Ich, Frenzy und die schleimige Fischsuppe

22.01.2012 - 08:30 Uhr
Frenzy
Universal Pictures
Frenzy
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Neben den Psycho’s, Vertigo’s und unsichtbaren Dritten geht Alfred Hitchcocks vorletzter Film Frenzy aus dem Jahr 1972 meist ein wenig unter. Zu Unrecht wie ich finde! Höchste Zeit mein Herz für Klassiker zu vergeben.

Es kann einen in den Wahnsinn treiben, sich aus dem opulenten und mit großartigen Filmen reich gespickten Œuvre des Großmeisters Alfred Hitchcock nur ein Werk heraussuchen zu müssen, um sein Herz für Klassiker zu vergeben. Während ich also in Gedanken immer wieder die üblichen Verdächtigen rauf und runter ratterte, lag die Antwort eigentlich schon die ganze Zeit deutlich sichtbar vor mir ausgebreitet. Denn in seinem vorletzten Film Frenzy kehrt der Wahnsinn nicht nur im Titel ein…

Warum ich Frenzy mein Herz schenke
In typischer Alfred Hitchcock-Manier müssen wir wehrlos mit ansehen, wie der unschuldige Dick Blaney (Jon Finch) ohne eigenes Dazutun der meist gesuchte Mann Londons wird. Sein zweifelhaftes Talent zu Beginn des Films immer zur falschen Zeit am falschen Ort aufzukreuzen und damit die Polizei auf seine Fährte zu locken, sind tief tragisch und lassen unser Mitleid bei dem Pechvogel ins unermessliche wachsen. Wie wir den nichtsahnenden Kasper als Kinder vor dem Bösen warnten und laut schrien: “Achtung Kasperle, hinter dir!”, genau so wollen wir auch in Frenzy intervenieren. Immer wieder. Doch wir sind nicht mächtig in die Welt des Films einzugreifen. Diese Ohnmacht und der Anblick wie sich Dick Blaney, scheinbar machtlos der wahllosen Kraft des Zufalls ausgeliefert, auf die Titelseiten der Londoner Tageszeitungen katapultiert, machen die anziehende Kraft Frenzys aus und faszinieren mich bei jedem Sehen aufs Neue.

Warum auch andere Frenzy lieben werden
Alfred Hitchcock verzichtete bei Frenzy bewusst auf große Namen in der Besetzung und das zahlte sich aus. Jon Finch, der ihn ein Jahr zuvor in Macbeth von Roman Polanski überzeugt hatte, liefert eine tolle Vorstellung als missverstandener Frauenheld, der sich hilflos der Staatsmacht ausgeliefert sieht, ab und stellt einen direkten Gegenpol zu Alec McCowen als aalglatter Geschäftsmann mit mörderischer Lust dar. Seine extrem ambivalente Figur, die sich einerseits durch den geschniegelten und eloquenten Auftritt auszeichnet, aber andererseits ihre primitiven Gelüste nicht zurückhalten kann, gibt dem Zuschauer ein durchgehendes Rätsel auf. Alfred Hitchcock nahm sich diese beiden frischen Gesichter und passte sie formgenau in einen spannenden Plot, der gespickt ist mit tollen Dialogen und unvergessenen Szenen. Allein der Auftakt, das so langgezogene schwebende Intro hinzu auf die Londoner Tower-Bridge, ist ein Augenschmaus und bildet nur das Vorspiel zu einer Reihe unvergesslicher Szenen, die einem jeden Filmfan Spaß machen werden.

Warum Frenzy einzigartig ist
Neben der Haupthandlung um den Krawattenmörder hält der Film, vor allem gegen Ende, noch eine kleine Nebenhandlung bereit, die Frenzy so einzigartig macht. Im Mittelpunkt steht die liebenswerte und forsche Ehefrau von Chief-Inspektor Oxford (Alec McCowen), der mit der Aufklärung des kniffligen Falls betraut wurde. Sie präsentiert ihrem Gatten abends stolz die in einem Kurs für französische Küche neu erlernten Gerichte. Während die beiden also ausgiebig über die Mordserie philosophieren, schauen wir Inspektor Oxford amüsiert dabei zu, wie er sich mit einer schleimigen Fischsuppe inklusive der abgetrennten Tierköpfe herumplagen muss, während er doch viel lieber etwas Herzhaftes verspeisen würde. Alfred Hitchcock nutzt diese Nebengeschichte außerdem in dem wundervollen Ende, in dem Madame Oxford vorschlägt, den unschuldigen Blaney als Entschädigung für den Gefängnisaufenthalt zum Essen einzuladen. Köstlich!

Warum Frenzy die Jahrzehnte überdauert
Frenzy war ein enorm wichtiger Film für den Meister des Suspense, markierte er nach den beiden vorangegangenen mäßig erfolgreichen Filmen Der zerrissene Vorhang und Topas die Rückkehr zu alter Stärke. Die Entscheidung nach den vielen Jahren in Hollywood zurück nach Hause ins verregnete London zurückzukehren, erwies sich als goldrichtig und so konnte Hitch auch am Ende seiner großen Karriere nochmal allen Kritikern beweisen, dass er es nicht verlernt hatte. Zudem gilt Frenzy, gespickt mit schwarzem Humor und seinen kleinen Seitenhieben auf die britische Gesellschaft – es ist kein Zufall, dass Rusk seine Opfer mit der Krawatte erdrosselt – als sein bösester Film.

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