Legion ist einer der großen Gewinner und Verlierer unserer TV-Ära

18.04.2018 - 19:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Legion: Die vielen Gesichter des Admirals
FX
Legion: Die vielen Gesichter des Admirals
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Kapitel 11 von Legion infiziert die ganze Division 3 mit einer mysteriösen Zähnemalm-Krankheit. Derweil ist fraglich, wie lange sich Legion noch im Fernsehen halten wird.

Legion ist die mit Abstand interessanteste Superheldenserie im Fernsehen und es ist gut möglich, dass sie über diese 2. Staffel nicht hinauskommt. Die Ära des Peak-TV hat diese Serie erst möglich gemacht, die sich wöchentlich surrealen Abenteuern hingibt. Das Peak-TV aber droht sie auch zu verschlingen. Es gibt keine andere Serie wie Legion, spätestens seit Twin Peaks: The Return sich wieder in die Black Lodge verzogen hat. Aber im Schwall der einzigartigen Serien droht Legion trotzdem unterzugehen. Gleich nach der Quantität scheint mir die Einzigartigkeit die zweitwichtigste Eigenschaft dieser Ära zu sein, was sie gleichzeitig austauschbar macht. So gut wie jede nur vorstellbare Serien-Nische wird besetzt, egal ob es nun um Nägelsalons, traurige Clowns, Marihuana-Verkäufer, Eskort-Damen oder eben Kiddie-Superhelden, Teenie-Superhelden, Twen-Superhelden und Netflix-Superhelden geht, die kein Geld für eine anständige Beleuchtung haben. Irgendwo dazwischen heischt Legion um Aufmerksamkeit, was angesichts der Quoten bei FX nicht wirklich funktioniert. Damit gehört es zu den großen Paradoxien dieser TV-Ära, dass nie so viel Kreativität im Fernsehen möglich war, es allerdings auch nie so schwer war, sich ein Publikum zu erarbeiten.

Stell' dir vor, du schaust Legion zum ersten Mal

Stellen wir uns einmal vor, jemand würde zufällig in Kapitel 11 von Legion hereinzappen. Da erklingt die warme Stimme von Don Draper und erklärt irgendwas von einem "Nocebo-Effekt". Highschool-Mädchen fangen an, in der Schulter zu zucken. Mh, okay. Dann sitzt da so ein Typ mit fetziger Brille, in deren Gläsern sich Zeichentrickfiguren einen Kampf liefern, und er fällt kopfüber in einen Reisteller. Aha. Mönche versiegeln seinen Körper in einem Eiersarg. So weit lässt sich das noch nachvollziehen. Spätestens wenn eine Figur namens Kerry (aber nicht Cary!) zum ersten Mal in ihrem Leben isst (WTF) und aufs Klo geht (Was?), und später ein matschiges dunkles Viech einem anderen Dude ins Ohr kriecht (Kein Plan), wird weitergeschaltet.

Navid Negahban - Eines der Highlights in Legion Season 2

Dabei ist Kapitel 11 eine für Legion-Verhältnisse zumindest in ihrer Struktur durchschaubare Folge. Einmal mehr wird mit dem Jon Hamm-Prolog ein Thema vorgegeben, das im Verlauf am Exempel untersucht wird, speziell der Infizierung von Division 3 durch den seltsamen Mönch (leider kein Edgar Wallace-Schurke). Die Idee hinter der ansteckenden Krankheit in der Serie wird erklärt, die Infizierte in eine psychosomatische Schockstarre versetzt und mit den Zähnen malmen lässt. "Meine Frage lautet", heißt es da sinngemäß, "wenn aus der Vorstellung einer Krankheit eine echte Krankheit werden kann, welche anderen Teile unserer Realität sind dann in Wirklichkeit (psychische) Störungen?" Das unterstreicht die Unsicherheit über Davids Allianz mit dem Shadow King, die die Division hinters Licht führt. Unterliegt er selbst nur einer geschickten Verblendung? Ich mag darüber hinaus den Gedanken nicht abschütteln, dass Noah Hawley zeitgemäße Motive aus der 3. Staffel von Fargo in einem anderen Setting weiterdenkt. Auch in dieser sich mit Verblendung und Fake News beschäftigenden Staffel kam der manipulativen Macht von Wörtern eine gesonderte Bedeutung zu. Nicht umsonst gibt es im zweiten großen Treffen von David (Dan Stevens) und seinem Erzfeind Amahl Farouk (Navid Negahban) einen Monolog über die Herkunft des Begriffs "villain".

