Junge Menschen treten in einem mörderischen Wettbewerb gegeneinander an, bei dem nur eine Person überleben kann? Es wäre einfach, den dystopischen Thriller The Long Walk – Todesmarsch mit Die Tribute von Panem zu vergleichen. Schon als der erste Hunger Games-Film ins Kino kam, zeigten viele Stephen King-Fans und sogar der Autor selbst (bei EW ) offensichtliche Parallelen auf.
Francis Lawrence inszenierte fünf von sechs Filmen der Sci-Fi-Reihe. Nun stürzte der Panem-Papa sich als Regisseur auf The Long Walk und es dürfte abermals Hunger Games-Vergleiche hageln. Umso großer fällt da die Überraschung aus, dass im Kinosessel keine weitere Ausgabe der Hungerspiele wartet, sondern ein packender Kriegsfilm.
The Long Walk wählt mit Stephen Kings Vorlage eine düstere Marschrichtung
Raymond Garraty (Cooper Hoffman) gewinnt als einer von 50 jungen Männern in einem alternativen Nachkriegsamerika eine Lotterie. So darf er im Wettbewerb des Long Walk antreten, bei dem junge Männer ohne Pause im Tempo von drei Meilen pro Stunde durch die Vereinigten Staaten laufen. Wer unter dieses Tempo von umgerechnet etwa 5 Kilometern pro Stunde fällt, wird dreimal verwarnt und dann erschossen. Am Ende bleibt nur ein Sieger übrig, der ein hohes Preisgeld gewinnt und zusätzlich einen beliebigen Wunsch erfüllt bekommt.
Schaut hier den Trailer zu The Long Walk
The Long Walk wirft uns von Anfang an direkt ins Geschehen: Der Film beginnt und endet auf der Straße, die die Todesmarsch-Kandidaten entlanglaufen. Abgesehen von einigen wenigen Rückblenden, weicht die Erzählung, genau wie ihre Läufer, kaum einen Fuß breit davon ab. Dadurch entfaltet sich nüchtern, aber pointiert, der düstere Sog einer unausweichlichen Wanderschaft. Schnell färben die ersten Leichen den Asphalt rot, während ansonsten die Camouflage-Töne einer Welt in Grün und Beige vorherrschen.
Im vorwärts strebenden Trott, an der Seite der erst hoffnungsvollen und dann zunehmend verzweifelten Teilnehmer, bleibt Zeit zum Nachdenken und so kommt unweigerlich die Frage nach dem Warum auf. Welche Moral wohnt dieser Stephen King-Adaption inne, wenn das Ende so unausweichlich vorgezeichnet ist? Wie dem Lauf-Wettbewerb fehlt auch dem Film eine offenkundige Ziellinie, die über die Enthüllung des letztendlichen Gewinners hinausgeht. Erst mit einer überraschenden Erkenntnis rastet The Long Walk doch noch ein: Der düstere Ausflug besitzt alle wichtigen Elemente eines Kriegsfilms.
Krieg statt Spiele: The Long Walk bürstet seine Erzählung gegen den Strich
The Long Walk spielt in einer nicht genauer definierten Zeit in den USA, irgendwann "nach dem großen Krieg". Kleidung und Technik der alternativen Geschichtsschreibung verweisen jedoch subtil auf die 70er. Stephen King schrieb sein Frühwerk Todesmarsch Mitte der 60er, während des Vietnamkriegs (1955-1975), auch wenn das Buch erst 1979 nach seinem Debüt Carrie erschien. Dieses Wissen nahmen sich Francis Lawrence und sein Drehbuchautor J.T. Mollner offenbar zum heimlichen Wegweiser für ihre Adaption des "unverfilmbaren Romans".
Die Ausgangsidee des Todesmarsches als Wettbewerb steht ohnehin auf wackeligen Beinen: Das per Kamera übertragene Durchhaltevermögen der jungen Männer soll vorbildhaft die Arbeitsmoral der USA in einer Finanzkrise anheben. Wer diese Prämisse widerspruchslos hinnimmt, glaubt wahrscheinlich auch, dass ein einmal im Jahr ausgelebter Purge die Kriminalität senken kann. Doch vor dem Hintergrund eines Kriegsfilms fügen die Puzzlestücke sich zusammen: Hier melden sich idealistische Teilnehmer freiwillig, für ihr Land ausziehen. Wer es nicht tut, steht im patriotischen Gruppenzwang als Feigling da. Also erhält jeder eine (Militärmarken-)Nummer und marschiert, flankiert von Armee-Fahrzeugen und bewaffneten Soldaten, los.
