Im Kommentar der Woche feiern wir jeden Samstag eine ganz besondere Darbietung auf unseren blauen Seiten. Sei es eine Arabesque unter einem Film, ein Cambré unter einer Serie, ein Brisé zu einer Person oder einfach nur ein simples, aber gekonnten Plié unter einer News. Auch ein Pas de deux, solltet ihr mal eines erspähen, kann auf dieser Bühne getanzt werden. Wie? Indem ihr unsere Talentsucher seid! Wenn ihr irgendwo da draußen das (vielleicht bisher übersehene?) Potential eines Kommentars entdeckt - sagt uns Bescheid und gebt ihm die Hauptrolle!
Der Kommentar der Woche
Vor ein paar Jahren stürzte Darren Aronofsky eine unvergleichliche Natalie Portman (und uns) in einen Malstrom aus Bildern, Tanz, Klang, Psyche und Horror, in einem der eindrucksvollsten und verstörendsten Ballettfilme aller Zeiten. Juli Jane verneigt sich in ihrem Kommentar vor Black Swan - und wenn ihr ihn gelesen habt, werdet auch ihr nicht anders können, als zu applaudieren!
In dunkle Farben getauchte Bilder von Schönheit und Tod
GENREMIX: Das ist kein romantischer Film über Mädchen in der Welt des
Balletts und doch ist es durchaus ein Film von starker, wenn auch
düsterer Romantik, welche jedoch nicht unbedingt in der Handlung zu
finden ist, eher in den Bildern, dem Setting, den Masken und vor allem
DEM, dem, was dahinter liegt... Natürlich ist das in erster Linie ein
Psycho-Drama, ein wenig Tanzfilm, es finden sich aber auch Thriller- und
Märchenmotive und zwischendrin ist Black Swan schlicht Body-Horror. Ich
habe so etwas noch nie gesehen.
Die Doppelbödigkeit, Projektionen, Zerrbilder und die zahlreichen
Metaphern und märchenhafte Symbole (v.a. Spiegel) laden unbedingt ein,
sich von der vordergründig erzählten Geschichte zu lösen und sich im
Tanz mit dem dämonischen Rotbart in viel tiefere Sphären
hineinzubegeben. Allerdings widersetzt sich der Film erfolgreich einer
wirklich klärenden Interpretation, was ich nicht als Makel empfinde - im
Gegenteil.
Der Film balanciert / unglaublich wackelig / zwischen fast
abgedroschenen Genreklischees und übersteigerter Psychodramatik und das
mit einer emotionalen WUCHT, die mir schlicht den Atem raubte!
Jedenfalls, ob man sich für Ballett interessiert oder nicht, spielt
nicht im Geringsten eine Rolle. Hier geht es um psychotische,
albtraumartige Strukturen, Erwachsenwerden und Sexualitätsfindung.
Ballett und Schwanensee ist nur die Verpackung.
The Wrestler, ebenfalls von Regisseur Darren Aronofsky, war 2009 für
mich einer der Top Filme des damaligen Jahres. (Ich und Wrestling??
Pf!!) Mickey Rourke hat sich damals wider Erwarten ganz nah an mich
rangeschlichen und sich tief in mich reingefressen.
Ich bin ohne vorher auch nur ein Fitzelchen über Black Swan zu
lesen ins Kino gegangen, er wirkt erst mal ein ganz klein wenig "typisch
Tanzfilm"... und dann kommt er... diesmal von hinten... und greift dich
am Genick!!
Die Ballerina. Ein fast widersprüchliches Wesen, denn sie ist die wahrscheinlich HÄRTESTE und zugleich ZARTESTE weibliche Figur, die man sich vorstellen kann. Unerbittlich dem eigenen Körper gegenüber, eisern in der Disziplin, ein ungeheurerer Willen peitscht den Kampfgeist. Und dann... anmutig... scheinbar mühelos, federleicht und körperlich unendlich filigran im Tanz und auch innen drinne, in der Seele, erscheint sie uns doch fragil und verletzlich.
Zur Handlung: Die neue Saison des New York City Balletts, soll mit
einer Aufführung von Tschaikowskis "Schwanensee" eröffnet werden.
Der Choreograf Thomas Leroy (Vincent Cassel) hat die in die Jahre
gekommene Primaballerina Beth (Winona Ryder) abgesägt. Für die Rolle
sucht er ein frisches Blut.
Die fleißige und technisch versierte Ballerina Nina (Natalie Portman) hat den ehrgeizigen Wunsch, in der neuen Produktion die
Doppelrolle als weißer und schwarzer Schwan zu bekommen. Dieser
Kompanie-Leiter, dieser Leroy, macht ihr jedoch klar, dass sie zwar ein
perfekter weißer Schwan wäre, sie sich aber für den Erhalt der begehrten
Rolle ihrer dunklen Seite zu nähern habe. Verruchtheit, Hingabe und
dunkle Triebe müssten nach außen treten, um auch den schwarzen Schwan
überzeugend darstellen zu können. Er provoziert sie, nennt ihre
tänzerische Ausstrahlung frigide und asexuell. Übt Druck, weckt Ehrgeiz
und Verunsicherung, paart Demütigungen mit grenzüberschreitenden
verführerischen Avancen.
