Kein Genre ist so sehr von den Themen Jugendschutz und Zensur betroffen wie das Horrorgerne. Mit dem Aufleben des Heimvideomarktes in den frĂ¼hen 1980er Jahren machte sich in Deutschland eine regelrechte Panik breit, deren Auswirkungen bis heute noch zu spĂ¼ren sind. Doch gerade diese Kriminalisierung des Horrorgenres und der damit verbundene Reiz des Verbotenen sorgte dafĂ¼r, dass das Genre fĂ¼r Generationen von Filmfans und vor allem Jugendliche umso begehrenswerter wurde. Ganz nach dem Motto "Ich darf es nicht haben, also will ich es umso mehr." Ă¼bte der Horror einen Reiz aus, der heute leider kaum noch zu spĂ¼ren ist. Ăœber rechtlichen sowie pädagogischen Sinn und Unsinn des Horrorgenres wurde bereits an anderer Stelle diskutiert. An dieser Stelle möchte stattdessen auf den emotionalen Einfluss von Jugendschutz und dem Wandel der Unterhaltungsindustrie auf unser Lieblingsgenre eingehen.
Rot ist die Signalfarbe fĂ¼r: Das muss ich sehen!
Mit dem Aufkommen des Heimvideomarktes durch das Medium der VHS nahm das Ăœbel seinen Lauf. Gewaltdarstellung im Film ist seit jeher JugendschĂ¼tzern ein Dorn im Auge und so wurde das Genre des Horrors vor allem um die Wende herum in Deutschland oft unter Generalverdacht gestellt und geriet ins Kreuzfeuer politischer und gesellschaftlicher Debatten. Was eigentlich zum Schutze der Jugend galt, hatte jedoch eher einen umkehrenden Effekt. Wer will schon einen Film aus dem Regal, wenn das eigentliche Objekt der Begierde wie der leuchtende Koffer aus Pulp Fiction unter der Ladentheke so viel reizvoller erscheint? Als Fan des Verbotenen schlugen sich viele Genreliebhaber auf eine bestimmte Seite der Diskussion um Jugendschutz und Gewaltverherrlichung und sympathisierten mit den Videothekaren und Händlern, die aus wirtschaftlicher Sicht die Leidtragenden von Indizierungen und Beschlagnahmungen waren, aber zugleich auch davon teilweise profitierten.
Vor allem die durch die Neufassung des Gesetzes zum Schutz der Jugend in der Ă–ffentlichkeit (JĂ–SchG) im Jahr 1985 fĂ¼r Videokassetten eingefĂ¼hrten Etiketten der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) fĂ¼r die einzelnen Freigaben waren auf einer unterbewussten Ebene maĂŸgeblich fĂ¼r das Faszinosum des Horrorfilms fĂ¼r Jugendliche verantwortlich. Das kraftvolle Rot der Kennzeichnung der Erwachsenenfreigabe ab 18 Jahren erzeugt als Signalfarbe eine ungemeine Anziehungskraft. Einen noch grĂ¶ĂŸeren Reiz, entdeckt zu werden, gab natĂ¼rlich die ominöse Liste der beschlagnahmten Medien der BundesprĂ¼fstelle fĂ¼r jugendgefährdende Medien(BPjM) her, die jene Titel enthält, die so unsagbar grausam sind, dass selbst Erwachsene die Filme nicht ohne weiteres zu sehen bekommen können. Ob fĂ¼r Erwachsene freigegeben, auf der Liste der jugendgefährdenden Medien indiziert oder sogar beschlagnahmt: Diese Titel wurden fĂ¼r zahlreiche Jugendliche zum heiligen Gral des Horrorkonsums.
Mit den Videotheken stirbt ein ganzes Genre
Mit dem Aufkommen des Heimvideomarktes entwickelte sich die Videothek zum Mittelpunkt des heimischen Entertainments und als heiliger Ort fĂ¼r Fans "gefährlicher" Filme. Hier kulminierten sämtliche Genres, die die Welt des Films hergab an einem Ort. Als Kind der 1990er kam ich hier erstmals mit der FĂ¼lle der Filmvielfalt und auch mit dem Begriff der FSK-Freigabe in BerĂ¼hrung. Es sollte also Filme geben, die ich noch gar nicht schauen darf? Die kindliche Neugier steigerte sich exponentiell und mit dem Erreichen jeder Schwelle der Altersfreigaben entwickelte die jeweils nächsthöhere eine besondere Anziehungskraft. Das grĂ¶ĂŸte Mysterium beherbergte der abgetrennte Erwachsenenbereich der Videothek. Denn hier warteten unzensierte Versionen brutaler und blutiger Genrefilme, die das Erreichen der Volljährigkeit als oberstes Ziel der Jugend darstellten. Hier warteten indizierte und Importversionen zensierter Filme darauf, entdeckt zu werden.
