Falls es sowas wie Videoabende noch gibt in der Generation Z, dann wurde Deadstream dafür geschaffen. In dem Found Footage-Film versucht ein Twitch-Streamer bzw. YouTuber seinen Fame zurück zu erlangen mit einer beknackten Idee: Er schließt sich über Nacht in einem Geisterhaus ein und wirft dem Schlüssel weg. Gefangen mit dem Narzissten lernt man die polternden Bewohner des Conjuring-Hauses bald lieben, nicht zuletzt weil sie dem nervtötenden Internet-Star den Livestream-Stunt zur Hölle machen.
Beim Festival des phantastischen Films im Sitges wurde die Horrorkomödie mit Begeisterungsschreien empfangen und Vorführungen in der katalanischen Küstenstadt besitzen die Aura eines Videoabends. Deadstream bietet clever strukturierten Found Footage-Spaß, in dem die Pointen geduldig vorbereitet werden und ins Ziel treffen wie ein Geisterfinger, der im Nasenloch seines Opfers herumstochert. Nur der Streamer kommt noch zu nett weg.
Die Horrorkomödie wird ausschließlich über Livestream-Aufnahmen erzählt
Shawn (Joseph Winter) hat einen klassischen Internet-Aufstieg hinter sich, immerhin hat er bereits eines dieser ganz doll ehrlich gemeinten "My Apology"-Videos gepostet. Einer seiner Pranks traf nämlich unschuldige Opfer. Shawn hält sich folglich im Cancel-Fegefeuer auf, jener Zwischenwelt, in der Stars traurig sind über ihre zerstörten Karrieren und trotzdem weiter Geld verdienen.
Der Streamer jedenfalls will zurück an die Spitze, weshalb er das Geisterhaus aufsucht. Dabei gibt der Film den Livestream wieder, in dem der Selbstdarsteller einen kurzen Abriss seiner Backstory liefert und dann – bei jedem Laubrascheln kreischend – das Horror-Grundstück bestritt. In der Bruchbude montiert er Action-Kameras, um die kleinste Bewegung festzuhalten. Die lässt nicht lange auf sich warten. So nimmt der Horror seinen Lauf, in dem die übernatürlichen Wesen Shawn die Regie zu entreißen drohen. Und das Leben sowieso.
Deadstream aktualisiert das Blair With Project für die YouTube- und Twitch-Ära
Shawn hat eine Headcam, eine Cam, die sein Gesicht zeigt, eine Cam für das Schlafzimmer, den Flur, das Kinderzimmer, eine Cam für ein Stück Wurst, das er als Ausguck benutzt. Eine Cam für jeden Anlass. Da die Kameras allerdings von Bewegungsmeldern aktiviert werden, entwickeln sie rasant ein Eigenleben.
Während unser Influencer sich noch mit dem nicht sonderlich feinfühligen Chat austauscht, schneidet der Livestream wortwörtlich von Geisterhand zum besorgniserregenden Geschehen in anderen Ecken des Hauses. Das nutzt das Team um Joseph und Vanessa Winter für einige köstliche Enthüllungen. Weil Shawn ständig neue Kameraperspektiven aus dem Hut zaubert, wird das niemals langweilig.
Deadstream bietet über die gesamte Laufzeit Gruselhumor voller Erfindungsreichtum und überzeugt als Horrorkomödie. Als Satire über das Streaming-Geschäft fehlt ihm allerdings der letzte Biss (wobei in diesem Film ziemlich viel gebissen wird, auch in die Weichteile).
Das Drehbuch gibt sich zufrieden mit ein paar harmlosen Spitzen gegen die PewDiePies dieser Welt, geht allerdings nicht weiter. Dafür heischt Deadstream dann doch zu sehr nach Applaus. Shawn nervt mit seinem exaltierten Gehabe und Mangel an Selbstreflexion, doch er stößt nicht ab. Wir belächeln seine eigensüchtigen Sperenzchen, aber lachen allzu oft nicht nur über ihn, sondern mit ihm. Deadstream will, dass wir den Like-Button anklicken. Und abonnieren und die Benachrichtigungen bitte auch erlauben. Das ist genug für einen Videoabend, trotzdem war da mehr drin.
*Bei diesen Links handelt es sich um sogenannte Affiliate-Links. Bei einem Kauf über diese Links oder beim Abschluss eines Abos erhalten wir eine Provision. Auf den Preis hat das keinerlei Auswirkung.