Poesie & Seelenfriede - David Lynchs andere Seite

20.01.2011 - 12:00 Uhr
Eine wahre Geschichte - The Straight Story
Senator
Eine wahre Geschichte - The Straight Story
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Eines haben alle Filme des verstörenden Surrealisten gemeinsam: Sie entfachen endlose Diskussionen und erhitzen die Gemüter. Alle? Mitnichten, ein kleiner Film namens The Straight Story ist beinahe langweilig einfach – eben “straight” – gestrickt.

Der Filmtitel ist trotz seiner simplen Beschaffenheit auf dreifache Weise zu deuten. Eine wahre Geschichte – The Straight Story beschreibt nicht nur die geradlinige Handlungsstruktur des Films und bezieht sich zusätzlich auf den Namen des Protagonisten – Alvin Straight, sondern entlarvt auch die offensichtlichste Tatsache: Dieses kleine Roadmovie ist ein unscheinbares, ganz klassisch erzähltes Stück Film ohne Ecken und Kanten und vor allem ohne erzählerische Brüche. Dabei handelt es sich um eine Art von Film, die auf der Haut von David Lynch Brandblasen verursachen müssten, wie Sonnenlicht auf dem fahlen Fleisch eines Vampirs. Aber weit gefehlt, der Enfant terrible selbst zeichnete für die kleine Rasenmäher Odyssee verantwortlich und bewies besonders gegenüber seinen Kritikern, dass er – wenn er wollte – nicht bloß den Verstand sondern auch das Herz des Zuschauers fi…foltern könnte – auf positive Art und Weise.

Es steckt eine wahre Geschichte hinter Eine wahre Geschichte – The Straight Story. Eine Geschichte um den 73-jährigen Farmer Alvin, der 400 Kilometer auf einem kleinen Aufsitz-Rasenmäher zurücklegt, weil er keinen Führerschein besitzt. Der Schlaganfall seines Bruders zwingt ihn dazu, denn die beiden haben seit über zehn Jahren kein Wort mehr miteinander gesprochen und Alvin will die vielleicht letzte Möglichkeit auf Versöhnung nicht verstreichen lassen. Eine einzigartige Road-Odyssee eines alten Mannes auf dem Rücken eines ebenso alten Rasenmähers beginnt.

Eine wahre Geschichte – The Straight Story ist verstörend. Verstörend schön, mit einer tiefen inneren Ruhe und einer schwelgerischen Kraft. Verstörend poetisch und versöhnlich, ohne große Konflikte, die dem in die Jahre gekommenen Farmer in die Quere kommen könnten. Sein Bestreben, die alte Familienfehde endlich aus der Welt zu schaffen, bietet genug seelischen Ballast, um Alvin auf seiner Reise zu beschäftigen – und somit auch den Zuschauer. Der Film kennt nur einen Star und selbst David Lynch stellt seinen Scheffel unter diesen. Richard Farnsworth – der während den Dreharbeiten 79 Jahre alt war und sich kurz nach Beendigung des Films erschoss, um nicht länger an den Schmerzen seiner Krebserkrankung leiden zu müssen – verlieh dem gutmütigen Rentner, der mit seiner geistig behinderten Tochter unter einem Dach lebt, eine tiefe Ruhe und Ausgeglichenheit. Der Weltuntergang könnte dem alten Kauz nichts mehr anhaben und so erweckt seine Reise auch nicht den Anschein einer letzten Fahrt in den Tod – als was sie durchaus zu deuten wäre – sondern als existentielle Spazierfahrt mit ungewissem Ende aber aufrichtigen Gefühlen.

Es ist traurig, wenn nicht sogar tragisch, dass David Lynch mit seinen Filmen fast ausnahmslos filmisches Mindfucking betreibt. Alle paar Jahre eine Film gewordene Seelenreinigung à la Eine wahre Geschichte – The Straight Story und der Verstand des Zuschauers wäre ganz im Sinne einer Beichte wieder gereinigt und für neue schändliche Einflüsse aus den verstörenden Hirnregionen des Surrealisten bereit.

Weitere Texte in unserem kleinen Special zum 65. Geburtstag von David Lynch:
- Wild at Heart – Der Zauberer von Oz in der Hölle
- David Lynch – Genie und Wahnsinn?
- David Lynch – (m)ein filmischer Würgereflex
- David Lynch ist schuld, dass ich bei moviepilot bin

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