Kevin Spacey & Co. - Der Zensur-Versuchung widerstehen

23.02.2018 - 09:00 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Kevin Spacey in House of Cards
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Der Fall Kevin Spacey wirft einen langen Schatten. Er befördert nachhaltig das Bedürfnis nach Reinheit in der Kunst. Tatsächlich aber leidet das Werk darunter.

Als im vergangenen Herbst immer mehr Männer Anschuldigungen der sexuellen Belästigung und teilsweise auch des Missbrauchs gegen Kevin Spacey erhoben, traf Ridley Scott eine radikale und nur durch einen organistorischen Kraftakt umzusetzende Entscheidung. Der Entführungsthriller Alles Geld der Welt war bereits mit dem zweifachen Oscarpreisträger abgedreht, die Produktion praktisch abgeschlossen: Doch Regisseur Scott ließ nach den ersten Vorwürfen gegen seinen Star alle Szenen mit eben diesem entfernen und drehte sie kurzfristig mit Christopher Plummer nach. In Hollywood-Kreisen erntete Scott dafür viel Anerkennung und die Überlegung muss erlaubt sein, ob auch ohne den spektakulären Personalwechsel vier Golden Globe-Nominierungen für Alles Geld der Welt zu Buche gestanden hätten. In der Kategorie Bester Nebendarsteller mischt Christopher Plummer sogar bei den anstehenden Oscars mit, gleichwohl er erst seit wenigen Wochen fester Bestandteil des Films ist.

Pragmatischer Entschluss vs. Reinheit der Kunst

In gewisser Weise also hat sich Scotts resolutes Reagieren sicherlich bezahlt gemacht, denn so wurde über Alles Geld der Welt oder - genauer gesagt - seine Entstehungsgeschichte eine Menge gesprochen, was aus Werbesicht eigentlich nie schlecht sein kann. Doch so notwendig es ist, persönliche Vergehen zu untersuchen und rechtlich zu ahnden, so problematisch ist es, ein in selbigem Zusammenhang zusätzlich betroffenes Kunstwerk zu verändern. Speziell Ridley Scott ging es übrigens gerade nicht darum, Kevin Spacey zu bestrafen. Vielmehr bekundet der Regisseur offen , dass sein Entschluss ein rein pragmatischer war: Er befürchtete, sein Film könne als Totgeburt enden. Dies zeugt von Respekt gegenüber den Mühen von Cast und Crew ebenso wie von einem ausgeprägten Wirtschaftsdenken.

Christopher Plummer in Alles Geld der Welt

Mittlerweile jedenfalls hat der außgerwöhnliche Stunt weite Kreise gezogen. Erst diesen Monat trennte  sich Fox von YouTuber Kian Lawley, der für die Romanverfilmung The Hate U Give bereits vor der Kamera gestanden hatte. Zuvor war ein schon älteres Video aufgetaucht, in dem sich der heute 22-Jährige über Schwarze lustig macht. Zwar folgte eine Entschuldigung, doch insbesondere, weil The Hate U Give von der Black Lives Matter-Bewegung  inspiriert ist, war der Darsteller nicht zu halten. Dasselbe Schicksal  wie Spacey ereilte auch Ed Westwick, den BBC nach Vergewaltigungsvorwürfen aus der Agatha Christie-Adaption Ordeal By Innocence schnitt. In Manchester wurde derweil das Gemälde "Hylas and the Nymphs" von 1896 wegen Sexismusverdacht aus einer Kunstgalerie abgehangen . Es zeigt einen jungen Mann, der von drei nackten Frauen in den Tod gelockt wird. Hier jedoch erweist sich das Entfernen als gezielter Debattenanstoss, denn dort, wo einst das Ausstellungsstück seinen Platz hatte, konnten Besucher ihre Meinung zur Maßnahme einige Tage lang auf Zetteln anpinnen. Mittlerweile hängt das Bild wieder. Ohne Zweifel: Das Thema Zensur ist relevant wie schon lange nicht mehr.