Mit dem digitalen Wandel starb die Institution der Videothek aus, die einst ein jedes Stadtbild bereicherte und den Grundpfeiler der Popularität des Horrorgenres darstellte. Wie der Tagesspiegel berichtet, schwand die Anzahl der Videotheken in Deutschland zwischen den Jahren 2007 bis 2016 um 75 Prozent. Doch gerade durch das Aussterben der Videotheken und kleiner Filmhändler, stirbt auch die Möglichkeit fĂ¼r Filmfans, leicht an indizierte und ungeschnittene Horrorfilme zu kommen. Denn die groĂŸen Elektrofachmärkte mit den Buchstaben M und S könnten indizierte Filme zwar unter der Ladentheke anbieten, tun dieses aus Bequemlichkeit jedoch nicht. Bei Streaminganbietern wie Netflix oder Amazon erhalten Filmfans nicht einmal angezeigt, ob das, was sie gerade sehen, geschnitten ist oder nicht. Stattdessen schrumpft dieses kleine Subgenre und Fantum des "verbotenen Filmes" immer weiter.
Horror ohne Hindernis
Mit dem Tod einer kulturellen Institution mĂ¼ssen sich Horrorfans ihre Filme selbst besorgen. Auch wenn es durch das Wachstum von Streamingdiensten manchmal so scheint, so schwindet der Heimvideomarkt nicht drastisch und kann immer noch beachtliche Umsätze verzeichnen. Doch ob Onlinehandel oder Streaming (legal oder illegal): Die HĂ¼rden der Beschaffung sind wesentlich geringer als noch einige Jahre zuvor. Zwar kann der deutsche Jugendschutz Filme indizieren, doch die Beschaffung durch den innereuropäischen Versandhandel oder durch Streaming ist viel zu leicht, als dass diese das GefĂ¼hl aufkommen lassen könnte, etwas Verbotenes zu erlangen.
In den letzten Jahren hat sich zudem eine augenscheinliche Lockerung der Gewaltwahrnehmung bei deutschen FSK-PrĂ¼fern und der Exekutive bemerkbar gemacht. Die dadurch resultierende Rehabilitierung von Horrorfilmen, die einst auf der Liste der jugendgefährdenden Medien oder wegen VerstoĂŸ gegen Paragraph 131 des Strafgesetzbuches auf der Liste der beschlagnahmten Medien gefĂ¼hrt wurden und nun durch neue gesellschaftliche Ansichten auch teilweise fĂ¼r Jugendliche geeignet sind, hat jedoch einen unschönen Nebeneffekt. Das GefĂ¼hl, gerade etwas Verbotenes zu sehen, ist verloren gegangen. Mit einer neuen Kennzeichnung und Jugendfreigabe haben Klassiker wie Tanz der Teufel ihre Aura und ihr dreckiges Image verloren.
Horror fĂ¼r Erwachsene: Gibt es das Ă¼berhaupt noch?
Ein weitere Nagel im Sarg des Horrorgenres ist die Faszination der Altersfreigabe ab 18 Jahren selbst. Ohne Videothekenware und des fehlenden Mutes von Streaminganbietern wie Netflix zu harter Horrorkost aus eigenem Hause bleibt eigentlich nur noch der Kinosaal als wĂ¼rdiger Beschaffungsort harter Horrorkost. Doch Genrefans, die begierig auf Filme mit einer Freigabe ab 18 Jahren hoffen, werden hier nur noch äuĂŸerst selten befriedigt. Geradezu erschreckend fällt die Statistik der mit einer FSK 18 erschienenen Horrorfilme im Kino in den letzten drei Jahren aus. Im Jahr 2016 erschienen mit 31, Green Room, We Are the Flesh und Angriff der Lederhosenzombies gerade einmal vier Horrortitel fĂ¼r Erwachsene in den Kinos, deren Auswertung zudem noch recht klein ausfiel. Ein Jahr später sieht die Bilanz noch erschreckender aus. Jigsaw und Das Belko Experiment waren als Horror fĂ¼r Erwachsene in den deutschen Kinosälen auf verlorenem Posten. Vom Jahr 2018 brauchen wir gar nicht erst zu reden, denn nachdem die Hälfte des Jahres verstrichen ist, schauen Fans von Horrorfilmen, die ab 18 Jahren freigegeben sind, auf gerade einmal einen Neustart, nachdem das Prequel The First Purge ab 18 Jahren freigegeben wurde.
