Fußball wird gerühmt als großer Gleichmacher, als Sport, in dem der finanzielle Hintergrund durch Talent, Fitness und Durchsetzungskraft für 90 Minuten ausgemerzt wird. Alles, was es dafür braucht, ist ein Ball.
Die neue Dokumentation Schwarze Adler verpasst dieser Vorstellung einen erschütternden Realitäts-Check. Seit dieser Woche ist die Auseinandersetzung mit dem Rassismus im Lieblingssport der Deutschen bei Amazon Prime Video abrufbar. Es ist schon jetzt einer der besten deutschen Streaming-Starts des Jahres.
Amazon Prime Video: Erstklassige Doku beschäftigt sich mit Rassismus im Fußball
14 Schwarze Fußballer*innen wurden für die Dokumentation interviewt, deren Erfahrungen die Geschichte Deutschlands seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs umspannen. Sie alle traten eine Karriere auf deutschen Fußballplätzen an. Bei manchen gipfelte sie im schwarzen Adler auf der Brust, der Berufung zur Nationalmannschaft. Die Sportler*innen eint aber auch die Erfahrung des Rassismus, ob auf dem Platz, in der Fankurve oder im Fernsehstudio.
Von Erwin Kostedde, der 1974 als erster Schwarzer Spieler in die National-Elf berufen wurde, über Weltmeisterin Steffi Jones bis hin zum 23-jährigen Hertha BSC-Spieler Jordan Torunarigha reicht die Auswahl der Interviewten. Dabei zeichnet sich die Doku durch ihren klaren Fokus auf die Perspektiven dieser Akteure aus. Sie kommt ohne einheitliche Erzählstimme aus. Es geht nicht um das eine Bild, sondern die individuellen Lebensläufe und Erfahrungen. So ergibt sich im Verlauf der Spielzeit ein Jahrzehnte umfassendes Mosaik.
Die Konstante in Schwarze Adler ist die Diskriminierung
Shary Reeves' und Steffi Jones' Kindheit als Schwarze Mädchen in einem von weißen Jungs dominierten Sport finden ebenso Platz wie die Erlebnisse Gerald Asamoahs, der vor seiner Einwanderung nach Deutschland mit 12 Jahren keine Vorstellung davon hatte, was Rassismus überhaupt ist.
Erwin Kosteddes Beschreibung des enormen Drucks, den der schwarze Adler auf der Brust mit sich brachte, steht neben Jimmy Hartwigs und Anthony Baffoes herausforderndem Selbstbewusstsein in Talkshow-Ausschnitten. Sie alle suchten in der öffentlichen Wahrnehmung mitsamt ihren Ressentiments nach einer eigenen Route zur Verwirklichung ihres Lebenstraumes. Die ernüchternde Konstante auf ihren Wegen bleibt jedoch die Diskriminierung.
Aufnahmen rassistischer Sprechchöre ziehen sich durch die Jahrzehnte, sie reichen von der Provinz bis in die Metropole, von West- nach Ostdeutschland. Sie begleiten Spieler*innen am Anfang ihrer Karriere bis zu deren Höhepunkt. Eben noch gefeiert für seinen Einsatz in der Nationalmannschaft, wird Stürmer Asamoah etwa in der nächsten Szene von Fans bei einem Bundesligaspiel beleidigt.
Dem blökenden Hass aus Fankurven steht die tätschelnde Erniedrigung in Fernsehsendungen gegenüber. Beverly Ranger, 1975 ausgezeichnet für das Tor des Monats der ARD, muss im Moment des Erfolges ein grauenhaftes Interview vor Millionenpublikum über sich ergehen lassen. Das ständige Hinterfragen des Deutsch-genug-seins entwickelt sich in den Archivaufnahmen zum Spießrutenlauf durch die Jahrzehnte.
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Schwarze Adler fokussiert die individuelle Erfahrung und lässt doch auf Größeres schließen
Jüngstes Beispiel im Film ist die Erfahrung von Jordan Torunarigha. Beim Pokalspiel von Hertha gegen Schalke 2020 wurde der in Chemnitz geborene Spieler aus der Zuschauerschaft mit Affenlauten beleidigt. Torunarigha brach auf dem Platz in Tränen aus, ließ seine Wut an einem Getränkekasten aus und erhielt dafür die gelb-rote Karte.
In der Nacherzählung dieses Moments wirft Schwarze Adler auch ein Schlaglicht auf die strukturellen Probleme des deutschen Fußballs.
Nach einer Weile stellt sich nämlich ein Gefühl von Déjà-vus ein. Je weiter die Erzählung in die Gegenwart reicht, desto auffälliger das Muster. Die Spieler*innen werden Opfer offener Diskriminierung und Beleidigung. Im Nachhinein wird ein gemeinsames öffentliches Zeichen gegen den Hass gesetzt. Dann beginnt der Kreislauf von vorne.
Da das Archivmaterial mehrfach auch das Zeitgeschehen ins Bild rückt, darunter den rechtsextremen Mordanschlag von Solingen 1993, dient es sich an, Parallelen zum allgemeinen Umgang mit Rassismus in Deutschland zu ziehen. Das bleibt aber uns überlassen. So viel Vertrauen besitzt das Team um Regisseur Torsen Körner in die Zuschauerschaft von Schwarze Adler.
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Eine strukturelle Analyse ist nicht Ziel der Dokumentation, das obliegt anderen. Die Stärke von Schwarze Adler ist der Raum, der den Menschen in seinem Zentrum zur Verfügung gestellt wird. In Zeiten, in denen manch weiße deutsche Talk-Runde noch immer über Rassismus schwadronieren darf, bestärkt die Doku die Stimmen jener Menschen, die tagtäglich Erfahrungen damit machen. Ob in den höchsten Etagen des deutschen Fußballs oder auf dem Bolzplatz um die Ecke.
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