Sozialkritik siegt über Sex & Gewalt

16.08.2010 - 09:50 Uhr
Gewinner des Goldenen Leoparden: Han Jia
Filmfestival Locarno 2010
Gewinner des Goldenen Leoparden: Han Jia
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Das 63. Internationale Filmfestival von Locarno hat seine Gewinner gekürt. Das subtile chinesische Drama Han Jia konnte den Hauptpreis abräumen und sich damit gegen die skandalträchtigen Sex- & Gewaltorgien des Teilnehmerfeldes durchsetzen. Organisator Olivier Père wertet das Festival trotz Besucherrückgangs als Erfolg.

Am Samstag endete das 63. Internationale Filmfestival von Locarno mit der Preisverleihung auf der Piazza Grande. Wie von vielen Zuschauern und Fachbesuchern im Vorfeld bereits erwartet, ging der Goldene Leopard, der Hauptpreis des Festivals, wie schon letztes Jahr nach China. Die Jury unter Vorsitz des Regisseurs Eric Khoo aus Singapur kürte die leise Ballade Winter Vacation von Regisseur Ll Hongqi, die aus dem Alltag von halbwüchsigen, ihre Umwelt kritisch beurteilenden Schülern im heutigen China erzählt, zum besten Film der diesjährigen Beiträge.

Die übrigen Auszeichnungen sorgten jedoch für das ein oder andere überraschte Gesicht unter den Zuschauern und Kritikern. Den “Spezialpreis der Jury für den zweitbesten Film” gewann die französisch-rumänisch-ungarische Produktion Morgen von Regisseur Maria Crisan. Das ebenfalls sehr ruhig erzählte Drama schildert das triste Leben in der rumänisch-ungarischen Grenzregion und avancierte mit drei weiteren Nebenpreisen zum meistausgezeichneten Film des Festivals. Überhaupt scheint die Jury dieses Jahr vor allem vom Subtilen und Leisen beeindruckt gewesen zu sein und ignorierte alle gewalt- und sexgeladenen Beiträge, die sich beim diesjährigen Festival zahlreich tummelten. So mussten auch die Verantwortlichen der beiden im Vorfeld als pornografisch bezeichneten Beiträge Mann im Bad – Tagebuch einer schwulen Liebe und L.A. Zombie mit leeren Händen nach Hause gehen.

Der kanadische Film Curling erzählt eine subtile Vater-Tochter-Geschichte und konnte gleich zwei der wichtigsten Preise gewinnen. Regisseur Denis Côté wurde ebenso ausgezeichnet wie Hauptdarsteller Emmanuel Bilodeau, der als Vater zu gefallen wusste. Die Trophäe als beste Schauspielerin erhielt Jasna Duricic für ihre warmherzige Interpretation einer aufopferungsvollen Mutter in der deutsch-serbisch-schwedischen Koproduktion White White World des Serben Oleg Novkovic.

Sehr angetan zeigte sich die Jury von dem sechsstündigen chinesischen Dokumentarfilm Karamay, der von einem Brand erzählt, der Hunderten von Kindern das Leben kostete, weil sie Parteibonzen den Fluchtweg freihalten mussten. Er erhielt den Preis der Jugendjury und drei lobende Erwähnungen.

Augenscheinlich war es in diesem Festivaljahr der multikulturelle Charakter, der bei vielen Festivalbeiträgen ins Auge fiel. Einige Filme wurden durch die produktionelle und finanzielle Kooperation verschiedenster Nationen realisiert. Auch vier Filme mit deutscher Beteiligung konnten Akzente setzen. Dazu gehört der deutsch-ungarisch-französische Thriller Womb, der die Möglichkeit des menschlichen Klonens thematisierte und immerhin den Preis für Umwelt und Lebensqualität gewinnen konnte. Auch der Publikumspreis ging an deutsche Produzenten: Die Zuschauer entschieden sich für die israelisch-deutsch-französische Produktion The Human Resources Manager über den Kampf von Tradition und Moderne in Israel.

Das Festival von Locarno wurde in diesem Jahr erstmals vom Franzosen Olivier Père geleitet, der ein durchaus positives Fazit zog. Die Gesamtzuschauerzahl ging trotz massiv reduziertem Progamm im Vergleich zum Vorjahr nur minimal zurück, was vor allem den nicht immer angenehmen Wetterbedingungen bei den unter freiem Himmel präsentierten Vorführungen zugesprochen werden darf. Die Auszeichnungen bestätigen das Konzept des neuen künstlerischen Leiters, der auf die Förderung junger Autoren und Regisseure setzt, die mit eigener Handschrift ein Publikum bedienen, das im Kino mit Anspruch unterhalten werden möchte. Das macht Hoffnung auf viele weitere erfolgreiche Jahre beim Filmfestival in Locarno.

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