Legion: Wie viel Kreativität ist erträglich, bis es wahllos wirkt?

24.05.2018 - 09:05 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Legion: Oliver und der Shadow KingFX
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Der Puls der 2. Staffel von Legion steigt, der Körper des Shadow Kings und damit das Staffelfinale rücken immer näher, während das Schicksal der Welt auf dem Spiel steht.

Ob im Autorenraum von Legion auch kleine Fähnchen über eine Miniaturlandschaft verteilt werden und Noah Hawley bei verzwickten Drehbuchdiskussionen an diesen herumkaut? Wenn ja, dürfte das Fähnchen mit dem Antlitz von Jean Smarts Melanie mittlerweile unter einer Staubschicht verschwinden. Erst am Ende der 8. Episode (Kapitel 16) dieser Staffel erinnert sich die Serie daran, dass die Summerland-Chefin noch Teil des Ensembles ist. Ich könnte Jean Smart zwar den ganzen Tag zuschauen, wie sie Leuten in dunklen Gängen eins mit einer Metallstange drüberzieht. Nichtsdestotrotz mag ich die Hoffnung nicht aufgeben, dass ihre Beziehung zum besessenen Oliver und die Tatsache, dass sie nun mal Jean Smart ist, die Autoren dazu verleiten, ihrer Melanie in den kommenden Episoden mehr Aufgaben zu verleihen, als unter Drogen- und/oder Shadow-King-Rausch zu stehen. Nur noch drei Episoden dauert diese 2. Staffel von Legion nämlich, die sich für die Suche nach dem Leichnam von Amahl Farouk (Navid Negahban) alle Zeit der Welt nimmt und das im Prinzip selbst kommentiert: Mit der Rikscha lässt sich Farouk durch die Wüste kutschieren und fast hört man das Autorengelächter im Hintergrund. Aber warum sich auch nicht Zeit lassen? Im Moment stehen alle Zeichen in Legion auf Weltuntergang.

Legion nähert sich dem Körper des Shadow King

Mit Hilfe von Zukunfts-Syd und der Chauffeurin seines Leichnams erfährt Amahl Farouk, wo sein Körper begraben wurde. Gleichzeitig kommt David (Dan Stevens) an dieselbe Information über Ptonomy (Jeremie Harris), der psychisch als Teil des Netzwerks von Admiral Fukuyama überlebt hat. In eben diesem Netzwerk, das in der Folge als mit 1-und-0-Tapete ausgestatteter Serverraum visualisiert wird, hat sich der Geist des toten Mönchs eingenistet. So erfährt Ptonomy die Vorgeschichte von Fukuyama, offenbar ein Mutant mit besonderen Heilungskräften, der sich als junger Mann der Regierung als menschlicher Gedankensafe hingab. Vom Grab des Amahl Farouk bekommt Ptonomy ebenfalls Wind. In der trostlosen Wüstenebene (Le Désolé) liegt es verborgen. David entwickelt einen Plan, den er natürlich niemanden mitteilt, und für Syd (Rachel Keller) hat er mal wieder nur Flunkereien und ein Briefchen auf dem Nachttisch übrig.

Legion

In einer der berührendsten Szenen, die ohne surreale Einfälle auskommt, erzählt Syd dem früheren Feind Clark (Hamish Linklater) von den Lügen, die David ihr auftischt, von seinen Fehlern und ihrem Wissen, dass ihre Beziehung nie so sein wird, wie in ihren reinen Anfangstagen - dass sie aber sein muss. Die Welt ist, wie bei jedem näheren Kennenlernen, komplizierter für die beiden geworden, durch Geheimnisse, Charakterfehler, den potenziellen Untergang der Menschheit - das Übliche. Hier gelingt Legion mit einfachsten Mitteln der Brückenschlag zwischen dem surreal verzwickten Mutanten-Plot und der emotionalen Realität seiner Figuren. Rachel Keller lässt das Jahr, das Syd ohne David verbracht hat, auf ihren Schultern lasten. Sie wirkt reifer, sie hat Dinge durchschaut, die junger Verliebtheit für gewöhnlich verborgen bleiben. Ihr gegenüber sitzt Hamish Linklaters Clark, dessen Arbeit in Legion Staffel 2 unerlässliche Charakter-Erdung bringt. Im Grunde fehlt seiner Figur ein Arc, dafür ist der arc-lose Clark ein idealer Gesprächspartner, ob er nun David seine bedrohlich-skeptische Gesichtshälfte zeigt oder für Syd den einfühlsamen Beziehungsberater spielt.