SCHWANENSEE: <<<Eine Prinzessin wird in einen weißen Schwan verwandelt, nur die Liebe eines Prinzen kann sie retten und ihr ihre Freiheit zurückgeben. Doch das düstere Ebenbild der Prinzessin, der schwarze Schwan, verführt den Prinzen. Am Ende stirbt in den meisten Versionen die Prinzessin den Freitod.>>>
Ich denke es ist kein Gespoilere, wenn ich Black Swan als eine Art
doppelbödige Spielart des Schwanenseestoffes nenne, es ist mehr als
offensichtlich und wird dem Zuschauer, alles andere als subtil, schon zu
Beginn des Filmes klar gemacht.
Klar, Nina ist der weiße Schwan und nun soll sie auch in die Federn
des schwarzen Schwans schlüpfen. Noch lebt die Mittzwanzigerin
allerdings (alles ist hier stets etwas überzeichnet) in einem mit rosa
Stofftieren vollgestopften Teeniezimmer, welches von der ehrgeizigen
überbehütenden Mutter beherrscht wird. "Mein liebes Mädchen...!" Mutter
lässt ihr keinen Raum, ihre Überpräsenz wirkt erstickend und kappt der
jungen Frau sogar die Sexualität.
Und nun folgt man Nina in die Abgründe, die sich durch den
ehrgeizigen Versuch, die schwarz/weiße Doppelrolle auszufüllen, in ihrer
Seele auftun. Was eignet sich als BILD dafür besser, als die
verschlungenen Räume hinter dem Vorhang eines großen Theaters. Seine
Windungen, die einsamen Gänge, die Künstler-Garderoben, die
Trainingsräume, man ahnt überall den Geruch/die Abdrücke von Schweiß,
Blut und Tränen.
Die Erzählperspektive bleibt ganz und gar bei Natalie Portmans Nina.
Die Hand-Kamera klebt förmlich an deren Nacken, so folgt ihr der
Zuschauer durch die weitläufigen Gänge hinter der Bühne, und man hält mir
ihr Schritt, verfolgt sie gar dann und wann, bisweilen sieht man DURCH
IHRE Augen, vertraut also Ninas Wahrnehmung. Man ist genauso überrascht
wie sie, wenn sich eine vermeintliche Tatsache plötzlich als ganz anders
herausstellt. Die Kamera-am-Nacken kennen wir aus dem Wrestler. Auch
sonst scheint Black Swan ein ziemlich genau passendes Gegenstück zu The Wrestler zu sein. Dort ging es zwar um einen ausgedienten,
abgetakelten Showkämpfer, der bei trashigen Gröl-Events seine Auftritte
hatte, und hier im Gegensatz, um eine junge, aufstrebende Tänzerin des
klassischen Balletts, ein edler Ausdruck der Hochkultur. Aber beide -
Mickey Rourke und Natalie Portman - verkörpern einen zutiefst einsamen
Charakter, beide sind eingesperrt im eigenen Körper, dem Konkurrenzdruck
ausgeliefert, und beide schlussendlich sich zerstörend.
Nina ist eine Gefangene. Gefangen in ihrem Körper, den sie für den
Tanz malträtiert, ihn hungern lässt ... bluten. Hier geht das aber schon
über das "normale" Ballerinaschicksal hinaus. Nina lässt ihren Körper
manches Mal absichtlich bluten, im Klo würgt sie aus Gewohnheit, aber
der Magen ist ohnehin fast leer. Sie ist auch zu Hause in der engen
Wohnung gefangen, die Übermutter hat sie unter ihrem Flügel/in ihren
Klauen.
OPTIK: Kameramann Matthew Libatique experimentiert gekonnt und
stilvoll mit der Kamera und erzeugt bisweilen eine fast
klaustrophobische Wirkung. Mal wirkt sie wie eine Doku-Wackelkamera, in
anderen Szenen kredenzt sie uns schlicht breite & prächtige Bilder,
dann wirkt sie wieder lauernd und beobachtend, um im nächsten Moment
direkt auf Ninas Position zu sein ... und der Zuschauer blickt durch IHRE
Augen! Einmal sogar, während sie eine Pirouette dreht. Die Kamera ist
ganz und gar Ninas Partner und dient eigentlich allein der Darstellung
ihrer kaputten Psyche. Es geht um Nähe. Sie lässt uns fast körperlich
mitleiden und zieht dem voyeuristischen Zuschauer - zunehmend wackelnd -
mehr und mehr den Boden unter den Füßen weg. (Das mag nicht jeder, da
muss man sich darauf einlassen, eine dynamische Handkamera ist einfach
anstrengend für die Augen. Aber sie ist eben lange, lange nicht so
steril und distanziert, wie eine statische, oder auf Schienen bewegte.)
