Lust auf Film, oder: die Kunst des Videoessays

15.04.2015 - 08:50 UhrVor 9 Jahren aktualisiert
Every Frame a Painting: YouTube-Kanal von Videoessayist Tony Zhou.
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Every Frame a Painting: YouTube-Kanal von Videoessayist Tony Zhou.
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Neben populären Formaten von Screen Junkies oder Red Letter Media bieten YouTube und Vimeo auch sehenswerten Videoessays eine Plattform. Diese richten sich ebenfalls an Filmfreunde – und sind nicht nur unterhaltsam, sondern auch überaus lehrreich.

Videoessay, das beschreibt erstmal nichts anderes als eine persönliche Abhandlung bestimmter Themen in bewegten Bildern. Diese Beschäftigung kann wissenschaftlich oder populär, geistreich oder launig, unverfänglich oder polemisch sein – so lange sie nur etwas über ihren Gegenstand zu vermitteln weiß. Schon ihrer Anschaulichkeit wegen erfahren filmbezogene Videoessays im Internet hohe Verbreitung, was vor allem für sogenannte Supercuts oder Kompilationen gilt, in denen Filme zu Best-of-Montagen verdichtet und in einen bestenfalls reizvollen Zusammenhang gebracht werden. Sie sind die vielleicht bekanntesten, wenn auch nicht unbedingt originellsten Beispiele einer mehr oder weniger essayistischen Auseinandersetzung mit Kinobildern. Ihren Verantwortlichen ermöglichen sie einen guten Einstieg in die Arbeit mit Quellmaterial, das zu sortieren und zu schneiden viel Mühe kostet.

In den vergangenen Jahren hat das Netz einige Videoessay-Autoren hervorgebracht, die diese Arbeit in besonderer Weise produktiv gemacht haben. Sie sind von kinobegeisterten Hobby-Cuttern zu Filmemachern, von Fanvideokünstlern zu kleinen Stars der Szene gereift. Formal und inhaltlich setzen ihre Videos und Filme unterschiedliche Schwerpunkte, mit teils sogar gegensätzlichen Ausrichtungen. Manche erarbeiten Profile prominenter Regisseure, andere ehren Klassiker der Filmgeschichte oder bringen diese gezielt durcheinander. Es gibt berichterstattende und meinungsmachende Videoessays, es gibt einfache Festivalreportagen und komplexe Annäherungen an filmische Sprache. Die einen versuchen sich an sonderbaren Bildexperimenten oder gewagten Thesen, die anderen sind analytisch oder nicht selten auch ausgesprochen ulkig. Immer eint sie dabei ein Interesse an Kino, das transparent und erfahrbar gemacht, vor allem aber gefeiert werden soll.

Einer der prominentesten Videoessay-Künstler heißt Kevin B. Lee. Er ist Gründungsverleger der Filmplattform Fandor  und Redakteur des Indiewire-Blogs Press Play , das der 2013 verstorbene Filmkritiker Roger Ebert einmal "die beste Quelle für Online-Videoessays" nannte. Mit Transformers: The Premake, seiner herausragenden "Desktop-Dokumentation" über die gnadenlose Bilderverwertungsmaschinerie der Transformers-Filme, schaffte es Lee zuletzt gar auf die Woche der Kritik . Der Videoessay The Career of Paul Thomas Anderson in Five Shots  wiederum veranschaulicht anhand von fünf Plansequenzen räumliche und figurale Anordnungen in Paul Thomas Andersons Filmen. Sehenswert sind außerdem sein Versuch  einer Aufstellung bestimmter Erotik- bzw. Sexploitationfilme, die den umstrittenen Bechdel-Test  bestehen, sowie eine kritische Untersuchung  des Neorealismusbegriffs, die ihrerseits als Replik auf ein Videoessay (von kogoneda ) gedacht ist.

Tony Zhou wiederum hat es mit seinem tumblr  bzw. YouTube-Kanal  Every Frame a Painting innerhalb eines Jahres zu beachtlichem Online-Erfolg gebracht. Die auch dem Laien verständlichen Videoessays des in San Francisco lebenden Cutters sind als präzise Einführungen in Filmsprache oder die Arbeitsweisen bestimmter Filmschaffender eine außerordentliche Bereicherung. Er hat sich nicht nur der stilistischen Eigenheiten von Regisseuren wie David Fincher, Jackie Chan oder Akira Kurosawa angenommen, sondern diese auch mit Schwerpunkten und Thesen versehen, die er einstellungsgenau nachweist. Tony Zhous Videoessays sind kurz und prägnant, aber deshalb nicht zwangsläufig oberflächlich. Sie schaffen Anreize und machen Lust auf eine weiterführende Beschäftigung mit ihren jeweiligen Themen. Zu all seinen Videos lassen sich englische Untertitel zuschalten, was für mach einen sicherlich hilfreich ist.

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