Drei Anmachen, Kevin Spacey & ein Exorzismus

29.06.2011 - 08:50 Uhr
Michelle Williams und Ryan Gosling in Blue Valentine
Senator
Michelle Williams und Ryan Gosling in Blue Valentine
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Ein Tag, der mit Kevin Spacey beginnt, muss ein guter Tag sein. Zum Oscar-Preisträger aus Casino Jack gesellte sich Blue Valentine mit Ryan Gosling und Michelle Williams, der bisher beste Film des Festivals.

Zunächst ein kleiner Shout-out, den ich gestern vergessen habe. Zu den schönen Seiten von Filmfestivals gehört nämlich, Leute zu treffen, die einem sonst nur als digitale Persönlichkeiten bekannt sind. Deswegen hatte ich am Montag Gelegenheit, dem moviepiloten mitcharts Hallo zu sagen und auch noch ein paar Blogger-Kollegen zum ersten Mal in 3D zu sehen. Vielen Dank dafür!

Der gestrige Tag stand fast ganz im Zeichen amerikanischer Independent-Filme. Nur ein kleiner koreanischer Regisseur leistete exzentrischen Widerstand, aber dazu später mehr. Nachdem das Inception-Restaurant vom Montag meinen Intellekt überfordert hat, bin ich übrigens auf eine Nimm2-Diät umgestiegen. Weil Vitamine braucht man ja auch. Bevor es allerdings losgeht, gibt es hier fix die Top 3 der besten Anmachen, welche die Beiträge das Filmfests bisher zu bieten hatten:

Platz 3: Setze dich in einem leeren Bus neben das hübsche Mädchen mit der Ausrede, alle anderen Sitze seien belegt.
Platz 2: Mach dem Mädchen ein charmantes Kompliment wie “Je hübscher Frauen sind, desto verrückter sind sie. Du bist also garantiert total wahnsinnig.”
Platz 1: Bewirf das Mädchen mit einem Farbbeutel und füge lässig hinzu: “Du bist schmutzig. In meinem Appartement kannst du dich waschen.”

Washington is like Hollywood with ugly faces
Zuweilen fällt das Aufstehen schwer, aber nicht wenn ein Film mit Kevin Spacey darauf wartet, geguckt zu werden. So begann mein dritter Festivaltag mit Casino Jack, der wahren Geschichte des Lobbyisten Jack Abramoff, der vor ein paar Jahren weltweit als Drahtzieher eines Korruptionsskandals Schlagzeilen machte. Kevin Spacey verkörpert Abramoff in George Hickenloopers letztem Film nicht als kriminelles Genie. Vielmehr ist es ein mit Sorglosigkeit gepaarter Größenwahn, der Abramoff zu einem der bekanntesten Lobbyisten Amerikas und schließlich zur Zielscheibe des FBIs macht. Der kurzweilige Film bestätigt im Wesentlichen das, was wir schon lange ahnen (viele Politiker sind korrupt), überzeugt jedoch durch seine Darsteller. Kevin Spacey liefert ein vielschichtiges, weder verteufelndes, noch glorifizierendes Porträt eines Mannes ohne Sättigungsgrenze. Zu erwähnen ist außerdem Jon Lovitz, der hier als Inbegriff des schmierigen Gauners die ein oder andere Szene mit nach Hause nimmt.

Ist Casino Jack eine unterhaltsame, wenn auch konventionelle Kritik des Lobbyismus, gestaltet sich der nachfolgende koreanische Beitrag Arirang als das genaue Gegenteil. Seit drei Jahren hat Ki-duk Kim (Frühling, Sommer, Herbst, Winter und … Frühling) keinen Film gedreht. Während sich die Welt fragte, wo der Regisseur bleibt, saß dieser irgendwo in Südkorea in einer kleinen Hütte, um eine künstlerische Krise zu überwinden. Ein Unfall am Set seines letzten Films führte zu diesem Einsiedlertum, das Arirang zum Thema macht. Denn Kim Ki-duk war nicht mehr in der Lage, Spielfilme zu drehen. Deswegen hielt er die Kamera auf sich selbst und heraus kam Arirang. So sehen wir den gefeierten Künstler beim Kaffeekochen, Zähneputzen und Essen. Das ist nicht alles, denn Arirang ist eine radikale Abrechnung eines Künstlers mit sich selbst. Obwohl sich der Film weitgehend aus mal wehleidigen, mal zornigen Selbstgesprächen zusammen setzt, erwies sich der künstlerische Exorzismus des Kim Ki-duk als überraschend eingängig.

Eine Love Story ist eine Love Story ist eine Love Story
Bevor ich zum bisherigen besten Film des Festivals komme, sei ein Streifen noch kurz erwähnt. The Freebie von Katie Aselton ist ein typischer Mumblecore-Film über Endzwanziger und Anfangdreißiger, die sich unnötig Probleme schaffen und diese dann in endlosen Gesprächen ausbreiten. Beim Thema Mumblecore bewahrheitet sich leider die alte Weisheit: Habt ihr einen gesehen, habt ihr alle gesehen. Dafür machte bei er Vorführung ganz nach dem Motto “Manchmal kommen sie wieder” die wimmernde Dame aus der Polisse-Vorstellung vom Sonntag auf sich aufmerksam. Doch reden wir über Blue Valentine. Wenn ihr das Beziehungsdrama von Derek Cianfrance jemals im Programm eures Kinos ausgelistet findet, solltet ihr es anschauen. Michelle Williams war dieses Jahr nicht ohne Grund für einen Oscar nominiert und ihr Leinwandehemann Ryan Gosling hätte zumindest eine Nominierung verdient gehabt.

Blue Valentine erzählt parallel vom ersten Kennenlernen eines Paares und ihrem Auseinanderdriften als Eheleute Jahre später. In einem Hollywood-Film würden Dean (Ryan Gosling) und Cindy (Michelle Williams) gemeinsam in den Sonnenuntergang spazieren. Derek Cianfrance ist auf anderes aus. Mit den enorm intimen Leistungen seiner Darsteller geht er der Frage nach, in welchem Moment die Liebe eines Paares erlischt. Blue Valentine legt die Wurzeln späterer Konflikte bereits im Frühstadium der Beziehung frei, ohne sie wie eine aufgesetzte Psychologisierung aussehen zu lassen. Das traurig-schöne Liebespaar Ryan Gosling & Michelle Williams tut sein übriges, um Blue Valentine in ein Highlight des Festivals zu verwandeln.

Der überwiegend amerikanische Festivaltag neigte sich gestern mit Septien zu Ende. Einem Genre lässt sich der Film nicht zuordnen. Kurz zur “Handlung”: Nach 18 Jahren kehrt ein Mann zu seinen zwei Brüdern in den Süden der USA zurück. Der eine malt morbide Gewalt- und Sexfantasien, der andere pflegt seinen Putzfetisch. Am normalsten ist noch der schweigsame Rückkehrer, der sich als echte Sportskanone entpuppt. Septien ist gelinde gesagt seltsam, umkreist ein extrem ernstes Thema, das ich hier nicht beschreibe, mit einem skurrilen Humor, als hätte David Lynch einen Judd Apatow -Film gedreht. Beim anschließenden Q&A meinte eine Zuschauerin dann treffend, Septien sei wie Blutgericht in Texas, nur ohne die ganzen Morde. Regisseur Michael Tully beantwortete im Anschluss drängende Fragen und schenkte sogar jedem einzelnen Zuschauer ein Magnet-Puzzle des Filmposters mit lauter perversen Malereien drauf. Das nenne ich modernes Marketing!

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