Auch in Aronofskys unglaublich visuellem Requiem for a Dream agiert
die Kamera eigentlich wie ein Schauspieler. SIE zeigt dort durch Splits,
Raffer und immer schneller werdende Schnitte den Niedergang vierer
Drogensüchtiger.
Auch hier: Jede Emotion ist extrem, ebenso die Farbe und der Stil.
Trotzdem empfand ich Black Swan bisweilen gleichzeitig als sehr zurückhaltend.
Die Kamera spielt eine ROLLE in diesem Film. Für mich war sie fast
eine zweite Protagonistin. Sie zoomt, rückt Puzzleteile ins Bild, immer
wieder Spiegelungen und reflektierende Oberflächen, Untersichten,
Großaufnahmen der Gesichter, bisweilen lange verharrend ...
zerbröckelnder Puder... sie scheint in die Poren Ninas, in ihr Innerstes
dringen zu wollen, versinkt in den Augen. Immer wieder rückt sie die
mädchenhafte Anmut in den Fokus, dann die Verletzungen einer Ballerina.
Immer wieder Füße und Hände. Die malträtierten Füße, die Knochen
knackend, in die glänzenden Spitzenschuhe gleiten, die blutenden Zehen,
die abgefressenen Fingernägel, sich abschälende Nagelhaut, der
verletzliche Nacken.
Und... in den Gängen des Theaters schließlich, das Lauernde ... Bedrohliche ... ganz hinten.
+ Vincent Cassel, als Lehrer und Choreograf, wirkt wie ein kalter
Vulkan, mit seiner animalischen Schmierigkeit. Wie er aus Nina das
herauslocken will, was sie als schwarzer Schwan braucht, sie zu Dingen
auffordert, um endlich ihre dunkle Seite zu wecken, sie jedoch langsam
in den Wahn(sinn) treibt. Er hat das perfekte Gesicht, den richtigen
Akzent und diese gewisse körperbetonte Geschmeidigkeit, um diese Rolle
zu spielen. Cassel hatte eine siebenjährige Tanzausbildung in
klassischem Ballett.
+ Schade, dass Winona Ryder so selten zu sehen ist. Fast scheint es
mir, als ob ihre Rolle als alternde Tänzerin Beth passgenau zu ihrem
Schauspielerschicksal steht. Leider.
+ Mila Kunis (wunderschön und saucool) verstärkt mit ihrer Rolle als
Ninas Tanzkollegin Lily die Thrillerelemente. Sie IST unverkennbar der
schwarze Schwan und eine würdige Gegenspielerin Portmans und ihr dunkles
Spiegelbild. Auch sie ließ sich für die Tanzszenen nicht doubeln,
sondern hungerte und trainierte hart.
+ Natalie Portman. Viele sagten, der Oscar sei ihr gewiss. Mag sein,
es war auch so, sie bekam ihn - verdient - aber ich halte nicht viel von
Oscars. Doch ihre Leistung ist mehr als respektabel! Sie arbeitete
jahrelang sehr hart für diesen Film. Seit 2002 bereitete sie sich auf
diese Rolle vor. Nicht nur tänzerisch kann sie hier glänzen, ihr Gesicht
zeigt enorm viel. Sie dominiert aber nicht nur durch ihr Schauspiel -
sie IST Black Swan, da sie in jeder Szene zu sehen ist, wir erleben ALLES
durch ihre verzerrte Wahrnehmung. Es ist fesselnd, wie sie im Tanz als
Schwan verzweifelt mit den Flügeln schlägt, ihr Gesicht unter Angst und
Druck verzerrt... versucht... sich ENDLICH fallen zu lassen, sich
unwillkürlich an der Tanztechnik und an der Kontrolle festklammert,
nicht loslassen kann. Ein Orgasmus soll ihr helfen, verordnet vom Chef:
"Geh nach Haus ... mach es dir selbst." - als sie ihn schließlich hat,
ihren vielleicht ersten Orgasmus, ist alles schon ganz anders ... (aus
rosa und weiß wurde grau und dunkelgrau) ..und sowieso anders, als man
denkt.
(Ich bin so angetan, dass ich sogar Lust habe, mir noch mal Aronofskys The Fountain anzugucken. Und dann womöglich sogar meinen überaus kritischen Eindruck überarbeite und das Mäntelchen der Liebe darüber breite. ;-) Aronofsky hat jedenfalls bei mir einen dicken Stein im Brett. :-D)
Das ist ein Film für die große Leinwand und vor allem für gute Boxen, Leute, denn auch der Ton hat es in sich. Nicht nur die Musik (wunderschöne Abarten von Schwanensees bekannter Melodie), auch die GERÄUSCHE!