Sense8 - Unser erster Eindruck

07.06.2015 - 07:00 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Sense8 - Alles ist verbundenNetflix
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Lana & Andy Wachowski, ihres Zeichens Schöpfer der Matrix-Trilogie, und Babylon-5-Mastermind J. Michael Straczynski haben für Netflix eine Science-Fiction-Serie geschaffen, die auf den Namen Sense8 hört. Wir haben uns den Pilot für euch angeschaut.

Wenn die Schöpfer der Matrix-Trilogie sich mit dem Mastermind hinter Spacecenter Babylon 5 zusammentun, um für Netflix eine Science-Fiction-Serie auf die Beine zu stellen, dann sind die Erwartungen alles anderes als gering. Seit Freitag hat das Format - namentlich Sense8 - seinen Weg auf die Plattform des US-amerikanischen VoD-Anbieters gefunden. Zwölf Episoden erwarten uns im Rahmen der ersten Staffel, die eine Geschichte von globalem Ausmaß erzählt. Im Mittelpunkt des Geschehens befinden sich acht Menschen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und rund um den Erdball verteilt in den Metropolen des blauen Planeten ein unscheinbares Leben führen, bis sie eines Tages durch eine verheerende Fügung des Schicksals zusammengeführt werden. Diese Zusammenführung erfolgt allerdings nicht physisch, sondern via kognitiver Fähigkeiten. Fortan sind alle acht Individuen, obgleich sie sich bis zu jenem Zeitpunkt nicht einmal ihrer gegenseitigen Existenz bewusst waren, mental sowie emotional miteinander verbunden.

They'll be hunted... born or unborn.

Sense8 beginnt - wie sollte es bei den Wachowskis anders sein - mit einer Geburt. Natürlich erfolgt diese nicht im herkömmlichen Sinn, doch spätestens auf metaphorischerer Ebene werden hier acht Menschen geboren, die fortan im Geist miteinander verbunden sind. Da wäre zum Beispiel Will (Brian J. Smith), ein Cop aus Chicago, Riley (Tuppence Middleton) ein DJ aus London, und Wolfgang (Max Riemelt), ein Safeknacker aus Berlin. Dazu gesellen sich Capheus (Aml Ameen) aus Nairobi, Sun (Doona Bae) aus Seoul und Lito (Miguel Ángel Silvestre) aus Mexico City - sowie Kala (Tina Desai), die in Mumbai lebt, und Nomi (Jamie Clayton), die in San Francisco ein Zuhause gefunden hat. Sie alle kämpfen mit alltäglichen Problemen und haben, wie es die wenigen Minuten ihrer Einführung in wiederkehrenden Andeutungen suggerieren, keine leichte Vergangenheit hinter sich. Jetzt trifft es sie aber wie ein unerwarteter Schlag: Die Vision einer Frau (Daryl Hannah), die sich in einem heruntergekommenem Gebäude erschießt - aus Angst vor einem bösen Mann, aber mit dem Wissen des notwendigen Opfers für die soeben zur Welt gekommenen Kinder.

Fortan erfolgt das Verknüpfen, wenngleich es zuerst nur als Schreck und später als Migräne abgetan wird. Auf einmal sind da fremde Geräusche, fremde Gerüche, fremde Menschen. Die Wirklichkeit verändert sich im Bruchteil einer Sekunde und während die acht Protagonisten der Serie sich selbst sowie die Welt der anderen besser kennenlernen, leben Lana Wachowski und Andy Wachowski, die zusammen die Pilotfolge inszeniert haben, ihren Schöpfungsdrang ungehemmt aus. Ähnlich wie bei Cloud Atlas - Alles ist verbunden, ihrer waghalsigen Kollaboration mit Tom Tykwer, der auch bei Sense8 als Regisseur und Komponist an Bord ist, gilt es parallel mehrere Schicksale und Handlungsschauplätze vorzustellen. Die Übergänge erfolgen vergleichbar dynamisch wie beim Wolkenatlas, stets von einem oder gleich mehreren Leitmotiven (sei es ein Gedanke, ein Gefühl oder ein Musikstück) verbunden. Lediglich das Staccatotempo der David Mitchell-Adaption hat sich in der unendlichen Weite serieller Möglichkeiten aufgelöst. Wo die Wachowskis in ihren Kinofilmen kürzen müssen, bietet ihnen Netflix eine nahezu unerschöpfliche Spielfläche, wo sie sich nach Lust und Laune austoben können - und J. Michael Straczynski sorgt dafür, dass der Kontrollverlust (vorerst) ausbleibt.