Die Traumlogik spielt in Legion Staffel 2 eine noch größere Rolle

Im Übergang von diesem Gespräch, das von Melanie belauscht wird, zu Syds fantastischem Badass-Auftritt in der kargen Ebene, zeigt sich, wie sich die 2. Staffel von Legion noch konsequenter der Traumlogik verschreibt. Clark erzählt davon, wie er in der Armee in einen Mann verliebt war, der mit jedem Fallschirmsprung, jedem Einsatz versuchte, von ihm loszukommen. Eines Tages öffnete sich der Fallschirm nicht. Das mag man nun auf Davids selbstzerstörerischen Drang übertragen. Hals über Kopf rennt er in jede Gefahrensituation, als fordere er das Scheitern heraus. Oder aber auf Syd selbst, die kurz danach mit dem metaphorischen Fallschirm ihrem David hinterherspringt und ihm erstmal gegen das Schienbein tritt, wie es sich gehört. Es ist völlig egal, ob sie in der Realität aus einem Flugzeug in die Wüste springt. Was ist schon Realität in dieser durch und durch verträumten 2. Staffel von Legion? Das Motiv genügt, das aus Clarks Erzählung in Syds Auftritt hineinfließt und ihn metaphorisch bereichert: Was, wenn sich ihr Fallschirm beim nächsten oder übernächsten Sprung auf den Fersen Davids nicht öffnet?

Kapitel 16 ist eine Folge voller toller Momente, etwa wenn Lenny (Aubrey Plaza) aus Division 3 entkommt und auf einem schnittigen Motorrad der Marke Triumph davonbraust. Oder wenn David seinen Plan durchgeht, der dank der musikalischen Untermalung viel epischer wirkt, als es ein bisschen Fähnchengewinke über einer Miniaturlandschaft verdient. Oder wenn die Split-Screen-Orgie einsetz. Die ersetzt die gewohnte Informationsökonomie des Stilmittels durch eine Überlagerung von Atmosphären. Wir lernen nicht viel neues und manche Einstellungen wirken pragmatisch betrachtet redundant: Aber hier braut sich ein Klimax zusammen, mit jedem weiteren, sich übereinander schiebenden Bild. Oder wenn Navid Negahban ... irgendwas macht. Der Shadow King-Darsteller bleibt ein infernalisches Labsal sondergleichen, das jeden hochgezogenen Mundwinkel auskostet wie andere einen seitenlangen Shakespeare-Monolog.

Legion

Dass Kapitel 16 als Folge trotzdem an den Rändern fusselt, mag daran liegen, dass die Episoden in dieser Staffel noch stärker ineinander übergehen. Kapitel 16 wirkt, als hätte sie erst in der Postproduktion zu ihrer erzählerischen Form gefunden, eigentlich nichts besonderes für die Serie, nur sollte es nicht so stark auffallen. Hinzu kommen die Jon Hamm-Explainer, letzte Woche hilfreich zusammengefasst, die sich nicht immer homogen in die Folgen einfügen. Was sie ästhetisch gesehen wohl auch nicht müssen. Der Bruch mit den Sehgewohnheiten wohnt ihnen inne. Als würde sich für ein paar Minuten ein extra Erzähler einschalten, der eine weitere Realitätsebene eröffnet, die näher an uns als der Serie liegt. Das schließt die thematische Befruchtung des jeweiligen Rests der Folge nicht aus. Dank der Verweise auf die moderne Internetkultur in dieser Episode bricht der Abschnitt jedoch gravierender aus der Folge heraus als sonst. Um den Narzissmus, der andere Menschen nur noch als blutleere Schatten wahrnehmen lässt, geht es dabei eigentlich, so wenigstens meine Vermutung. Nur steht die Nähe zur Gegenwart (Smartphones! Trolle!) in einer ansonsten anachronistischen Serie bei diesem Einspieler der sanfteren Absorption in die Serienoberfläche im Wege.

Das Problem beim Schreiben über Legion ist, dass sich im Grunde jedes ästhetische Mittel, jeder erzählerische Einschub mit etwas Fantasie verteidigen lässt [vgl. Split-Screen-Absatz oben, Anm.d.Verf.]. Ihre kreative Offenheit, ihre vielen Andockstellen zeichnen die Serie schließlich aus. Eben noch eine zurückgespulte Szene, jetzt Split-Screens, nächste Woche wieder ein Hammismus. Nur wahllos sollte es nicht sein.

Anmerkungen am Rande:

  • In dieser Folge zitiert: America von Allen Ginsberg.
  • Heute beim Legion-Namedropping: Das Unheimliche von Sigmund Freud
  • Der Jon Hamm-Part wiederum adaptiert das platonische Höhlengleichnis
  • Ich bin mir über den Einsatz von Split-Screens in Noah Hawley-Serien noch nicht recht sicher, ob da mehr dahinter steckt, als eine Kurzschluss-Idee im Schneideraum. Schick sieht es aber aus.

Alle Recaps zur 2. Staffel von Legion:

Die 2. Staffel von Legion läuft jeden Mittwoch um 21:00 Uhr auf FOX in Deutschland und ist danach bei Sky Ticket  zu sehen.

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