Ein Kontinent widersetzt sich Hollywood

12.03.2012 - 08:50 UhrVor 12 Jahren aktualisiert
Von der Berlinale ins deutsche Kino: Viva Riva!
Summiteer Film
Von der Berlinale ins deutsche Kino: Viva Riva!
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Hollywood ist hier oft genug Thema, doch was passiert eigentlich filmisch gesehen im Rest der Welt? Der Kinostart des Gangsterthrillers Viva Riva! ist Grund genug, um in zwei Teilen ins afrikanische Kino abzutauchen.

Afrika, das ist in westlichen Kinos oft ein Sehnsuchtsort der Ursprünglichkeit, der Sonnenuntergänge und eine wunderbare Kulisse für Liebesgeschichten knapp über dem Traumschiff-Niveau. Oder es ist der Ort des Horrors, in dem sich das (menschliche) Herz der Finsternis in grausamen Völkermorden niederschlägt. Das scheint zumindest die Perspektive vieler europäischer und amerikanischer Produktionen zu sein. Der stylishe Gangsterthriller Viva Riva! – Zu viel ist nie genug wirkt dagegen wie eine wachrüttelnde Ohrfeige. Das überrascht nicht, ist der Film doch kein Produkt westlicher Projektionen. Gedreht in der Demokratischen Republik Kongo, räumte der Streifen von Djo Munga fünf African Academy Awards ab, feierte bei der letztjährigen Berlinale Premiere und schafft diese Woche das Unmögliche: Viva Riva! kommt in die deutschen Kinos.

Kinshasa Gangster
In vor Leben platzenden Farben gehalten, wird in Viva Riva! vom Ganoven Riva erzählt, der nach zehn Jahren in Angola in seine Heimat Kinshasa zurückkehrt. Er taucht ein ins wilde Nachtleben der Hauptstadt, verliebt sich in die falsche Frau, gerät mit fiesen Bossen aneinander und manövriert durch eine von Benzinmangel getroffene Metropole. Viva Riva! ist so cool wie seine Macho-Hauptfigur, geizt auch nicht mit Sex und Gewalt. Es ist ein Genrekino, wie wir es hier nur selten zu sehen bekommen, wenn es um die filmische Kultur Afrikas geht.

Soweit die Exporte des über eine Milliarde Menschen beherbergenden Kontinents über einen Kamm geschert werden können, findet Afrika in deutschen Kinos, aber auch auf DVD höchstens als Aufhänger für Dokumentationen und betont exotische, im Westen produzierte Dramen statt. Ein Kinostart wie der von Viva Riva! ist selten und so sind wir hierzulande oft von einem gewissermaßen vorbelasteten Blick auf den Kontinent abhängig, da wir nur selten Zugang zu genuin afrikanischen Produktionen haben.

Und immer wieder Die Weiße Massai
Ob Mord unter Zeugen, Der letzte König von Schottland – In den Fängen der Macht, Jenseits von Afrika, Blood Diamond, nirgendwo-in-afrika-2 oder Der ewige Gärtner. Wenn Hollywood und Europa Afrika zum Thema machen, dann werden gern weiße Protagonisten als Stellvertreter und Identifikationsfiguren in die betont auf Fremde getrimmte Fremde geschickt, um zu helfen, sich zu verlieben oder schockiert zuzuschauen. Je größer die Produktion, desto geringer die Wahrscheinlichkeit von Variationen dieses Klischees. So nähern wir uns insbesondere Schwarzafrika im Kino in der Position des Außenseiters, der in den 90 bis 120 Minuten kaum genug Zeit findet, um die Klischees, die der aufgezwungene Blick von außen eben mit sich bringt, auf ihren Wahrheitsgehalt zu testen.

