Ich, Psycho & das verstörende Muttersöhnchen

17.02.2012 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Mein Herz für Klassiker: Psycho
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Mein Herz für Klassiker: Psycho
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Für manchen ist Psycho vielleicht ein alter Schinken, der heutzutage nicht mal mehr ein Kind erschrecken könnte, aber nicht für mich. Nicht nur aufgrund der filmischen Expertise Alfred Hitchcocks stehen mir jedes Mal aufs Neue die Haare zu Berge.

Vertigo – Aus dem Reich der Toten ist möglicherweise Alfred Hitchcocks brillantestes, Der unsichtbare Dritte sein unterhaltsamstes und Cocktail für eine Leiche sein technisch anspruchsvollstes Werk, aber keiner seiner Filme fesselt und schockt mich so sehr wie Psycho. Auch wenn der frühe Horrorthriller als der bekannteste Hitchcock gilt, ist er für das Œuvre des Master of Suspense höchst untypisch. Viele Regisseure wussten während der 1950er Jahre den Stil des Meisters zu kopieren, also begab er sich auf die Suche nach Wegen, wie er seine Zuschauer erneut bis aufs Mark erschüttern konnte, sodass sie vor Spannung die Fingernägel in die Armlehnen kniffen. Somit zog er nur mit dem mageren Budget von 807.000 Dollar und der recht trashigen Romanvorlage von Robert Bloch gerüstet aus, um einen lupenreinen B-Film zu machen. Dass er sich mit der Qualität der Inszenierung erneut selbst übertraf, ist dann doch wieder typisch für Alfred Hitchcock.

Wer übrigens in der bedauerlichen Position ist, Psycho noch nicht gesehen zu haben, aber sich die beneidenswerte Ahnungslosigkeit hinsichtlich der Details der Handlung bewahrt hat, sollte auf keinen Fall weiterlesen.

Warum ich Psycho mein Herz schenkte
Wie alt ich war, als ich Psycho zum ersten Mal sah, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Es spielt auch keine Rolle, ob ich 8 oder 18 war, ich bin überzeugt, dass der Effekt derselbe gewesen wäre. Wenn gegen Ende des Films Lila Crane den Sessel im Keller antippt, dieser sich langsam dreht und plötzlich die darin sitzende Gestalt im Licht der Glühbirne offenbart, bevor Norman Bates in der garstigen Verkleidung seiner Mutter mit erhobenem Messer in den Raum stürmt, bekomme ich ein Schaudern, als ob Fingernägel über eine Schultafel kratzen. Dieser Effekt wird von den schmerzhaft schrillen Geigen noch erhöht. Der Höhepunkt des Films trifft mich aus dem Grund mit einer enormen Kraft, weil ich den vorherigen knapp 100 Minuten dem Spannungsaufbau des Meisters hilflos ausgesetzt war.

Warum auch andere Psycho lieben werden
Zuschauer, die von neueren Horrorstreifen, welche allesamt in ein oder anderer Form in der Schuld Psychos stehen, durch Furcht erregende Szenen und Gewalt mittlerweile so abgestumpft sind, dass sie nur müde über die Schockeffekte lächeln können, bietet das Werk ausreichend andere Argumente. Die Atmosphäre ist düster und schauderhaft. Die Schwarz-Weiß-Fotografie trägt ihren Teil dazu bei, dass das viktorianische Haus, wie es auf dem Hügel über dem Bates Motel thront, noch unheimlicher wirkt. Hitchcock filmt Norman Bates’ ausgestopfte Vögel und ihn selbst aus ungewöhnlichen Kamerawinkeln, wodurch seine subtil verstörende Art noch augenscheinlicher wird. Anthony Perkins gibt die fraglos beste Darstellung seines Lebens, indem er kaum gestikuliert und lediglich seine Augen und seine Kieferpartie einsetzt. Wenn Perkins seine Zähne aufeinanderpresst und dadurch seine Kaumuskulatur an den Wangen zum Vorschein bringt, ist seine innere Anspannung förmlich greifbar.

Warum Psycho einzigartig ist
Auch wenn die Story um Marion Crane, die das Geld ihres Chefs raubt und vor dem Gesetz flieht, auf Kosten der Bildsprache in den Hintergrund rückt, kann sie doch mit zuvor nie dagewesenen Wendungen überzeugen. Hitchcock setzt das gestohlene Geld als den durch ihn so berühmten gewordenen MacGuffin ein, der dem Zuschauer für eine Weile nur als Ablenkung dienen soll. Der eigentliche Clou der Handlung ist, dass die damalige Star-Schauspielerin Janet Leigh bereits nach dem ersten Drittel den Tod findet. So ungewöhnlich war dies für einen Film Anfang der 1960er, dass Hitchcock selbst veranlasste, dass kein Zuschauer nach Beginn des Films in die Kinos gelassen werden durfte. Da dieses Vorgehen zu der Zeit eine absolute Ausnahme darstellte, ließen viele der Lichtspielhäuser durch ihre Mikrofone einen Countdown für den Beginn der nächsten Vorstellung verkünden. Als noch einzigartiger ist bis heute die Musik von Bernard Herrmann bekannt. Ihm gelang es, allein mit Violinen den geistigen Zustand der Charaktere zu vermitteln. So wirken die Streicher beispielsweise wahrlich gehetzt in ihrem Spiel, als Marion Crane zu Beginn des Films ängstlich den Highway entlang fährt.

Warum Psycho die Jahrzehnte überdauert
Psycho wird allein für die Bedeutung, die das Meisterwerk in der Filmgeschichte hatte, auch in unzähligen Jahren jedem Cineast ein Begriff sein. Keine Beschreibung könnte ohne eine Erwähnung der berüchtigten Duschsequenz auskommen. Innerhalb von 45 Sekunden setzt Hitchcock rund 70 Schnitte und nimmt somit das Zeitalter der MTV-Musikvideos 20 Jahre vorweg, ohne in seinem Schnitttempo überflüssig wie etwa ein Michael Bay zu wirken. Denn sobald das Grauen vorbei ist, kehrt eine fast nachdenkliche Ruhe ein. Das Blut läuft langsam in den Ausfluss der Dusche, worauf eine fließende Überblende zur Pupille der soeben abgestochenen Marion folgt. Nachdem die Kamera behäbig aus ihrem Auge herauszoomt, wendet sie sich vom Ort des Geschehens ab und schweift hilflos in dem Motelzimmer umher. Psycho ist nicht zuletzt eine Analyse des (Kamera-)Auges, des Sehens und Gesehenwerdens. Dafür steht auch das Guckloch von Norman Bates.

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