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Kino ist Krieg

28.12.2015 - 23:34 UhrVor 8 Jahren aktualisiert
Wo ist der Sinn?
Studiocanal
Wo ist der Sinn?
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Mal wieder ist ein Jahr vergangen und damit auch die Rezeption vieler, vieler Filme. Einhergehend damit die Reflexion über den immer währenden Kampf, der an so vielen Stellen ausgefochten wird. Eine kleine Anregung für mehr Selbstreflexion.

Beim Weihnachtsessen teilte meine Cousine ihrem Freund folgendes mit: „Du musst wissen, dass Essen bei uns Krieg heißt. Jeder für sich und keine Rücksicht auf Verluste.“ Wenn man der Ansicht ist, dass jede Interaktion auf Macht-Interessen und Motive zurückgeführt werden kann, muss man jede Interaktion als einen kleinen Krieg sehen. Wir wissen es vielleicht manchmal nicht, aber wir spielen unaufhörlich Rollen, die soziokulturell vorgeprägt sind. Vielleicht wollen wir das gar nicht und möchten uns lieber in Illusionen flüchten, man gebe sich einfach mal der Situation hin und treibe ziellos umher. Aber auch das ist bloß eine Reaktion. Dabei muss man den Begriff auch nicht mal derart negativ auffassen, es ist bloß ein gewollt-drastischer Ausdruck für die stetige Suche des postmodernen Individuums nach einem Sinn in dem, was wir Leben nennen.

Im Kinojahr 2015 findet man, vor allem in den von mir geschätzten Werken, diesen Kampf mit sich selbst und der Welt auf vielfältige Weise. In Whiplash der Sieg der Leistungsgesellschaft, welche selbst Kunst und Kultur ökonomisiert und alles dem Gewinnen unterordnet. Kein Platz mehr für wahre Entfaltung inspirierten Schaffens. Inherent Vice - Natürliche Mängel illustriert wie kaum ein anderer Film zuvor den Zwiespalt der Menschen, welche sich Regelwerken (Strukturen, Institutionen) unterwerfen (müssen, sollen), dies aber eigentlich nicht wollen. In mitten davon dekonstruieren die Charaktere des Filmes den Zwang und geben sich ganz einer Dekadenz hin, die vom davon ausgeschlossenen Zuschauer belacht wird, um die soziale Irritation auszugleichen. Mad Max: Fury Road zeigt noch viel simpler, wie durch einen Bruch mit den Umständen (hier sehr radikal: post-apokalyptisches Setting) die Moral sich sehr weit verschieben kann und wir es dabei mit nichts natürlichem zu tun haben, sondern es sich stets um eine aus dem Kontext und der Geschichte geborenen Konstruktion handelt. Doch die Sehnsucht nach Anerkennung, Sinn und Bedeutung und schließlich der Erlösung (der ultimativen Erfüllung des Sinnes) bleiben bestehen. Der Mensch wird vereint in seinem Verlangen nach mehr als dem, was da ist. Genauso treffen uns Filme wie Sicario hart, weil sie die Nerven nicht nur auf die Probe stellen, sondern stellenweise einfach zerreißen. Ungeschönt, ungeschminkt und pur: die Postmoderne in seiner ganzen Konsequenz. Letztes Jahr haben wir uns direkt den Ausprägungen des Spätkapitalismus (The Wolf of Wall Street) ergeben und dieser ist auch weiterhin zu spüren, wenn die asymmetrische Kriegsführung offenbar wird und wir den Glauben an das Gute allmählich verlieren könnten.

Ebenso verliert sich der Mensch in seiner eigenen Gier, ob es um den Erfolg im Show-Business oder im eigenen Gewerbe geht. Birdman oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit zeigt den Größenwahn eines Schauspielers, A Most Violent Year auf eindrucksvolle Weise, wie ein Mann nur aus Profitgier, selbst die eigenen Gefühle völlig unterordnet und nur noch fadenscheinig mit einer Moralität wedelt, die doch nur Mittel zum Zweck ist. Anderes kennt man natürlich selbst: der Ausflug in das Nachtleben am Wochenende (für Studierende: natürlich auch unter der Woche) als Versuch, sich vom Alltag zu erholen, zu emanzipieren und die Reinheit des Daseins zu erleben. Einfach erleben und sich treiben lassen. Und doch ist es dabei noch viel mehr der Versuch, seinem Leben einen richtigen Sinn zu verleihen. Die Suche nach Zerstreuung, die Gefahr des Absturzes. Ein Machtspiel der Elemente, jeder kämpft mit sich selbst und befindet sich dabei auch stets im Krieg mit den anderen und der Welt. Unaufhörlich, unerbittlich. Dazwischen finden sich nur unheimlich intensive Emotionen. Außerdem natürlich: Star Wars: Episode VII - Das Erwachen der Macht, der endlose, klischeebeladene (nicht negativ) Krieg zwischen Gut und Böse; wir sehen den Kreislauf der Macht (der ebenso wie das Leben ist), alles wiederholt sich, genauso wie der Krieg mit sich selbst.

