Sci-Fi-Horror, aber in echt: Personalisierte KI-Filme sind der Albtraum eines jeden Kino-Fans

28.04.2023 - 15:00 Uhr
(Noch) ohne KI: Der Marilyn Monroe-Film Blond bei Netflix
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(Noch) ohne KI: Der Marilyn Monroe-Film Blond bei Netflix
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Sich selbst in eine Rom-Com mit Marilyn Monroe einsetzen lassen? Für Regisseur Joe Russo ist das die Zukunft von Filmen und Serien. Was er spannend findet, ist allerdings das Schlimmste, das uns passieren könnte.

Joe Russo weiß, was einen Film gut macht. Was funktioniert und was nicht. Würde man zumindest denken. Schließlich hat er zusammen mit seinem Bruder Anthony nicht nur einige der besten Marvel-Filme gedreht (u.a. Captain America 2 und Endgame). Er produziert für Streaming-Dienste auch Action-Blockbuster am Fließband. Aktuell läuft mit Citadel eine Art Serienvariante von James Bond bei Amazon. Für Netflix folgt noch dieses Jahr Tyler Rake: Extraction 2 mit Chris Hemsworth.

Im Gespräch mit der Entertainment-Seite Collider  sprach der Regisseur und Produzent jetzt darüber, wie er sich die Zukunft von Film und Fernsehen vorstellt. Und entwarf dabei leider ein Szenario, das ähnlich lebens- und spaßfeindlich klingt wie Thanos' Plan, die Hälfte allen Lebens auszulöschen: Die Möglichkeit, sich mittels künstlicher Intelligenz einfach genau den Film oder die Serie zusammenstellen zu lassen, auf die man gerade Lust hat.

Du sagst zur Streaming-Plattform: 'Ich will einen Film mit meinem fotorealistischen Avater und Marilyn Monroe.' [...] Und plötzlich hast du eine Rom-Com mit dir selbst, die 90 Minuten lang ist.

Klingt nach der Art von Sci-Fi-Zukunft, auf die wir alle warten? Falsch. Tatsächlich würde damit für alle, die Filme und Serien lieben, ein absoluter Albtraum wahr werden. Das hat drei Gründe:

Grund 1: Diese Horror-Vision vereint das Schlimmste aus Fanfictions und Deepfake-Pornos

Lassen wir kurz beiseite, dass in Joe Russos Beispiel Marilyn Monroe auch weit nach ihrem Tod noch objektifiziert und sexualisiert wird. (Ein Thema, das der Netflix-Film Blond nicht nur aufgreift, sondern auch fortführt.) Abseits von Menschen, deren Karriere von Übergriffigkeit geprägt war, wären personalisierte Geschichten, die auf realen Menschen basieren, hochgradig problematisch. Denn der Schauspieler oder die Schauspielerin, mit der man sich seine ganz eigene Geschichte erschafft, kann den selbst ausgedachten Szenarien gar nicht zustimmen.

Das wird schon bei Fanfictions – insbesondere erotischen – kritisiert. Nehmt Bewegtbild dazu und ihr habt Deepfake-Videos, die schon jetzt dazu missbraucht werden, pornografische Inhalte zu erstellen oder realen Personen Worte in den Mund zu legen, die sie nie gesagt haben. Lösen ließe sich das nur dadurch, die Personalisierung auf wenige Szenarien zu begrenzen, denen alle potenziell Beteiligten zugestimmt haben. Wobei die Schauspielenden natürlich trotzdem niemals wissen können, wer sich alles in ihre Arme transferieren lässt.

Grund 2: Selbstgeschaffene Filme mit AI töten alles, was Filme und Serien so gut macht

Selbst jede einzelne Entscheidung bei einem Film oder einer Serie treffen, klingt vielleicht im ersten Moment aufregend, bedeutet aber: Wir bekommen nur noch das, was wir schon kennen. Schließlich können wir uns nichts wünschen, was wir noch nicht kennen. Keine Überraschung mehr, nichts Unbequemes, nichts Geniales. Wer soll das ernsthaft wollen? Also, außer Leute, denen es weniger um Inhalt, als um durchkalkulierten Content geht, der sich hochpreisig und in fließbandgleicher Produktionsgeschwindigkeit an Fernsehsender, Produktionsfirmen und Streaming-Anbieter verkaufen lässt?

Seht hier den Trailer zu Joe Russos neuer Amazon-Serie Citadel:

Citadel - S01 Trailer (Deutsch) HD
Abspielen

Ganz abgesehen davon, dass auch künstliche Intelligenz (zumindest bisher) keinen Raum für Genialität und wirklich Neues hat: Stellt einer KI eine Frage und sie antwortet mit einer Version dessen, womit sie gefüttert wurde. Fragt David Cronenberg, welches Szenario er sich für seinen nächsten Film überlegt hat, und ihr bekommt Fleischstühle und Plastik essende Menschen, die statt Sex zu haben in offenen Wunden herum pulen und damit etwas über Gender, Identität und Umweltverschmutzung sagen.

Grund 3: Personalisiertes Storytelling macht einsam – und trotz aller Sci-Fi-Euphorie die Branche kaputt

Sich mit Bausteinen aus bereits existenten Storylines und Personen etwas "Eigenes" zu bauen, ist allerdings nicht nur langweilig und übergriffig gegenüber den Leuten, die ungefragt zu Figuren eurer Filmfantasien werden. Es wirft ein ganz anderes Problem auf: Wenn wir alle nur noch personalisierte Sachen gucken, haben wir keine kollektive Seherfahrung mehr, über die wir uns anschließend austauschen können.

Das heißt: keine Fan-Theorien. Keine Filmkritik. Und keine popkulturelle Auseinandersetzung mit einer Story, die Millionen Menschen parallel erlebt haben. Keine Preisverleihungen, bei denen die besten, berührendsten, visionärsten Titel ausgezeichnet werden. Nur Ein-Mensch-Guck-Inseln für eine Gesellschaft, die schon an der Isolation von Corona fast zerbrochen wäre.

Wer einer solchen Zukunft positiv entgegensieht, hat Film nie geliebt. Oder glaubt, mit austauschbaren Inhalten ohne jede Seele noch mehr Geld zu verdienen als sowieso schon.

Joe Russos Citadel und mehr von Amazon, Netflix und Co. im Podcast

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