Entsprechend modernisiert Lawrence seine Adaption nicht, wie so viele andere, indem er der tödlichen Wandertruppe weibliche Mitglieder hinzufügt. Wie im Kriegsgenre üblich, fällt Frauen wie Rays Mutter (Judy Greer) nur der tränenreiche Abschied zu. Nur so kann die anschließende Band of Brothers als enge Bruderschaft in Extremsituationen erblühen, die sich in intimsten Momenten buchstäblich beim Scheißen und Sterben zusehen. Erst mit dem Kompanie-Gedanken wird verständlich, warum die Wettbewerbsteilnehmer ihre Rivalen nicht heimtückisch ins Aus spielen, sondern unterstützen.
Die kurzen, aber äußerst harten Gewaltspitzen durchschossener Kinderköpfe, blutiger Bauchschüsse und am Asphalt aufgeschürfter Gesichter gehen unter die Haut. Doch als bittere Kriegsverletzungen erhalten sie einen überzeugenden Kontext, der über den brutalen Schauwert hinausgeht. Zumal sie einen als adrenalinhaltiges Gegenstück zum dialogreichen Film philosophierender Läufer bei Atem halten – ähnlich wie Angriffe aus dem Hinterhalt geschwächte Soldaten erschüttern.
Ein mit Sonnenbrille kaum wiederzuerkennender Mark Hamill schlüpft als Major in die Rolle des Full Metal Jacket-Drill-Sergeants, nur dass seine herausgebrüllten Tiraden sich als unheimlicher Ansporn niederschlagen ("Lauft weiter – ich bin so stolz auf euch!"). Während die Marschierenden anfangs noch überzeugt vom System des Long Walk sind, greift schließlich wie im Krieg zunehmende Desillusionierung und die Apathie der "Shell Shocked Faces" nach erlebten Traumata um sich. Unsere Frage nach dem Warum des Films wird zur Hinterfragung der Figuren in Bezug auf ihre Mission – und erhält damit einen Sinn.
The Long Walk überzeugt als Kriegsfilm der etwas anderen Art
Wer bei The Long Walk einen reinen Horror-Film erwartet oder sich als Stephen King-Fan allzu sehr an die veränderte Vorlage klammert, dürfte auf der Straße des Todesmarschs einige Stolpersteine mitnehmen. Statt 100 treten nur noch 50 Teilnehmer an. Statt Jugendlichen zwischen 14 und 17 liegt das Mindestalter nun bei 18. Mit dem von 4 auf 3 Meilen pro Stunde gesenkten Mindestlauftempo (also ca. 5 km/h statt 6,4 km/h) wird aus dem Sprint ein Dauerlauf. Statt euphorischen Zuschauermengen feuert niemand sie in der amerikanischen Einöde entlang des Weges an. Aber all diese kleinen Stellschrauben machen aus dem Wettkampf subtil einen Krieg.
Die innigen Freundschaften und Suche nach einer Verbindung inmitten des Grauens transportieren die Nachwuchstalente überzeugend, von Hauptdarsteller Cooper Hoffman (Licorice Pizza) über Charlie Plummer (Eine wie Alaska) bis zu Ben Wang (bald in Hunger Games 6). Vor allem David Jonsson gelingt als Peter McFries nach Alien: Romulus erneut das Kunststück, eine unmenschliche Situation mit erstaunlicher Wärme aufzuladen. So bleibt die Ausgangsidee des Films zwar konstruiert, aber die Gefühle sind echt.
Todesspiele wie in Die Tribute von Panem, Squid Game oder der in Kürze startenden nächsten King-Verfilmung The Running Man haben Hochkonjunktur. Doch statt eine weitere Kerbe in die morbide Unterhaltungsindustrie zu schlagen, wählt Francis Lawrence eine andere Marschrichtung. Zum Glück.
Als versteckter Kriegsfilm wirkt The Long Walk weit besser denn als Horror-Film. Hier ist der Weg das Ziel: die Hinterfragung der eigenen Rolle im System. Sieg und Niederlage rücken in den Hintergrund einer spannenderen Auseinandersetzung.
The Long Walk - Todesmarsch startet am 11. September 2025 in den deutschen Kinos.