultur der Special Features und kümmern sich mit großer Sorgfalt darum, eine möglichst umfassende Sonderausstattung ihren Filmen hinzuzufügen. Doch gerade bei Indiefilmen wird es zunehmend schwerer, Special Features und Making-ofs zu finden. Die Entwicklung, dass viele Indie-Produktionen lediglich auf Streaming-Diensten und gar nicht mehr auf physischen Medien veröffentlicht werden, lassen die Stimmen der Macher im Hintergrund verstummen.

Der physische Heimvideomarkt bleibt weiterhin bestehen, muss aber wieder bessere Extras anbieten, um den Kauf im Vergleich zu einem in Abonnements enthaltenen Stream zu rechtfertigen. Bessere Auflösungen wie bei Ultra-HD Blu-rays können die Vormachtstellung des Streamings nicht aufhalten, denn in diesem Punkt beginnen die Anbieter bereits nachzuziehen. Mehr denn je sind zusätzliche Inhalte wie Making-ofs, Dokumentationen und Interviews die letzte Reserve, den Mehrwert der physischen Medien zu bewahren und ihr Aussterben zu verhindern. Mit reichhaltigen Bonusinhalten haben DVD und Blu-ray gegenüber dem Streaming einen großen Vorteil und bleiben als Sammlerobjekte bestehen.

Schaut ihr euch Extras an? Welche sind eure Lieblings-Special-Features?

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare

Aktuelle News