Wer hierzulande vom klassischen japanischen Kino spricht, hat in der Regel vor allem einen Namen im Sinn: Akira Kurosawa. So unbestreitbar großartig dessen Filme auch sind, so hat die Sache doch einen Haken: Unter der Strahlkraft eines einzelnen Meisterregisseurs droht eine ganze nationale Kinematographie zu verblassen und verschwinden. Bereits Kenji Mizoguchi, Yasujiro Ozu oder Mikio Naruse – allesamt Meister ihres Fachs – sind auch schon auf Grund der recht betrüblichen Editionslage in Deutschland allenfalls eingefleischten Cinephilen ein Begriff, ein Routinier mit sicherer Hand wie Keisuke Kinoshita hingegen zählt schon zu den großen Unbekannten aus der dritten Reihe. Das ist auch deshalb bedauerlich, da sich in der klassischen Periode der Shochiku, dem ältesten Produktionsstudio Japans und vermutlich auch der Welt, ganz ähnlich wie in Hollywood zu dessen bester Zeit ein Arbeitsumfeld entstand, das zum einen Qualitätsstandards sicherte und zum anderen durch kontinuierliche Beschäftigung eine ganze Riege hervorragender Regisseure – unter anderem alle oben genannten – zur Perfektion heranreifen ließ. Es lässt sich nur erahnen, welche Schätze da noch in den Archiven schlummern – und immer wieder gibt es Wieder- und Neudentdeckungen.
Eine Entdeckung aus der japanischen Schatzkammer
Üblicherweise finden diese auf DVD statt. Zu den großartigsten Projekten zählte etwa die Reihe Japanische Meisterregisseure von Polyfilm (die mangels Zuspruch vorzeitig eingestellt werden musste – ein Jammer!), mit Barfuß durch die Hölle – 1. Teil liegt nun von Winkler Film eine nicht minder ambitionierte Einzelveröffentlichung vor, die Freunden des japanischen Kinos (allen Cinephilen sowieso) unbedingt ans Herz – oder unter den Weihnachtsbaum – gelegt werden muss: Stolze sechs randvoll gefüllte Scheiben umfasst dieses Set, darauf das mit über neun Stunden Spielzeit vielleicht längste Antikriegsepos der Filmgeschichte, hervorragend in Szene gesetzt von Masaki Kobayashi, dem Regisseur des ungleich bekannteren Geisterfilmklassikers Kwaidan. In insgesamt drei Spielfilmen (Teil 2 und Teil 3 in unserer Datenbank) – dramaturgisch allesamt abgeschlossen, faktisch aber ein großer Erzählbogen – verfilmte Kobayashi hier den ähnlich raumgreifenden Roman von Junpei Gomikawa.
Japan, zu Zeit des Zweiten Weltkriegs: Erzählt wird die tragische Geschichte des jungen Kaji, ein idealistischer Sozialist und Pazifist, der sich dem Militärdienst zu entziehen versucht, indem er sich mit seiner gerade geheirateten Ehefrau zum Verwaltungsdienst in die Mandschurei versetzen lässt. In den dortigen Arbeitslagern, in denen chinesische Kriegsgefangene unter unwürdigsten Bedingungen Frondienst leisten müssen, gerät er wegen seiner humanistischen Ansichten nicht nur bald schon mit der Lagerleitung in Konflikt, sondern gerät unter den Sachzwängen und Intrigen unter den Japanern regelmäßig an die Grenzen seines eigenen Gewissens. Als er des Landesverrats bezichtigt wird, geschieht das Unausweichliche: Kaji wird in den Militärdienst versetzt, gerät in sowjetische Kriegsgefangenschaft und flieht – barfuß durch die Hölle.