Doch woran liegt es, dass kaum noch Horrorfilme ab 18 Jahren in den Kinos zu sehen sind? Vielleicht daran, dass die Freiwillige Selbstkontrolle bei Titeln wie Ghostland oder The Strangers: Opfernacht zu gutmĂ¼tig war? Fest steht: Filme mit einer Freigabe ab 18 Jahren werden kaum noch in die Kinos gebracht, obwohl sie existieren. Stattdessen erscheinen diese Titel direkt fĂ¼r den Heimkinomarkt, wie die diesjährigen Beispiele Revenge, Mayhem, Victor Crowley oder Downrange zeigen. Einen noch grĂ¶ĂŸeren Faktor spielt jedoch der Wandel des Genres selbst. Die grĂ¶ĂŸte Schuld an der Verharmlosung des Horror trägt dabei der kommerzielle Erfolg von Microbudget-Filmen, die durch die Produktionsfirma Blumhouse so populär wurden. Hier weicht Gewalt generischen Jumpscares, um ein möglichst breites Publikum ansprechen zu können.
Der Horror hat seinen Biss verloren
Doch dabei verliert das Genre zunehmend an Biss. Vor allem, wenn Horrorfilme wie Happy Deathday in Deutschland schon von Kindern ab 6 Jahren in Begleitung ihrer Eltern gesehen werden können, stellt sich die Frage, ob das Ă¼berhaupt noch Horror ist, was wir da serviert bekommen. Auch wenn das Horrorgenre im Mainstream kaum noch aufzuhalten ist, hat es doch vor allem durch geringere Freigaben und einem Zuschnitt auf sein jugendliches Publikum seinen Reiz des Verbotenen verloren. Und genau diese harmlose Horrorkost weckt den Durst nach dem nächsten und härteren Kick. Doch es ist nur eine Frage der Zeit, wie lange das Genre noch von seinen Reserven vergangener Jahrzehnte leben kann, wenn kein Nachschub mehr vorhanden ist.
Der brutale Horror ist nun dort, wo SchĂ¼tzer ihn nie haben wollten
Der brutale Horror mit blutigen und ekligen Effekten lebt weiter. Doch nicht etwa in der Form, wie ihn Fans die vergangenen Dekaden konsumiert haben, sondern an dem Ort, an dem vor allem deutsche JugendschĂ¼tzer ihn nie sehen wollten: im Fernsehen. Während der Horrorfilm im Kino sich selbst in den Ruhestand versetzt hat, erlebt das Genre im Serienformat eine regelrechte BlĂ¼tezeit. Serien wie The Walking Dead loten regelmĂ¤ĂŸig die Grenzen der Gewalt im Fernsehen aus und sind dabei fĂ¼r Kinder und Jugendliche nur einen Tastendruck entfernt. Die HĂ¼rde einer Pinsperre ist fĂ¼r gewalthungrige Jugendliche das geringste Problem, kann sie den Reiz des Tabus doch kaum entfachen.
Der Horror hat sich in den vergangenen 10 Jahren drastisch verändert und zugleich eine ganz neue Art von Reiz geschaffen, fernab von Gewalt, Gemetzel und 131ern. Stattdessen ist diese Genre ein inklusives Genre geworden mit vielfältigen Richtungen, Themen und AnsprĂ¼chen und ist damit nicht mehr das generalisierte und verrohende Schundgenre, als das es viele Jahre dargestellt wurde. Letzten Endes ist unser Lieblingsgenre zu etwas herangewachsen, bei dem sich Horrorfans mit Stolz als solche bezeichnen können.
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