Mute - Warum der Netflix-Film besser als sein Ruf ist

26.02.2018 - 14:45 UhrVor 5 Jahren aktualisiert
Justin Theroux in MuteNetflix
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Nach Bright und Cloverfield Paradox erntet mit Mute der nächste Netflix-Film vernichtende Kritiken. Dabei ist das Herzensprojekt von Duncan Jones alles andere als uninteressant.

Achtung, Spoiler zu Mute: Am vergangenen Freitag wurde der Sciene-Fiction-Film Mute auf Netflix veröffentlicht. Nach einem kurzen Ausflug in Blockbuster-Gefilde mit Warcraft: The Beginning markiert das Werk die Rückkehr von Regisseur Duncan Jones zu seinen Wurzeln und stieß damit vorab auf großes Interesse - schließlich schart Jones in Genre-Kreisen dank Moon und Source Code bereits eine große Anhängerschaft um sich. Doch Mute kommt nicht gut an. Kritiker fallen über den Film her wie eine Horde Wölfe über ein Schaf, User in Sozialen Netzwerken tun es ihnen gleich. Der Hinweis  auf Parallelen zur legendären, einst von Blade Runner etablierten Cyberpunk-Welt darf dabei in kaum einer Ausführung fehlen. Überwiegend wird sich an der Oberfläche abgearbeitet, die mit ihrem großstädtischen Zukunftsentwurf wahrlich keine Bäume ausreißt. Nur wenige Rezensenten indes zeigen Bereitschaft, sich tiefer mit der eigentlichen Geschichte auseinanderzusetzen, die für Duncan Jones eine sehr persönliche ist. Tatsächlich braucht der Film das Blade Runner-artige Universum gar nicht einmal. Er erschafft sein eigenes, und deshalb sollte es bei Mute mit der Feststellung eines konfusen, vermeintlich ziellosen Plots eigentlich nicht getan sein.

Mit den den beiden überdrehten amerikanischen Unterwelt-Chirurgen Cactus Bill (Paul Rudd) und Duck Teddington (Justin Theroux) führt Mute zwei Charaktere ein, die absolut nicht zur Identifikation einladen, aber - wie sich erst spät herauskristallisiert - ebenso wichtig für die finale Pointe des Drehbuchs sind wie der stumme Barkeeper Leo, den wir direkt zu Beginn durch eine Rückblende kennenlernen. Vor langer Zeit verlor er infolge eines Unfalls seine Stimme, was in der Gegenwart des Films (wir schreiben das Jahr 2052) wiederum Alexander Skarsgård als melancholisch durch Berlin streifendes Ryan-Gosling-Stand-in auf den Plan ruft. Leo ist bald auf der Suche nach seiner großen Liebe Naadirah (Seyneb Saleh), die eines Tages (nicht ganz) spurlos verschwindet. Seine gefährlichen Nachforschungen führen ihn durch eine deutsche Metropole, die vor mysteriösen Gestalten nur so wimmelt und die anonym bleibt, obwohl frisch geschossene Handybilder direkt auf öffentlichen Monitoren erscheinen.

Der Mensch triumphiert über den Moloch

Als eine von mehreren Kuriositäten an Mute erweist sich, dass der Fall um Naadirah zwar irgendwann aufgeklärt ist, der Film jedoch (zur potentiellen Verwirrung des Zuschauers) dann erst richtig Fahrt aufnimmt. Duncan Jones hat sein Bestes getan, um ein dichtes Netz zu spinnen, welches den Blick auf das Wesentliche lange versperrt. Am Ende geht es weniger um ein klassisches Neo-Noir-Verbrechen als vielmehr um ein kleines Mädchen - genauer gesagt Bills Tochter Josie (Mia-Sophie Bastin) -, das einerseits die ganze Zeit klar sichtbar war und dessen Schicksal im Nachhinein zugleich doch sehr überraschend über den Verlauf der Handlung bestimmt. Sie ist es, die den gebrochenen Protagonisten Leo im Finale buchstäblich seine Stimme wiederfinden lässt und ihm so zum letzten Schritt einer neuen Menschwerdung verhilft. Im Gegenzug verschafft er ihr ein neues Zuhause. Chris Evangelista bezeichnet Mute auf Slash Film  als "unapologetisch misanthropisch", für mich ist der Film das genaue Gegenteil: Science-Fiction, wie sie humanistischer kaum sein könnte.

Alexander Skarsgård in Mute

Daran ändert auch der umstrittene Umgang des Werks mit dem Thema Pädophilie nichts. Ducks sexuelle Bedürfnisse sind offenkundig auf sehr junge Mädchen gerichtet, und darüber spricht er mitunter so flapsig wie ein Fußballfan, der während eines Spiels über den niedrigen Tabellenplatz des Gegners witzelt. So fragt er eine 20-jährige Prostituierte, ob sie für ihn nicht so tun könne, als sei sie erst 16 - diese Szene zählt wohlgemerkt noch zu den zahmeren. Als Cactus Bill bemerkt, dass sein Freund und Kollege Kameras aufgestellt hat, um heimlich minderjährige Patientinnen zu filmen (darunter möglicherweise auch seine kleine Josie), platzt ihm zwar kurzzeitig der Kragen, aber bereits ein paar Minuten später ist alles vergessen und das schräge Männerduo feiert ausgelassen zusammen. Die zumindest an einem früheren Punkt sogar einmal homoerotische Beziehung der beiden trägt über die gesamte Laufzeit hinweg den sicheren Anschein einer faszinierenden Hassliebe und wird erfrischenderweise nie entwirrt. Unklar bleibt auch, ob Duck seine Neigung körperlich auslebt. Nicht zuletzt bilden die zwei partners in crime einen willkommenen Kontrast zum schweigenden Leo.

Väter überall

Mit seinem 2016 verstorbenen Vater David Bowie lebte Duncan Jones Ende der 1970er Jahre eine Zeit lang in Berlin, nun dient ihm eine futuristische Version der pulsierenden Stadt als Kulisse für sein von langer Hand geplantes Netflix-Projekt. Mute ist dem berühmten Sänger sowie Jones' ehemaliger Nanny Marion Skene gewidmet, zu der der heute 46-jährige Regisseur ein inniges Verhältnis pflegte. Mit seinem neuen Film erprobt Jones verschiedene Varianten einer Vaterfigur (genauer gesagt: mindestens drei), die möglicherweise alle zu bildlichen Teilen in Bowie verschmolzen waren. Dass ausgerechnet jene mit der reinsten Seele - also Alexander Skarsgårds Leo - überlebt, dürfte von einer gewissen Aussagekraft sein.

Mehr: Nach Mute-Pleite und Warcraft-Flop: Duncan Jones dreht Thriller-Serie

Ultimativ erzählt Mute von nicht weniger als der ewigen Suche des Menschen nach Verständnis und Geborgenheit. Keineswegs umsonst verbindet Leo und Josie von Anfang an eine bescheidene Leidenschaft fürs Zeichnen. Der Film mag sich manchmal verlaufen, doch den Spott, der aktuell über ihn hereinbricht, verdient er nicht. Hier hat ein Filmemacher viel riskiert, um sein Herzensprojekt endlich umzusetzen, und das Ergebnis irritiert so, wie es eben passieren kann, wenn Streaming-Gigant Netflix einem Auteur freie Hand lässt. Ich sage: Bitte mehr davon.

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