Selbst wenn die Prämisse von Sense8 kein Novum in der Serien-Landschaft ist, hört sich die grobe Zusammenfassung der Handlung mindestens ambitioniert - um nicht zu sagen völlig größenwahnsinnig - an. Doch gerade hier fungiert J. Michael Straczynski als ordnende Kraft, um die geballte Energie der Wachowskis in klare Bahnen zu weißen. Am Ende entsteht die perfekte Synergie von einem Mann, der genau weiß, zu was Serien in der Lage sind, und einem Geschwisterpaar, das voller Tatendrang eine neue Erzählform ausprobieren will. Selbstverständlich läuft da am Anfang noch nicht alles rund und auch die Pilotfolge leidet unter den Kinderkrankheiten, die für ihre Gattung typisch sind. Was jedoch ab der ersten Minute klar ist: Hinter Sense8 versteckt sich eine Idee, eine Vision und Menschen, die mit ihrem bisherigen Schaffen mehr als deutlich bewiesen haben, dass sie ihr Ding durchziehen - koste es was es wolle. Dass Netflix für solche Unternehmungen die ideale Spielwiese ist, dürfte spätestens nach einem Blick auf das durchaus mutige Repertoire an Original-Produktionen offensichtlich sein.

Nicht einmal eine Argumentation im Budget-Bereich lässt Sense8 in seiner Größe schrumpfen, obgleich die Wachowskis ihre Liebe für computergenerierte Universen - wie etwa die farbdurchdrungenen Rennstrecken in Speed Racer oder Jupiter Ascendings sagenhaften Weltraumpanoramen - nicht ganz so eskalierend ausleben können. Keineswegs bedeutet dieser Umstand allerdings, dass Sense8 aussieht "wie Fernsehen". Nein, auch Sense8 zeugt von einem unfassbaren Bewusstsein für Ästhetik. Die Schönheit ergibt sich im Zusammenspiel von körperbewusster Inszenierung und einer Kamera, die dank angenehmer Schnittfolgen überall und immer gleichzeitig sein kann, ohne den Überblick zu verlieren. Der bewusste Stilwillen ist stets präsent und steigert sich mit jeder Minute. Ebenso verwandelt sich mit zunehmender Laufzeit das inhaltliche Spektrum der Serie regelrecht in eine Bestie, so umfangreich sind die Themen, die zur Sprache kommen. Kein Wunder also, dass am Anfang von Limbic Resonance - so der Name der Pilotfolge - nur Archetypen stehen.

Erst wenn das Fundament wirklich stabil ist, kann der Turmbau beginnen. Völlig unabhängig davon, ob er am Ende in sich zusammenbricht oder nicht: Das Spannende sind die Menschen, die uns auf dem Weg dorthin begegnen. Und diese Menschen beschäftigen sich in erster Linie nicht mit dem handlungsübergreifenden Plot, sondern mit den Problemen direkt vor ihrer Haustür. Ein Diskurs in puncto Transgender, eine philosophisch angehauchte Überlegung und kurz darauf ein politisches Statement: Am Ende ist es die Frage nach der eigenen Identität, die sich wie ein roter Faden nicht nur durch das Œuvre der Wachowskis, sondern nun auch durch Sense8 zieht. Character-Driven wäre folglich ein passendes Wort, um die Serie zu umschreiben, die zugegebenermaßen etwas Anlauf braucht, um in Fahrt zu kommen. Sobald Sense8 aber erst einmal in Ausblick gestellt hat, was in den folgenden elf Episoden noch alles möglich ist, fällt es schwer, den verlockenden Countdown abzubrechen, der die verbleibenden Sekunden bis zur Wiedergabe der nächsten Episoden herunterzählt.


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