Klipp-Klapp-Dialoge wie in einer Screwball-Komödie - Andreas Dresen über Whisky mit Wodka

03.09.2009 - 08:50 Uhr
Andreas Dresen am Set von Whisky mit Wodka
Senator Film
Andreas Dresen am Set von Whisky mit Wodka
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Andreas Dresen spricht über seinen aktuellen Film Whisky mit Wodka. Er erklärt, was ihn am Drehbuch begeisterte und welche speziellen Herausforderungen diese melancholische Komödie an ihn als Regisseur stellte.

Nach dem weitgehend improvisierten Drama Wolke 9 meldet sich Andreas Dresen jetzt mit der melancholischen Komödie Whisky mit Wodka um die Intrigen während eines Filmdrehs zurück. Im Interview spricht der Regisseur über seinen Zugang zum Drehbuch und die Arbeit mit den Schauspielern bei diesem Projekt.

Wie kam die Geschichte von Whisky mit Wodka zu Ihnen?

In Form eines Drehbuchs von Wolfgang Kohlhaase. Während einer Zugfahrt von Lünen nach Berlin erzählte er mir davon und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, das mal zu lesen. Ich tat’s und fand, dass darin eine Menge menschlicher Wahrheit steckte: Wo knicken Leute ein? Wo richten sie sich in einer unbefriedigenden Situation ein? Das Drehbuch nimmt eine skurrile Begebenheit aus den 50er Jahren zum Ausgangspunkt für eine Geschichte über Opportunismus und Lebenslügen. Es trifft meine eigenen Erfahrungen und ich frage mich: Was ist wirklich wichtig im Leben? Welche Werte vertrete ich? Entscheidende Fragen, die sich auch die Figuren im Film stellen müssen.

Wie würden Sie die Hauptfigur des Films charakterisieren, den Schauspieler Otto Kullberg?

Auf den ersten Blick wirkt er souverän im Umgang mit allen Dingen – Otto hat immer einen Spruch parat und nach außen eine perfekte Fassade aufgebaut. Aber im Grunde seines Herzens ist er ein total einsamer Mensch. Deswegen trinkt er auch. Er war nicht in der Lage, jenseits des Berufes dauerhafte Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Stattdessen hat er sich in Arbeit geflüchtet – er hat immer nur Filme gedreht. Es gibt aber Wichtigeres im Leben. Das macht sich auf tragische Weise bemerkbar, als Otto feststellt, dass er auch im Beruf immer mehr ins Abseits rutscht: Nur seiner verflossenen Liebe Bettina hat er zu verdanken, dass er noch mal engagiert wurde. Er spürt mehr und mehr, dass er ersetzbar ist: Otto rutscht auch seine letzte Stütze im Leben weg.

Arno, sein Gegenspieler, ist auch nicht besser dran.

Er kann einem über weite Strecken leid tun in der undankbaren Rolle, die er bei diesem Filmprojekt einnehmen muss. Einen Partner im Leben hat er auch noch nicht gefunden. Und nun lügt er sich die Taschen voll, indem er vorgibt, mit seiner Rolle als Ersatzspieler zufrieden zu sein. Denn in Wirklichkeit hat er einen ganz anderen Ehrgeiz: Am Ende versucht er auf ziemlich miese Art, Otto aufs Kreuz zu legen.

Und Bettina? Was ist sie für ein Mensch?

Die große Liebe ihres Lebens ist nicht zum Blühen gekommen; sie hat sich mit Telleck auf einen pragmatischen Kompromiss eingelassen, tastet aber immer noch herum und fängt zum Schluss sogar was mit Arno an. Insgeheim trauert sie aber ihrer alten Liebe nach, die sie nicht kriegen kann, und hadert mit sich selbst.

Reden wir noch über Martin Telleck, den Regisseur im Film.

O Gott, ja, das ist wirklich ein kleiner Opportunist! Seine Korruption beginnt schon damit, dass er Otto nur deshalb als Hauptdarsteller besetzt hat, weil er sonst keinen Verleih gefunden hätte. Dann verhält er sich ihm gegenüber illoyal, indem er die Konstruktion mit dem Ersatzspieler akzeptiert. Sicher, er will dadurch sein Traumprojekt retten, aber er tut das mit unlauteren Mitteln. Ich vermisse bei ihm eine klare Haltung. Trotzdem finde ich seine Hilflosigkeit manchmal rührend. Es ist ja auch menschlich, wenn jemand unter Druck irgendwann einknickt. Das ganze Drehbuch ist so angelegt, dass man für jede Figur auch Verständnis entwickeln kann. Wer geht schon ohne Kompromisse durchs Leben?

