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Eine Würdigung von Tim Burtons Träumer-Expressionismus

25.08.2017 - 12:20 UhrVor 6 Jahren aktualisiert
Zum 59. Geburtstag
Warner Bros. Pictures Germany
Zum 59. Geburtstag
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Mit seinem eigensinnigen Stil hat Tim Burton die Herzen der Menschen im Flug erobert. Sei es die melancholisch düstere Atmosphäre oder das detailreiche Design seiner Figuren. Es ist eine Art, die sie als Außenseiter nicht liebenswerter sein lassen könnte. Heute wollen wir sein Schaffen mit Texten ehren.
Der Schreibzusammenschluss Textgeschenke zum Geburtstag ist nach einer Sommerpause wieder zurück und richtet diesmal seine gesammelten Geburtstagsgrüße an einen Regisseur und Künstler, der nicht nur für seine melancholisch träumerischen Geschichten, sondern auch für seinen unverwechselbaren Stil bekannt ist: Tim Burton.



colorandi_causa über Vincent (1982)

I am possessed by this house and can never leave it again.
Vincent Price erzählt

Vordergründig ist Vincent vor allem eine Hommage an Vincent Price, einer von Burtons persönlichen Helden und einstiger Star früherer Horrorfilme. Für Price war diese Art der Anerkennung seines Schaffens mehr wert als ein einfacher Stern auf dem "Walk of Fame" und mit seiner markanten Stimme konnte er sogar ein Teil dieses Projekts werden und die Verse über den 7 jährigen Vincent Malloy schaurig-akzentuiert den gebührenden Ton zu den expressionistischen Schwarz-Weiß-Bildern Burtons geben.

Aber wie bereits das Wörtchen "vordergründig" andeutet, ist "Vincent" rückblickend viel mehr im Bezug zur Vita und dem Œuvre Burtons. Es dient bereits als frühstes offizielles Schaffen als Blaupause für Spätwerke, z.B. als Inspiration für Frankenweenie oder unter umgekehrten Vorzeichen (im Sinne von: bodenständig; ohne großen Einfluss von Effekten) als Testlauf für "Ed Wood", dem filmischen Denkmals Bela Lugosis.

Dabei ist der kleine Junge Vincent, der statt nach draußen zu gehen und den üblichen Dingen des Lebens und seines Alters zu frönen, lieber die Vorliebe des Morbiden und Makaberen sucht und sich nur allzu gern in den dunkelromantischen Gängen seiner Fantasie verläuft, eine Emanation des kleinen Kindes, welches in Tim Burtons eigenem Oberstübchens sein Unwesen treibt und uns den Zuschauer seit Jahren mit seinem eigentümlichen Stil und Design erfreut. Ein Zeugnis darüber, dass dieses Medium Verschrobenheiten aller Art einfangen kann. Ein Film, der vielleicht heute so ungemein wichtig ist, weil er die Eigenwilligkeit und künstlerische Freiheit des Regisseurs inkorporiert und zur Schau stellt, mit diesem Charme kokettiert und den Zuschauer für sich gewinnt, statt eine Ansammlung von marktwissenschaftlichen Analysen zu sein, bei dem sich auf den größten gemeinsamen Nenner geeinigt wird. "Habe Mut, dich deiner eigenen Fantasie zu bedienen!" schreit es einem förmlichen entgegen, wenn 6 Minuten herzlich-düstere Stop-Motion einen bezirzen.



ElsaWaltz über Edward mit den Scherenhänden (1990)

I am not complete.
Johnny Depp ist Edward

So hieß eine Ausstellung im Max Ernst Museum in Brühl, welche sich den nicht-filmischen Ausdrucksformen des Regisseurs Tim Burton widmete. Mit über 500 Zeichnungen und auch ein paar Skulpturen hat es die Ausstellung geschafft, die surreale und oftmals gruselige Welt Tim Burtons einzufangen.

Eines der frühsten filmischen Werke dieses Künstlers ist Edward mit den Scherenhänden. Dieser Film hat trotz seines Alters von 27 Jahren nichts von seiner Magie verloren.
Die Geschichte ist so ergreifend wie aktuell: Es geht darum anders zu sein und ausgeschlossen zu werden. Als gefährlich zu gelten, obwohl man es gar nicht ist. Angst zu verbreiten, ohne es zu wollen. Und die Liebe zu finden, auch wenn sie aussichtslos erscheint.

