Fünf Gründe, warum der Oscar-Gewinn von Moonlight so wichtig ist

28.02.2017 - 12:40 UhrVor 7 Jahren aktualisiert
"Im Mondlicht schimmern schwarze Jungs blau"DCM
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Seien wir ehrlich, nicht jeder Film, der den Oscar für Besten Film gewinnt, ist auch der beste Film. Oder der relevanteste. Oder beides. Doch dieses Jahr ist das anders. Moonlight ist ein Durchbruch. Und das nicht nur im #OscarsSoWhite-Sinne.

Wow, was für ein unglaublicher Moment war das denn bitte am Ende einer wie sonst eher gemächlichen Oscar-Show?


Unglaublich in vielerlei Hinsicht. Nicht nur ist ein Fauxpas dieser Art in den 89 Jahren Oscar-Geschichte noch nie passiert, der Gewinn von Moonlight ist auch aus vielen anderen Gründen eine unglaubliche Überraschung. Und aus (fast) genau diesen Gründen ist er auch so wichtig und hoffentlich endlich ein Durchbruch in Hollywood.

Die Unrepräsentierten

Natürlich ist Moonlights Gewinn vor allem ein Gewinn für mehr Diversität bei den Oscars und auch in der Filmindustrie. Ihr erinnert euch vielleicht, dass es letztes Jahr keine einzige Nominierung für AfroamerikanerInnen in den großen Kategorien gab. Nun, das hat sich dieses Jahr endlich geändert. Hier ist noch ein Novum für die Oscars. Noch nie hat ein afroamerikanisch zentrierter Film den Oscar für den Besten Film bekommen, der nicht mit Rassismus oder Sklaverei zu tun hatte. Beides sind wichtige Themen, aber eben auch Themen über afroamerikanisches Leben von einer Außenperspektive und keine, die von afroamerikanischem Leben erzählen. Geschweige denn, dass sie von AfroamerikanerInnnen selbst gemacht wurden. Das Bahnbrechende an Moonlight ist ebenfalls, dass dieser Film eine fast komplett afroamerikanische Produktion ist, die einer Menge talentierter Menschen jetzt hoffentlich eine große Chance auf weitere Jobs in Hollywood verschafft. (Besonders hervorheben möchte ich hier Mahershala Ali, der den Oscar für die besten Nebenrolle für Moonlight gewann und der erste muslimische Mensch ist, der jemals einen Schauspiel-Oscar gewann).

Globale Anerkennung für eine ganze Bewegung junger afroamerikanischer Künstler

Moonlight schien für die meisten ein wenig aus dem Nichts zu kommen. Sein Debüt hatte er beim Telluride Film Festival. Beim Toronto Film Festival lief er zwischen Hunderten von anderen Filmen. Doch die, die ihn sahen, begannen bald das Munkeln und Empfehlen auf internationaler Ebene. Den muss man gesehen haben. Unbekannter Regisseur, spannendes Ensemble, ästhetisch ansprechend, das Drehbuch ein Traum aus Komplexität und Einfachheit. Doch Moonlight-Regisseur Barry Jenkins selbst ist kein Anfänger. Sein Film Medicine for Melancholy (2008) hatte eine kleine Welle an afroamerikanischen Filmemachern ins Rollen gebracht. Er war kein riesiger Hit, hatte aber moderate Erfolge und lief im Kino in den USA. Dort sahen ihn einige andere talentierte Afroamerikaner, die durch Jenkins' Film so berührt und motiviert waren, dass sie ihre eigenen Projekte vorantrieben. Als Justin Simien Jenkins' Film sah, holte er sein eigenes Projekt, das er schon aufgegeben hatte, wieder hervor. Das Ergebnis: Dear White People. Nicht nur der Film war erfolgreich, er setzt ihn im Augenblick zudem als Serie für Netflix um, die schon vor der Ausstrahlung für politische Furore sorgt, da einige White supremacist-/alt-right-Gruppen sofort zum Boykott von Netflix  aufriefen. Im Übrigen, nachdem sie nichts als einen Trailer gesehen hatten.


Auch Terence Nance, Regisseur von An Oversimplification of Her Beauty, wurde durch Jenkins inspiriert. Dieser half ihm persönlich, seinen Film umzusetzen und ermutigte ihn immer wieder, das Projekt nicht aufzugeben. Diese drei Filmemacher sind inzwischen nicht nur gute Freunde, sondern auch Teil einer neuen Filmbewegung, die mehr Projekte aus afroamerikanischer Perspektive machen will und wird, was lange überfällig ist.