Legion ist zeitgemäßer, als bei einer Superhelden-Serie zu erwarten ist

Wir haben Amahl "Shadow King" Farouk in der 1. Staffel zweifach kennengelernt: als Parasiten, der von David seit Babytagen zehrt, und als Superbösewicht, der von Davids Vater in einer animierten Sequenz besiegt wird. Farouk nun dreht das Wort "villain", Schurke, zu seinen Gunsten um. Villain geht aufs spätlateinische Wort für "Landarbeiter" zurück, erklärt er. Der "villain" - das ist in Wirklichkeit der Unterdrückte. In seinem Fall ist der echte Täter Davids Vater, der Imperialist oder Kolonialist und damit wahre Parasit, wenn man so will. Woran mich die Argumentation erinnert, selbst wenn ein Fünkchen Wahrheit in dem Vorwurf steckt? Die Art, wie manche insbesondere rechte Kräfte in den USA sich als Underdogs gebärden, während sie bei Wahlen Mehrheiten erlangen. Und die willfährig falsche Umdeutung von Wörtern, um ihre Bedeutung zu verschleiern. Stichwort: In Nationalsozialismus steckt "Sozialismus" und die Nazis waren in Wirklichkeit Linke etc. (Wem dieser selten dämliche Argumentationsstrang im Internet noch nicht untergekommen ist, dem gebührt mein Neid).

David führt dieses Gespräch nun, während im Hintergrund Lenny (Aubrey Plaza) einen Selbstmordversuch nach dem anderen begeht. Sie fleht David an, sie aus dem geistigen Gefängnis Farouks zu befreien, wie eine Süchtige, die beim Dealer nach dem nächsten Schuss verlangt. Plaza war der Breakout-Star der 1. Staffel. Der Kontrast zwischen ihrer dominant-verführerischen Persona und dem erbärmlichen Häufchen, das übrig geblieben ist, bietet weitere Bestätigung für ihre Vielseitigkeit, insbesondere was ihr betont ganzkörperliches Schauspiel angeht. Trotzdem wirkt ihre Figur im Moment wie atmosphärische Set-Ausgestaltung. Zur Handlung trägt sie nichts bei, aber als Star ist sie wertvoll für die Serie. Das tiefe Unwohlsein dieser Szene am Pool, das Gefühl, in einem Alptraum zu landen, aus dem man nicht entkommt - das geht zu großen Teilen auf ihre Darbietung zurück.

Dan Stevens in Legion

Das Gros der Episode jedoch besteht aus dem verschachtelten Set-Piece in der infizierten Division 3. Verschachtelt, weil die Division selbst wie eine Traumwelt wirkt, in der im Flur mal eben eine Kuh herumsteht. Innerhalb dieser Welt, die zum Zweifeln an ihrem realen Gehalt anregt, finden wir uns wiederum in den Geisteswelten von David und den Kranken wieder. Ptonomy (Jeremie Harris) malmt mit den Zähnen und wird durch die Krankheit geistig in eine Endlosschleife gezwungen, in der er alle paar Sekunden von Neuem an einer Rose schnuppert. Melanies (Jean Smart) Innenleben ist das dunkle Labyrinth eines Text-Adventures, aus dem es kein Entkommen gibt. Man stelle sich also vor, jemand schaltet hier rein, am besten genau in dem Moment, in dem der Minotaurus mit Rollstuhl angeschnauft kommt. Im Goldenen Serien-Zeitalter leisteten sich Serien wie Die Sopranos oder Mad Men alle paar Staffeln mal solche Folgen. Legion ist stellenweise ein auf Serienlänge ausgerolltes The Test Dream. Mit Kühen statt Pferden. Es ist wunderbar abschreckend, aber eben wunderbar. Genießen wir es, so lange wir noch können.

Zitat der Folge: "My question is, if the idea of an illness can be become an illness what else about our reality is actually a disorder."

  • Vertrauen wir also in FX-Chef John Landgraf und dessen Beziehung zu Serien-Schöpfer Noah Hawley.
  • Bei der erwähnten Tanzplage von 1518 führte die tage- bis monatelange Tanzmanie von 400 Menschen in Straßburg zu Erschöpfung, Krankheit und Tod. Zu den Vermutungen über die Gründe gehört eine Lebensmittelvergiftung durch Pilze.
  • "I don't want a cow in my lab."
  • Diesmal hat Sarah Adina Smith Regie geführt, die unter anderem Buster's Mal Heart mit Mr. Robot-Star Rami Malek gedreht hat.


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Die 2. Staffel von Legion läuft immer Mittwoch um 21:00 Uhr auf FOX in Deutschland und ist danach bei Sky Ticket  zu sehen.

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