Tim Burton hat viele große Filme in seiner Karriere produziert und einer ist künstlerisch größer und aufwendiger als der andere. Aber keiner (vielleicht Corpse Bride - Hochzeit mit einer Leiche ausgenommen) schafft es, so echt und ergreifend Gefühle darzustellen wie Edward mit den Scherenhänden. Dafür gibt es viele Gründe.

Beginnen wir mit den Darstellern.
Johnny Depp ist hier in einer seiner ersten großen Kinorollen zu sehen und wenn man seine Darbietung in diesem Film sieht, überrascht es einen wahrhaftig nicht, weshalb Depp als einer der größten Schauspieler seiner Generation dient. "Edward mit den Scherenhänden" stellte zudem den Beginn seiner und Burtons Freundschafft dar, welche bis heute andauert und viele weitere gemeinsame Filmproduktionen hervorbrachte.

Winona Ryder, Ikone der 1990er Jahre ist hier einfach zum Verlieben. Mit ihrer Warmherzigkeit gewinnt sie als Kim nicht nur das Herz von Edward, sondern auch die Herzen der Zuschauer.

Dianne Wiest ist wunderbar als schrullige, gutherzige Verkäuferin, die Edward bei sich aufnimmt, ohne Vorurteile wegen seiner Erscheinung zu haben. Als eine der wenigen in diesem Film sieht sie wirklich nur das Innere eines Menschen und lässt sich von der äußeren Erscheinung nicht abschrecken. Und dann gibt es da noch Vincent Price, welcher hier in der letzten Rolle seines Lebens den Erfinder und Vater Edwards spielt. Auch wenn er nur ein paar Minuten zu sehen ist, merkt man doch, wie sehr er Edward liebt.

Edward mit den Scherenhänden ist genial inszeniert.
Sei es das Makeup, die Kostüme (allein der Anzug von Johnny Depp), die Fassade des Schlosses, oder die berühmten Heckenskulpturen.

Ein weiteres Highlight des Films ist die (natürlich) von Danny Elfman komponierte Filmmusik. Die leisen Töne sind zauberhaft und verwunschen wie der gesamte Film. Sie unterstreicht die Bilder und die Handlung ungemein gut und klingt noch lange, nachdem man den Film gesehen hat, nach.

Edward mit den Scherenhänden gehört für viele zu Weihnachten dazu. Zum einen natürlich, weil die Rahmenhandlung des Filmes zur Weihnachtszeit spielt, zum anderen aber auch, weil sie einem vermittelt, was es bedeutet, andere Leute so anzunehmen wie sie sind. Das jeder Mensch sich nach einer Familie sehnt zu der er gehören kann und von der er geliebt wird. Und wie stark und grenzenlos dieser Wunsch sein kann, dass er selbst nach Jahrzehnten nicht vergeht.

Das Ende des Films erfüllt mich immer mit einer unglaublichen Traurigkeit. Denn obwohl Kim Edward vor den anderen beschützt und ihm somit zu verstehen gibt, dass sie ihn auch auf ihre Art liebt, werden sich die beiden nie wiedersehen. Dass Edward nie aufgehört hat, Kim zu lieben, wird in einer unglaublich traurigen und rührenden Schlussszene gezeigt.

Edward mit den Scherenhänden ist einer der schönsten Tim Burton-Filme und einer der schönsten Liebesfilme überhaupt, welcher einen an die wahre und unaufhörliche Liebe glauben lässt.

Ich danke dir für diesen wunderschönen Film und wünsche dir alles Gute zum 59. Geburtstag.


Mr_Phil über Ed Wood (1994)

Nobody will ever notice that. Filmmaking is not about the tiny details. It's about the big picture.
Johnny Depp ist Ed Wood

Mit manchen Regisseuren kommt man unwissend viel früher in Kontakt, als einem vielleicht bewusst ist. Und ja, dieser Kontakt prägt einen dann auch.

Noch heute ertappe ich mich beispielsweise oftmals dabei, dass ich unsere Hecke im Garten ansehe und in ihr die verschiedensten Figuren und Formen sehe, die ja eigentlich gar nicht da sein können. Auch wenn der erste Schnee fällt, fange ich an zu grinsen und schaue in den Himmel, wohlwissend dass es ihm gut geht. Mein Herz hatte ich also schon als Kind an den Mann mit den Scherenhänden verloren, ohne zu wissen, dass Tim Burton, der verspielte Träumer, dahinter steckt.