Ästhetische Revolution

Es ist so subtil, dass man es vielleicht gar nicht merkt, aber der Gewinn von Moonlight und sein Erfolg im Allgemeinen legen auch noch einmal den Fokus darauf, dass es im Ästhetischen Zeit wird für Hollywood, sich mehr mit Diversitäten zu befassen. Keiner der Filme, die für die Königsklasse der Oscars nominiert waren, war in seiner Formsprache so klug, politisch und ästhetisch ansprechend zugleich. Jenkins' Film zeigt ganz deutlich (solche gekonnten Überlegungen habe ich das letzte Mal in Magic Mike XXL gesehen), wie groß der Unterschied allein in der Ausleuchtung seiner Figuren zum normalen, für Weiße standardisierten Hollywood-Licht ist und was es für einen riesigen Unterschied macht, wenn man hier auf die Gegebenheiten eingeht. Moonlight zeigt seine Charaktere immer in einer Schönheit und gleichsam einer sich niemals versteckenden Ehrlichkeit, wie man sie fast nie zu sehen bekommt. Allein das Herausstellen der Schönheit schwarzer Haut ist in dieser Industrie ein revolutionärer Akt. Aber auch die Kamera-Arbeit hilft mit. Moonlight ist kein Film vieler Worte. Und ja, einige ZuschauerInnen mögen denken, dass eine Identifikation oder gar Empathie mit schwarzen, männlichen, homosexuellen Hauptfiguren schwierig wäre. Doch Jenkins nutzt hier die Kunstform zur Perfektion. Der Schärfebereich der Kamera ist meist recht klein, ab und an wandern die Figuren gar aus ihm heraus. Allein das vermag das Gefühl von Unsicherheit und der Angst, nie zu wissen, was als Nächstes passiert, was hinter der nächsten Ecke auf einen wartet, perfekt und universell zu vermitteln. Und genau dieses Wissen um filmische Mittel, diese Eleganz, Ästhetik und Narration zu verbinden, machen Jenkins zu einem sehr guten Filmemacher und auch zu einer Person, die es vermag, etwas zu tun, was die AmerikanerInnen (und alle anderen auch) gerade jetzt in Zeiten der Spaltung dringend brauchen: Vermittlungsarbeit.

Mehr als ein afroamerikanischer Gewinn

Noch nie hat ein LGBT-Film den Oscar für den Besten Film gewonnen. Nicht einmal der über die gut aussehenden, weißen Frauen in Carol. Man kann sich also vorstellen, wie schwer es da ein Film über queere, schwarze Männer haben muss. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Oscars, dass ein queerer Filme eine solche Auszeichnung erhält.

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Aber Moonlight verhandelt noch viel mehr als das. Es ist auch ein Film über Menschen, die nicht genderkonform leben. Es ist auch ein Film über das arme Amerika, die Hoods, in denen Menschen kaum eine Chance haben, jemals dem Kreislauf aus Armut und Gewalt zu entfliehen. Es ist ein Film über Frauen, die missbraucht werden und die ihre Kinder allein aufziehen müssen. Es ist ein Film über Kinder, die ihre Väter nie kennenlernen, entweder weil sie abgehauen sind, im Knast sitzen oder tot sind. Es ist ein Film über toxische heteronormative Maskulinität, also die Idee von Männlichkeit, die so wenig Raum zur eigenen Entfaltung lässt, dass sie einen einsperrt und unglücklich macht. Es ist ein Film über Bullying, über Gewalt und Angst und es ist ein Film über das Elend, nicht den lieben zu können, den man eben nunmal liebt. Und genau das ist das Spannende an Barry Jenkins' Film. Er ist in seiner Essenz zutiefst menschlich und schließt an so viele Erfahrungsfelder an, dass man dem Film und sich selbst keinen Gefallen tut, wenn man ihn ausschließlich auf die Kategorien "afroamerikanisch" und "queer" reduziert.

Indie-Film for the Win!

Moonlight ist der Oscar-Gewinnerfilm mit den wenigsten Einnahmen in der gesamten 89-jährigen Geschichte der Academy Awards. Und zwar, weil er keine Großproduktion, sondern ein kleiner Indie-Film ist. Ganze 1,5 Millionen US-Dollar hat er gekostet. Nur als Vergleich: Das Budget von La La Land wird auf 30 Millionen US-Dollar geschätzt. Moonlights Siegeszug ist auch ein Siegeszug für die Alternativen zu Hollywood-Großproduktionen. Seit Jahrzehnten gibt es neben den Studiofilmen eine ganze, meist in prekären Situationen produzierende Independent-Szene, die nie so recht bei den Großen Fuß fassen konnte. Doch die letzten Jahre haben gezeigt, dass Hybridprodukte, Auteur-Filmemacher, die mit kleinen Budgets von Studioablegern und Boutique-Produktionen ausgestattet werden, durchaus das Zeug haben, das die Industrie braucht: talentierte Mitarbeiter, eigene Visionen und Handschriften, nicht zu Tode genormte Storys. Der Durchbruch eines solchen Filmes bei den Oscars wird hier garantiert mehr Geld in den Markt spülen. Hoffen wir, dass die Majors auch verstehen, dass solche Filme eben ihre künstlerische Freiheit brauchen und auch den Mut, nicht das Mehrheitspublikum anzusprechen. Denn wer hätte gedacht, dass ein Film über eine schwarze, queere Liebe zwischen zwei Männern den Oscar gewinnt?

Aber war der Gewinn von Moonlight jetzt nicht einfach nur die logische Konsequenz der OscarsSoWhite-Debatten der beiden letzten Jahre? Nein. Ich glaube schon, dass die Diversity-Debatte und das Einladen von jüngeren und diverseren Künstlern in die Academy damit zu tun hatte. Aber bei allem Politischen darf man eines nicht vergessen: Moonlight ist ein verdammt guter Film. Und auch wenn der Oscar für den Besten Film nicht unbedingt auch an den besten Film geht, dieses Jahr war es der Fall.

Aber was erzähl ich euch, guckt es euch einfach selbst an. Moonlight startet am 09.03.2017 in den deutschen Kinos.

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