Aber auch für den Zuschauer bedeutet Kino stets eine besondere Herausforderung. Es nicht nur so, dass man sich im Meinungsgefecht immer wieder selbst reflektieren sollte, um nicht zu sehr die eigene Meinung über die der anderen zu stellen. Für jeden ist es selbst natürlich von größerer Wichtigkeit, was man erfahren hat. Doch ist jede Erfahrung anders und auch jede Perspektive. Eine Meinung darüber, was gut ist, was schlecht ist und was man gut oder schlecht finden soll (!) kann sich gar nicht legitimieren, wenn alles derartig konstruiert und abhängig von Faktoren ist, die man manchmal gar nicht beeinflussen kann. Das bedeutet aber nicht das Ende des Austausches, denn dieser beginnt gerade hier. Mit genügend Selbstvertrauen, aber eben auch Selbstreflexion ist es möglich, die zugrunde legenden Motive und Macht-Interessen sowie Muster und Strukturen zu erkennen, zu interpretieren und zu diskutieren. Solche Diskussionen sind natürlich immer auch Aushandlungen, die von Vorerfahrungen geprägt sind und so einen Krieg (ist ja schließlich Interaktion) darstellen – letztlich darum, welche Konstruktion von Bedeutung nun im Kontext sinnvoller erscheint. Aber haut euch nicht die Köpfe ein.

Ist nun mal so, dass man vom typischen Kinogänger, der vielleicht nicht in dem Maße die Leidenschaft für Filme teilt, blöd angeschaut wird, wenn man Marvel, die Fülle der immer gleichen Werke oder speziell einen Film anhand solcher Merkmale kritisiert. Dass ich wirklich eingeschlafen bin im unsäglich anstrengenden und nichtssagenden Marvel's The Avengers 2: Age of Ultron, kommt da noch hinzu. „Du musst auch mal das Gehirn ausschalten!“ ist so mein Satz aus 2015, den ich sehr oft hören musste und mich immer wieder darüber echauffieren könnte. Wenn wir schon das titelgebende Wort überstrapazieren wollen, möchte ich nur kurz erwähnen, dass in der Vorstellung zu meinem schlechtesten Film des Jahres (Ricki - Wie Familie so ist), der Krieg um die Sitzplätze noch am interessantesten erschien. Wenn vier Mädels eigentlich Karten für die erste Reihe hatten, sich aber immer noch irgendwo mitreinsetzen wollten, damit sie ihren Nacken nicht verrenken. Oder der Mann mit Rucksack, welcher in der Mitte des Films hektisch aufstand, um dann zu verschwinden. Ein guter Mann, der sich nicht dem Versagen der Filmschaffenden auf der Leinwand hingibt. Ich könnte dies nicht. Aus einem Film zu gehen, aus dem Kino zu flüchten, wenn ich einmal angefangen habe. Ein ständiger Kampf mit mir selbst, meine eigenen Prinzipien nicht über Bord zu werfen. Gebrochen, als ich aus der Sneak ging, als The Visit begann. Zum Glück kein Geld bezahlt und wahrscheinlich eine bessere Zeit stattdessen verbracht. Jedoch wurmt es mich: jetzt kann ich nicht mehr behaupten, nie gegangen zu sein. Wer gewinnt hier, im Kampf Pragmatismus vs. Idealismus?

Man sollte sich immer die Frage stellen, was man gerade weshalb wie und wo macht. Sprich: die Selbstreflexion sollte ständiger Begleiter sein. Und gerade dafür eignet sich das Kino sehr gut, gerade wenn es – wie 2015 – diesen Krieg mit sich und der Welt so gut wiederspiegelt. Auf der Suche nach der Entstehung von diversen Zusammenhängen und Bedeutungskonstruktionen findet man Antworten in der Kunst, und gerade im Kino. Wichtig ist außerdem die nach der Rezeption folgende weitere Auseinandersetzung mit Film und Kino, unabdinglich für jemanden, der das Medium nutzt, um die Gesellschaft und ihre Diskurse zu verstehen. Meiner Meinung nach sollte jeder diesen Krieg mit sich, den anderen und dem Kino eingehen. Aber mit Respekt bitte, zumindest ein wenig.


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