Im Fall von Alles Geld der Welt kursierten Meldungen, welche besagten, Christopher Plummer sei von Anfang an Ridley Scotts erste Wahl für die Besetzung des milliardenschweren Öl-Tycoons J. Paul Getty gewesen, sodass die Not-Auswechslung Spaceys bei genauerer Betrachtung gar das Gegenteil von Zensur definiere. Tatsächlich aber hatte Scott selbst dem zugkräftigeren Spacey willentlich den Vorzug gegeben . Plummer war "auf der Liste ", aber nicht auf der Pole Position. Wahrscheinlich werden wir zumindest mittelfristig nicht erfahren, wie Alles Geld der Welt in der Version mit dem gefallenen Star aussieht und das ist sehr bedenklich. Schließlich wird auf diese Weise eine Entscheidung für das Publikum gleich mit getroffen - jenem Publikum, dem jeder Regisseur zutrauen sollte, zwischen dem Privatmensch Kevin Spacey und dessen Verkörperung einer anderen Person zu unterscheiden.

Ein passend gemachter Skandal

Auch stellt sich die Frage, ob der Einschätzung des Regisseurs nicht vielleicht ein Denkfehler zugrunde liegt, denn möglicherweise hätte Alles Geld der Welt mit Kevin Spacey durchaus einige Neugierige ins Kino gelockt. Die unter Hochdruck entstandene Neufassung schlug sich am US-Box Office letztlich nur durchschnittlich, allzu viel wäre aus finanzieller Perspektive also gar nicht zu verlieren gewesen. In einem alarmierenden Licht erscheint der Darstellertausch mit Blick auf den deutschen Trailer, welcher den Thriller als "Der Skandalfilm" anpreist und durch den der Verleih so erschreckend schamlos aus einer menschlichen Tragödie Profit zu schlagen versucht (nein, gemeint ist damit keineswegs die auf wahren Begebenheiten beruhende Geschichte von Alles Geld der Welt). Dabei trifft die Bezeichnung "Skandalfilm" nicht einmal mehr wirklich zu - als solcher könnte Alles Geld der Welt nämlich allenfalls dann gelten, wenn das eigentliche "Problem" Spacey im fertigen Werk verblieben wäre. An dieser Stelle tritt eine kuriose Schieflage zutage, die durch die krude Vermengung nachvollziehbarer Schadensbegrenzung mit ätzendem Profitstreben entsteht. Das alles, um einen Film zu retten, der womöglich gar nicht gerettet werden musste.

Kevin Spacey im ersten Trailer zu Alles Geld der Welt

Wenn Schauspieler wegen vermeintlichen oder realen früheren Fehlverhaltens nachträglich aus einem Film oder einer Serie geschnitten werden, schadet es dem jeweiligen Projekt mehr als es hilft. Die öffentliche Wahrnehmung Kevin Spaceys änderte sich quasi über Nacht schlagartig, doch zu diesem Zeitpunkt war Alles Geld der Welt bereits im Kasten. Ob wir nach Auffassung des Studios beziehungsweise Ridley Scotts vor seiner Leinwandpräsenz beschützt werden wollen, hängt mithin allein davon ab, was wir ab wann als Kollektiv über Spacey wissen. Seine im Film erbrachte Leistung indes ändert sich objektiv keineswegs und doch erfolgt ausgerechnet hier der große Einschnitt.

Freilich ist es zunächst ein natürlicher Vorgang, wenn während des Schneideprozesses einzelne Szenen unter den Tisch fallen - beispielsweise, weil die Macher nachträglich feststellen, dass eine bestimmte formale oder inhaltliche Idee doch nicht wie erhofft funktioniert. Mitunter verschwinden gar ganze Darsteller in der Tonne wie zuletzt bei Xavier Dolan. Die Kinofassung seines nächsten Dramas The Death and Life of John F. Donovan wird überraschend ohne Jessica Chastain auskommen , die neben Kit Harington und Susan Sarandon eigentlich der große Star des Films war. Hierbei jedoch handelt es sich um ein Vorhaben, das klar erkennbar durch künstlerische Erwägungen motiviert ist und das Dolan schweren Herzens vollzieht. Geschäftsmann Ridley Scott hingegen schnitt Kevin Spacey aus Alles Geld der Welt, um den Film in erster Linie profitabler und "sauberer", nicht unbedingt aber auch besser zu machen. Doch sind wir wirklich per se unfähig, mit kostümierten Unsympathen und - wenn es sein muss - auch Verbrechern auf der Leinwand oder dem Fernsehbildschirm umzugehen? Ich denke: Nein.

Was haltet ihr vom Fall Kevin Spacey bei Alles Geld der Welt?

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