Genau genommen gibt es in der Geschichte keine einzige Figur, die wirklich glücklich ist.

Ja, alle schlagen mit den Flügeln, alle sind auf der Suche – wie wir wahrscheinlich auch. Ich glaube, dass Angst vor Einsamkeit ein Grundthema unseres Lebens ist. Im Prinzip erzählt Wolfgang Kohlhaase eine tief traurige Geschichte über verpasste Chancen. Aber er macht das mit einem wunderbaren Humor. Das ist seine große Kunst.

Wie sind Sie an die Inszenierung seiner extrem verknappten Dialoge herangegangen?

Diese Dialoge sind völlig unsentimental und präzise geschrieben; sie erfordern eine große Genauigkeit im Tempo: Wenn man den Rhythmus nur um eine Nuance verschiebt, nimmt man ihnen die Schärfe, oder die Komik geht verloren. Die Figuren bei Kohlhaase sagen eigentlich nie, was sie wirklich denken; sie haben einen unsichtbaren Schutzpanzer um ihre Herzen errichtet. Menschen sind meist vorsichtig, wenn es darum geht, Gefühle zu zeigen. Kohlhaase ahmt kein Alltagsdeutsch nach, sondern schreibt in einer Kunstsprache, die auf höhere Art Realität herstellt und letztlich doch ganz viel mit dem Leben zu tun hat. Schon bei Sommer vorm Balkon habe ich gemerkt, dass man als Regisseur nicht versuchen darf, diese Sätze auf einen Alltagston herunterzudeklinieren. Wenn man sie exakt so nimmt, wie sie geschrieben sind, dann wirken sie schließlich extrem wahrhaftig.

Sie haben einmal gesagt, Wolfgang Kohlhaase hätte ein Gespür für Tonlagen. Wie würden Sie die Tonlage von Whisky mit Wodka beschreiben?

Tragikomödie mit stark melanchol ischem Einschlag. Es ist eine bittere Geschichte, die sich tarnt – ähnlich wie Sommer vorm Balkon. Damit man als Zuschauer möglichst früh merkt, dass das keine Burleske übers Filmemachen ist, haben wir von Anfang an Bremsen in die Geschichte eingebaut: Großaufnahmen, die Momente von Einsamkeit und Sehnsucht einfangen. Spätestens, wenn Otto und Bettina in den Landgasthof fahren, ist wohl klar, dass hier existenzielle Fragen verhandelt werden.

Das Gespräch der beiden im Landgasthof ist überhaupt eine der zentralen Szenen des Films…

Man erkennt, wie sie sich belügen, wie sie vergeblich auf irgendwas hoffen, wie sie die falschen Weichen stellen im Leben – und es dann zu spät merken. Die Szene zu drehen, war für mich auch eine große Entdeckung. Denn die Art, wie Corinna Harfouch und Henry Hübchen das zum Beben gebracht haben, was in diesem Moment zwischen den Figuren passiert, hat mich extrem berührt.

Sehr anrührend ist auch, was am Sterbebett von Ottos Vaters passiert.

Hier wird die maßgebliche Frage gestellt, vor der alle Figuren im Film einmal stehen: „Wer bin ich?“ Ottos Vater stellt diese Frage in dem Moment, als er die Welt verlässt. Und Otto beantwortet sie mit dem schönen Satz: „Du bis mein Vater.“ Vater zu sein ist genau das, was Otto immer verpasst hat – und das wird ihm in diesem Augenblick bewusst. Sein Vater, der Briefträger, war im wirklichen Leben unterwegs – Otto dagegen hat sich immer nur in einer Scheinwelt bewegt.

Ganz nebenbei erzählt der Film auch von der sozialen Realität – zum Beispiel, wenn Otto sich in seiner Festrede vor der Filmcrew bitter darüber beklagt, wie man ihn behandelt hat.