Wenn sie nicht morden oder sich in den weißen Helden/die weiße Heldin verlieben, kommen die Bantu, Hutu, Tutsi etc. pp. in genannten Filmen meist als Staffage vor, als menschliche Kulisse, die entweder (wie in Shooting Dogs und Co.) viktimisiert oder, in der romantischen Afrika-Version, nicht mehr Charakterzeichnung erfährt als der nächstbeste, gähnende Tiger im Hintergrund. Diese Vorgänge der Identifikationsbildung und der daraus folgenden Pauschalisierung sind weder neu noch auf Filme begrenzt, die in Afrika spielen. Vielmehr begleiten sie nicht nur das westliche Kino seit seinen Anfängen und zeigen sich in anderen Ausformungen beispielsweise ebenso bei asiatischen Schauplätzen. Doch im Vergleich etwa zum chinesischen Kino ist es auf Grund der Veröffentlichungssituation ungemein schwerer, sich einen Eindruck von Filmen aus dem Senegal, Ghana, Nigeria oder eben der Demokratischen Republik Kongo zu verschaffen. Dabei haben besagte Länder und andere auch seit Ende der Kolonialzeit Klassiker des Weltkinos und eine gigantische Filmindustrie hervorgebracht.

Wir sind menschliche Wesen
Mit dem Ende der Kolonialzeit formierte sich erstmals ein eigenes afrikanisches Kino, war in den französischen Kolonien doch zuvor das Drehen von Filmen verboten gewesen. Ende der 60er Jahre organisierten sich die Filmemacher in einer Föderation (FEPACI), wurde mit der Einrichtung eines afrikanischen Filmfestivals (FESPACO) ein Forum geschaffen, das bis heute alle zwei Jahre in Burkina Faso stattfindet. Der Senegal brachte damals eine Reihe von bedeutenden Autorenfilmern hervor, etwa den “Vater des afrikanischen Films”, Ousmane Sembene (Xala). Das Programm dieser Vorreitergeneration in postkolonialen Zeiten war dezidiert politisch.

So beschäftigten sich Filme wie Touki Bouki von Djibril Diop Mambéty, Soleil O von Med Hondo und La Noire de… von Sembène mit dem Traum von einem besserem Leben im Ausland, dem Verlust der eigenen Identität und den kapitalistischen Verflechtungen, welche die noch jungen Staaten an “den Westen” binden. Touki Bouki, der sogar in Deutschland auf DVD zu erstehen ist, stellt an Hand einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte afrikanische Tradition in Kontrast zu den Verlockungen des Auslands. Wie in vielen anderen dieser Filme auch spielt der Traum von der Emigration eine große Rolle, die den finanziellen Aufstieg verheißt, aber stets auch eine Identitätskrise mit sich bringt. Auf Grund der sprunghaften, noch heute modern wirkenden Inszenierung wird Touki Bouki nicht von ungefähr gern mit Außer Atem verglichen.

Die politischen Verhältnisse sowie die Rückbesinnung auf die Traditionen aus vorkolonialer Zeit bildeten einen reichen Themenschatz für diese erste Generation von Autorenfilmern aus dem Senegal, Mali (Souleymane Cissé, Yeelen – Das Licht) und anderen Staaten. Ein kleiner Teil dieser unsichtbaren Klassiker hat es in den Kanon des Weltkinos geschafft, ist heute zumindest teilweise in Retrospektiven oder durch DVD-Importe zugänglich. Doch wenn in jüngerer Zeit von afrikanischen Filmproduktionen geschrieben wird, dann steht ein ganz anderes Kino im Mittelpunkt, eines voll von Hexen, Kobolden, reichen Mackern und ganz viel Genre. Von der zweitgrößten Filmindustrie der Welt, Nollywood genannt und in Nigeria beheimatet, ist hier die Rede. Was das Phänomen Nollywood mit der Zukunft des afrikanischen Kinos zu tun hat, wie es sich von dem politischen Kino der 60er und 70er abhebt, könnt ihr nächsten Montag im zweiten Teil meines kleinen Afrika-Specials lesen.

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