Burton bedeutet mir seither auch sehr viel. Seine unvergleichbare Handschrift, seine skurrilen Figuren und seine Filme in ihrer Gesamtheit sprechen mir aus der Seele, berühren mich ganz tief im Inneren und lassen mich etwas fühlen, wofür mir leider zu oft die Worte fehlen - Worte, die hier ja vielleicht auch einfach fehl am Platz wären und schlicht dem Gefühl der Warmherzigkeit weichen müssen.

Als ich Ed Wood das erste Mal sah, war mir natürlich klar, dass einer meiner Liebsten auf dem Regiestuhl saß. Und tatsächlich - es war fast wie damals, denn auch an diesem Abend war mein Grinsen ganz breit, mein Herz ganz erfüllt und meine Augen ganz groß, wie bei einem kleinen Kind an Weihnachten, kurz bevor es die Geschenke endlich öffnen darf.

Wenn es einer versteht, Geschichten den Menschen in all ihren Facetten nahe zu bringen, dürfte es wohl unter anderem Tim Burton sein. Wie sehr ich es seitdem auch drehe und wende - Ed Wood ist etwas Besonderes. Für Tim Burton und für mich.

Diese anrührend erzählte Geschichte über den erfolglosen (was noch schmeichelhaft ausgedrückt sein dürfte) Regisseur Edward D. Wood Jr. ist reinste Poesie und zeigt Burtons einzigartiges Gespür und Einfühlungsvermögen. Am liebsten wäre ich Ed Wood selbst zur Hand gegangen, hätte ihm also geholfen, seine visionären Ideen umzusetzen und ihn so zu einem erfolgreichen Regisseur gemacht. Doch ich kann nicht. Wir können nicht. Stattdessen müssen wir ihm zusehen, wie er (wunderbar gespielt von Johnny Depp) sich von einem Misserfolg zum Nächsten manövriert, trotzdem nie aufgibt und stets mit Herzblut bei der Sache ist. In ihm flackert schließlich diese unbeugsamer Wille, etwas Außergewöhnliches und Großes zu leisten - genau wie in Tim Burton, der mit seinen Filmen das Spektrum menschlicher Gefühle abzudecken versucht und uns so im Falle von Ed Wood ganz tiefe Einblicke in einen nicht verstandenen Außenseiter gewährt. In jedem einzelnen in schwarz-weiß-getauchtem Bild spürt man die Kraft dieser herausragenden Hommage.

Ich habe mein Herz erneut verloren. Wenn ich heute aus dem Fenster unsere Hecke betrachte, sehe ich keine Figuren mehr und auch der erste Schnee ist wohl noch weit entfernt. Manche Dinge braucht man aber scheinbar nicht immer zu sehen, um zu wissen, dass sie da sind.

Happy Birthday, Tim Burton.

Den Kommentar zum Film findet ihr auch
hier.


Amarawish über Sleepy Hollow (1999)

Villainy wears many masks, none so dangerous as the mask of virtue.
Johnny Depp spielt Ichabod Crane

Mit dem Talent das Außenseitertum in seinem Filmen eine bedeutende Rolle zuzumessen und eine positiv ausgeleuchtete Bühne zu bieten, ist die Aussage seiner Filme nicht selten die selbe, aber immer zauberhaft gruselig verpackt. Ob Wissenschaftler, Künstler oder in ihrer Kindheit gezeichnete, sie alle sind, ob menschlich oder nicht, in ihrer Wesensart oft menschlicher als so mancher „Normalo“. Nicht einfach einzugliedern sind sie mit ihrer absonderlichen Natur und doch macht es sie in ihrer Wesenheit samt Narben und Eigenarten in seinen Filmen zum wichtigsten Element der gesamten Story. Natürlich werden Sonderlinge gerne im Film betrachtet, aber selten werden sie so positiv und gleichzeitig atmosphärisch mystisch und düster dargestellt wie Burton dies zu tun vermag. Er schafft es sie allesamt liebenswert zu gestalten und erreicht so den gezielten Weg ins Herz der Zuschauer. Wie? Nun ja die einfache Antwort wäre wohl mit einer guten Mischung aus Einfühlungsvermögen, Witz, Stil und Fantasie.

Sleepy Hollow, ein Kulthorror der 90er Jahre mit wiederum Johnny Depp in der Hauptrolle ist dabei keine Ausnahme. Ich nehme mal stark an, dass es genau das ist was einen die Charaktere sofort ans Herz wachsen lässt. Ihre warmherzige Art, die nicht selten von ihrer Eigenartigkeit nicht so zu sein wie der Rest der Menschheit umwoben und unterstützt wird. Nicht selten Koryphäen in ihrem Gebiet braucht sie die Menschheit, um das sehen oder erreichen zu können was sie nicht vermochten. Sei es aus Angst oder aufgrund fehlendem Geschick.