Ja, die Rede hat es in sich. In unserer Gesellschaft lastet auf jedem Einzelnen ein großer Druck. Wir müssen funktionieren, immer. Wer sich einen Fehltritt leistet, wird meist gnadenlos ausgetauscht. Natürlich hätte Otto nicht saufen dürfen. Aber Menschen sind eben keine funktionalen Roboter. Man muss akzeptieren, dass wir alle auch Fehler machen. Wir sollten in Respekt und Würde miteinander durchs Leben gehen. Das klagt Otto ein. Es geht um mehr dabei als um Schauspielerei.

Die Figuren in Ihrem Film gehen aber gerade nicht gemeinsam durchs Leben. Da kämpft jeder für sich allein.

So sind Menschen nun mal. Deshalb ist die Einsamkeit ja nicht nur im Film ein zentrales Thema, sondern auch in unserer Gesellschaft. Das manifestiert sich auch in der Wohnwagensiedlung am Meer, in der Tellecks Filmteam lebt. Da sitzt jeder abends in seinem kleinen Häuschen; ab und zu geht mal einer von Tür zu Tür und klopft vorsichtig, doch dann trennt man sich wieder und geht zurück in sein Haus. Alle leben zusammen, aber letztlich doch jeder für sich. Wegen dieses Bildes war es mir auch wichtig, dass Tellecks Team im Film nicht in einem Hotel untergebracht ist, wie das sonst bei Dreharbeiten üblich ist.

Was war für Sie die größte Herausforderung beim Drehen?

Die Film-im-Film-Geschichten, die dazu geführt haben, dass man dieselben Schauspieler in verschiedenen Figuren und Spielweisen zeigen musste. In der Regenszene unter der Seebrücke küsst Corinna Harfouch beispielsweise erst ihren ersten Leinwand- Partner, dann ist sie in einem privaten Moment als Bettina zu erleben, um anschließend ihren zweiten Leinwand-Partner und schließlich ihren Mann zu küssen – alles mit völlig unterschiedlichen Haltungen! Abgesehen davon musste ich mich erst einmal wieder daran gewöhnen, so viele Menschen vor und hinter der Kamera zu bewegen. Ich selbst habe manchmal mit zwei Kameras gedreht, dazu gab es natürlich immer noch Tellecks Team. Wenn man da nicht aufpasst, hat man bald ein heilloses Durcheinander. Am Anfang wusste ich nicht einmal, wie ich so einen Drehort mit drei Kamerateams überhaupt aufbauen sollte.

Und welche Lösung haben Sie gefunden?

Wir haben das ganz systematisch gemacht: Zuerst haben wir immer Tellecks Szene eingerichtet, damit wir wussten, wie sich dessen Team und dessen Schauspieler bewegen würden. Erst danach konnten wir anfangen, unser eigenes Bild zu bauen. So denken zu müssen, war ungewohnt für mich – schließlich bin ich ja sonst eher ein Kammerspiel-Typ.

Immerhin durften Sie hier zur Abwechslung mal in Kostüm und Ausstattung schwelgen.

Ja! Und dank der historischen Film-im-Film- Geschichte konnte ich auch verschiedene Filmstile bedienen. Die 20er-Jahre-Szenen verlangten von den Schauspielern zum Beispiel eine ganz andere Körpersprache, einen anderen Gestus und eine andere Dialogtechnik. Da gab es etwa in einer Strandkorb-Szene diese typischen, schnellen, auf die Spitze getriebenen Klipp-Klapp-Dialoge wie in einer Screwball-Komödie. Und ich durfte mal eine große Ballszene drehen! All das steht ja bei meinen Alltagsgeschichten sonst nie auf dem Zettel. Aber mir macht es Spaß, so etwas zu inszenieren. Und natürlich habe ich während meines Studiums in Babelsberg durchaus die klassische Filmerzählung gelernt. Darum habe ich mich sehr gefreut, dass ich bei Whisky mit Wodka manches Handwerkszeug wieder hervorkramen durfte: Hier konnte ich ein paar Register ziehen, die sonst in meinen Filmen keinen Platz haben.

Mit Material von Senator Film.

Whisky mit Wodka startet am 03. September in den deutschen Kinos.

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