Minutiös und in glasklaren Bildern schildert Masaki Kobayashi eine tragische Schicksalsmaschinerie, aus der es für Kaji kaum ein Entrinnen gibt. Schon frühzeitig markiert ein Bild Kajis Gefangenschaft: Wenn er sich am Zaun mit einem chinesischen Gefangenen unterhält und seine Lage schildert, die ihn dazu zwingt, sich gegen seine Überzeugungen zu verhalten, springt die Kamera auf die Seite des Gefangenen, sodass Kaji selbst wie in einem Käfig gefangen erscheint. In Barfuß durch die Hölle erscheint Japan selbst wie gefangen: Vom Nationalismus und Militarismus, von Unmenschlichkeit und Barbarbei. Kobayashis Film ist eine wütende Anklage dieser Umstände, die umso mehr erstaunt, da eine Thematisierung der japanischen Kriegsgeschichte bis heute einem Tabubruch gleich kommt. Für seinen mutigen Versuch gegen alle Widerstände – auch bei der ohnehin eher konservativen Shochiku war man von dem Projekt kaum begeistert – wurde Masaki Kobayashi zurecht mit internationalen Preisen dekoriert.
Ein luxuriöses DVD-Set
Die Synchronisation von Barfuß durch die Hölle – 1. Teil wurde seinerzeit von Bernhard Wicki besorgt, der kurz zuvor mit Die Brücke einen thematisch ähnlichen Film vorlegte. Für das deutsche Publikum wurde die Filmtrilogie gerafft und etwas umgeschnitten – mit fast sieben Stunden Spielzeit fällt auch die Kinofassung noch immer sehr stattlich aus. Wicki ging dabei sehr sorgfältig und beherzt vor – seine Synchrofassung kann deshalb nicht nur wegen der exzellenten Sprecher bestehen. Die veröffentlichte Box von Winkler Film gestattet glücklicherweise den direkten Vergleich und liefert die zwei Stunden längere Fassung im japanischen Original mit deutschen Untertiteln mit. Für das Bonusmaterial wurden Masaki Kobayashi, Schnittmeister Uraoka Keiichi und Hauptdarsteller Tatsuya Nakadai (der sich nach diesem Film zu einem der wichtigsten Darsteller des japanischen Kinos mausern sollte) interviewt, die hier in allesmat sehenswerten Gesprächen auf ihre Arbeit zurückblicken. Sehr gut geraten ist das zwar etwas schmale, aber mit wichtigen Hintergrundinfos, die den Film gesellschaftlich und filmhistorisch verorten, versehene Booklet. Einen Zusatzbonus gibt es dafür, dass der leidige “FSK-Flatschen” von der Schuberbox problemlos entfernbar und das DVD-Cover selbst ein Wendecover ist: Auf einem solchen unbedingt wiederzuentdeckenden Klassiker des japanischen Kinos haben die hässlichen Jugendschutzwimpel wirklich nichts verloren.
Was bleibt zu sagen? Schöne Feiertage? Also gut! Lasst’s euch gut gehen über Weihnachten, esst zuviele Plätzchen (man darbt ja sonst das ganze Jahr), streitet nicht zuviel mit der Familie und schaut nur gute Filme! Wir sehen uns wieder zwischen den Jahren am 29.! Ich kann schon mal versprechen: Es wird schaumig-bunt zugehen! :-)
Abschließend der Trailer
Barfuß durch die Hölle ist bei Amazon für 40,99 Euro erhältlich.
Thomas Groh lebt in Berlin, arbeitet für die Programmvideothek Filmkunst im Roderich und schreibt über Filme, zum Beispiel für die Filmzeitschrift Splatting Image, die taz und das Onlinekulturmagazin Perlentaucher. Wenn er nicht gerade sein Blog aktualisiert, verfasst er wöchentliche DVD-Kolumnen für den moviepilot, in denen er Filme von etwas jenseits des Radars empfiehlt, zuletzt beispielweise die Woody-Allen-Komödie Hollywood Ending, die Werner-Herzog-Doku Begegnungen am Ende der Welt und den surrealen tschechischen Märchenhorrorfilm Valerie – Eine Woche voller Wunder .