Burton war für mich lange Zeit eine Inspirationsquelle. Er schaffte es mit seiner erfolgreichen Stil-Mischung den Menschen etwas zu zeigen, was sonst nur in einer anderen Ausführung möglich schien. Er erreichte eine Eingliederung des Abnormalen, indem er die Welt ebenso ausgefallen gestaltete. Eine makabere Märchenwelt mit Moral. Mir gefällt der Gedanke, dass es Traumwelten sind, ein Bruchstück der Realität, denn was sind sie denn anderes als ein (oft) verdrängtes Element unserer Realität?

In diesem Sinne wünsche ich Herrn Burton alles Gute zum Geburtstag und hoffe darauf, dass wir bald wieder einmal in den Genuss eines besser geglückten Films gelangen.

Den Kommentar zum Film findet ihr auch hier.


Amon über Sweeney Todd (2007)

There was a barber and his wife, and she was beautiful. A foolish barber and his wife. She was his reason and his life, and she was beautiful. And she was virtuous. And he was...
Johnny Depp ist Sweeney Todd

Hach ja, ich erinnere mich noch überraschend gut an den Dezember im Jahre 2007 zurück: Das Jahr neigte sich seinem Ende zu und die eisigen Temperaturen trieben die Leute in die Kinosäle, so auch meine damalige Freundin und mich. Statt eine romantische Komödie anzusehen, wie sie sich um diese Zeit des Jahres gerne anschicken, die Lichtspielhäuser zu erobern, gingen wir in den aktuellsten Film von Tim Burton: Sweeney Todd. Zugegeben, es war nun nicht unbedingt der ruhige Film, der zur besinnlichen Zeit des Jahres passt, doch wir hatten trotzdem unseren Spaß mit Burtons neuestem Werk, der Adaption eines gleichnamigen Musicals.

Im Zentrum der Geschichte steht der Barbier Benjamin Barker (Johnny Depp), welcher einst ein glückliches Leben mit seiner Frau und seiner Tochter führte - doch ein Richter (Alan Rickman) zerstörte die Familie, brachte Benjamin ins Straflager und nahm sich anschließend Barkers Frau und Tochter an. Fünfzehn Jahre später kehrt Barker als Sweeney Todd zurück in seine Heimat, um sich für den Verlust seiner großen Liebe zu rächen. Getreu der Vorlage gibt es im Film einen Mix aus klassischen Dialogen sowie diversen Musikeinlagen zu bestaunen, in denen die Schauspieler zeigen können, was in ihnen steckt.

Sweeney Todd quillt geradezu über vor Burtons sehr eigenem, düster-makaberen Stil, wobei dieses Musical gefühlt noch blutiger, trost- und hoffnungsloser daherkommt als viele seiner anderen Werke. Und obgleich Burtons Version des Musicals nicht unbedingt perfekt ist, so ist es doch ein bitter böser Spaß, der in einem unvergleichlich blutigen und gleichzeitig überaus konsequenten Finale mündet.

Burton vermag es, seine Schauspieler einmal mehr zu Höchstleistungen anzutreiben, wobei speziell Johnny Depp, Helena Bonham Carter, Alan Rickman sowie Sacha Baron Cohen wirklich toll abliefern und förmlich in ihren Charakteren aufgehen.

Ich bin nun nicht unbedingt der größte Musical-Fan (weshalb ich auch erst skeptisch war, als sie unbedingt in Sweeney Todd gehen wollte (vermutlich wegen Johnny Depp? :D)), doch dieser Film war so unkonventionell und seine Facetten, fügten sich so gut zusammen, wie ich es vorher nicht vermutet hätte: Die Lieder passen nahezu perfekt in dieses blutige Splatter-Musical und die Slasher-Szenen, in denen Barker beziehungsweise Todd seinem grausigen Racheplan folgt, fügen sich hervorragend ein.

Burtons Sweeney Todd ist ein vor Kunstblut nur so übersprudelndes Grusical und gehört mit seinen eingängigen Melodien, seinem bitterbösen Humor sowie seinem überaus konsequenten, brutalen Ende zu meinen liebsten Werken aus der umfangreichen Filmografie des Altmeisters.

In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch, Mister Burton und auf das sie uns auch in Zukunft mit tollen Filmen unterhalten mögen.


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Was haltet ihr von unserem Geburtstagskind Tim Burton?

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