Ich, Achteinhalb & Federico Fellinis Schaffenskrise

08.03.2013 - 08:50 UhrVor 4 Jahren aktualisiert
Federico Fellinis Achteinhalb.
Criterion Collection
Federico Fellinis Achteinhalb.
4
17
In seiner italienischen Heimat gilt Federico Fellini schlicht als “Il Maestro”. Sein Œuvre umfasst Perlen wie La Strada und La Dolce Vita, welche an dieser Stelle eine Huldigung verdient hätten. Nichtsdestotrotz geht Mein Herz für Klassiker diese Woche an eines der schönsten Werke über das Filmemachen: Achteinhalb.

Das italienische Kino der Nachkriegszeit ist gravierend durch die Entwicklung des Neorealismus geprägt. Diese Strömung verschrieb sich der ungeschönten Darstellung der sozialen Befindlichkeiten im Mittelmeerstaat nach 1945. Im Zentrum stand dabei der unverklärte Alltag der einfachen Bevölkerung. Insbesondere Arme, Prostituierte, Gaukler und Gauner rückten in den Fokus der Geschichten. Zu den bedeutendsten Regisseuren dieser Epoche gehören Roberto Rossellini, Vittorio De Sica, Luchino Visconti und der verhältnismäßig stiefmütterlich behandelte Federico Fellini. Aus diesem Grund geht Mein Herz für Klassiker heute an Fellinis Achteinhalb, der abseits seiner neorealistischen Zeitgenossen eine thematisch und stilistisch konträre Richtung einschlägt.

Der Regisseur Guido Anselmi (Marcello Mastroianni) steckt privat wie beruflich in einer tiefen Krise. Der Aufenthalt in einem Kurort soll Linderung verschaffen, doch gelingt es ihm nicht, seinen Problemen zu entfliehen. Während die Produktion seines nächsten Werks im Hintergrund auf Hochtouren läuft, mangelt es dem Filmemacher an griffigen Ideen für die Geschichte. Journalisten, Produzenten, Kritiker und Schauspieler versuchen ihm kontinuierlich Details zu entlocken, ohne Anselmis Dilemma zu erahnen. Darüber hinaus plagt den Don Juan das Liebesleben. Vor allem die durch Misstrauen entzweite Beziehung zu seiner Frau Luisa Anselmi (Anouk Aimée) belastet den Künstler zunehmend, weswegen er sich in zahlreiche amouröse Eskapaden verstrickt. In der Zwischenzeit rückt der Beginn der Dreharbeiten kontinuierlich näher.

Warum ich Achteinhalb mein Herz schenke
Insbesondere durch seine surrealen, traumgleichen Qualitäten eroberte Achteinhalb augenblicklich mein Herz. Im Zentrum des autobiographischen Werks steht Federico Fellinis filmisches Alter Ego Guido Anselmi. Dessen raumgreifende Umwelt drängt den Regisseur zusehends ins Reich der Fantasie, Träume und Erinnerungen. Dabei gestalten sich die Übergänge zwischen Anselmis Realität und seinen mentalen Zufluchtsorten derart fließend, dass der Betrachter oftmals einen Moment der Anpassung benötigt. In jener flüchtigen Übergangsphase gewinnt ein Gefühl der Orientierungslosigkeit die Oberhand, welches die meisten Zuschauer infolge des allmorgendlichen Erwachens wahrscheinlich schon einmal erlebt haben. Zwar versucht der Schläfer es abzuschütteln und die Beherrschung zu erlangen, doch schwelgt er zumindest für einen kurzen Augenblick in dieser sanften Form der Machtlosigkeit.

Guido Anselmis Träume entwickeln unter dem zunehmenden Druck von Journalisten, Produzenten und Frauen kontinuierlich fantastischere Ausprägungen und erreichen ihren wundervoll skurrilen Höhepunkt in einer Mischung aus Wunscherfüllung und Rachefantasie. Denn während den Schwerenöter Anselmi zusehends Probleme mit der holden Weiblichkeit plagen, erträumt er sich einen Harem voller junger Damen, die ihn umsorgen und liebkosen. Widerspenstige Frauen mahnt der Macho wie ein Raubtierdompteur mit der Peitsche zur Ordnung, wenn beispielsweise Damen eines gewissen Alters nicht seinen paradiesischen Harem verlassen wollen. Guido Anselmi reagiert mit seinen Träumen direkt auf Sorgen, Nöte und Bedürfnisse des Wachzustands. Den traumartigen Charakter des Gesamtwerks bereichert Federico Fellini durch ein kongenial durchkomponiertes Chiaroscuro-Lichtkonzept, was die Figuren wiederholt in all ihrer Plastizität herausschält und ihnen Textur verleiht. Der prägnante Einsatz von Gegenlicht und Schlagschatten schenkt dem Werk – insbesondere in den Nachtsequenzen – eine mysteriöse und magische Aura.

Warum auch andere Achteinhalb lieben werden
Achteinhalb bezieht seinen unwiderstehlichen Charme vor allem aus Marcello Mastroiannis gebrochener Lebemann-Aura. Im Verlauf seiner Karriere übernahm der Schauspieler wiederholt tragende Rollen in den Werken des italienischen Meisterregisseurs (Fellinis Roma, Das süße Leben, Fellinis Stadt der Frauen, Ginger und Fred und Intervista). Doch selten war seine Ausstrahlung dominanter und sein Spiel bezirzender als in Achteinhalb, in welchem er Federico Fellinis filmisches Alter Ego verkörpert. Gleichgültig, ob er seiner gehörnten Ehefrau die treue Seele vorgaukelt, lässig über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg schielt oder einfach nur in völlige Konfusion verfällt, jedes Frame atmet und versprüht seine Präsenz. Diese betörende Wirkung verdankt Marcello Mastroianni nicht zuletzt dem versierten Kameramann Gianni Di Venanzo, der hier ex­qui­site Bildkompositionen zaubert.

Warum Achteinhalb die Jahrzehnte überdauert
Achteinhalb ist in meinen Augen ein wunderschönes Beispiel dafür, wie sich trotz widriger Umstände ein Meisterwerk entwickeln kann. In seinem Film verarbeitet Federico Fellini persönliche Sorgen und Ängste, die ihn unmittelbar vor der Produktion quälten. Nach eigener Aussage stand der Regisseur aufgrund einer tiefen Schaffenskrise kurz davor, die Dreharbeiten zu Achteinhalb zu canceln. Stattdessen formte Federico Fellini seine seelischen Befindlichkeiten zu einer sensiblen und gleichermaßen surrealen Expedition ins Ungewisse. Dabei verfiel er jedoch nicht in Selbstmitleids-Klischees, sondern schuf ein Werk voller Schönheit und letztendlich auch Optimismus. Nicht nur Guido Anselmis Geschichte weist direkte Parallelen zum italienischen Meisterregisseur auf. Der Titel des Werks (OT: Otto e mezzo) bezieht sich zudem auf Fellinis filmisches Schaffen, denn zuvor hatte er insgesamt sechs Spielfilme, zwei Kurzfilme und eine Gemeinschaftsarbeit – Lichter des Varieté mit Co-Regisseur Alberto Lattuada – realisiert. Der hier vorgestellte Film wurde somit konsequenterweise als Achteinhalb betitelt.

Wie gefällt euch Achteinhalb? Kennt ihr weitere Filme von Federico Fellini?

Das könnte dich auch interessieren

Angebote zum Thema

Kommentare

Aktuelle News