Keiner hat wohl solch einen großen Einfluß auf die phantastische und utopische Literatur gehabt, wie Edgar Allan Poe, der am 19. Januar 1809 in Boston geboren wurde. Und keiner der klassischen Autoren ist wohl so häufig verfilmt, adaptiert und beklaut worden wie eben jener Autor. Er begeisterte mit seinen Schauergeschichten, seiner schwarzen Romantik und seinen Kriminalfällen, in der die Logik und Kombination zu ihrem Recht kam. Seine Filme sehen – aber auch seine Bücher lesen – lohnt allemal.
Schon zu Stummfilmzeiten waren die Bücher des Edgar Allan Poe begehrt und die Zuschauer gruselten sich besonders. Der Student von Prag (1913) greift auf Motive von ihm zurück. Damals sollen die Zuschauer im Saal gekreischt haben, als sie Paul Wegener doppelt auf der Leinwand sahen. Unheimliche Geschichten (1919) verarbeitet gleich mehrere seiner Erzählungen, mit Conrad Veidt und Anita Becker in den Hauptrollen. Ob Freitag, der 13. (1916) oder Pest in Florenz (1919): Das Arsenal der Poe-Figuren wurde besonders vom deutschen Expressionismus geplündert, boten sich doch seine Erzählungen an, weil sie von Anbeginn an auf Atmosphäre setzten: düster und beängstigend, klaustrophobisch und halluzinatorisch.
In den 1960ern verfilmte der B-Movie-Regisseur Roger Corman eine Reihe von Edgar Allan Poes Werken. Vincent Price wurde durch ihn zum Star des Gruselfilms, der in Die Verfluchten – Der Untergang des Hauses Usher (1969), Das Pendel des Todes (1961) oder der-rabe-das-duell-der-zauberer (1964) den Zuschauer das Schaudern lernte. Acht Filme sind entstanden, die überaus erfolgreich waren. Der Regisseur sagte vor kurzem in einem Interview in der Zeit folgenes: “In den Sechzigern ging es um sexuelle Befreiung, bei Poe um unterdrückte Triebe. Letztlich passte das doch zusammen. Tatsächlich zeigte jedes verdammte Drive-in-Kino in den USA meine Poe-Filme.”
Alfred Hitchcock, Meister des Suspense, hat Edgar Allan Poe geliebt und hätte bestimmt gern mit ihm zusammengearbeitet. Quentin Tarantino zitiert ihn gern und häufig, etwa in der Lebendig-begraben-Szene in der Doppelfolge in CSI:Las Vegas. So mancher Film und manche TV-Serie bezieht sich auf den großen Meister, ohne ihn wirklich zu nennen. Peter Kümmel schreibt in der Zeit “Poes Leistung ist die erzählerische Überschreitung aller Grenzen. Poe überschreitet die Grenzen des Raumes, der Zeit, der Vernunft und der menschlichen Individualität. Von seinen Überschreitungen lebt unsere Kultur bis heute; wir können hinter seine Vorstöße nicht zurück, und es ist uns unheimlich in den Freiräumen, die er erschlossen hat.”
Bleibt zu hoffen, dass sich der Grusel- und der Horrorfilm wieder auf diese Tugenden besinnt. In vielen Fällen geht es heute eher um den Effekt, als um die Atmosphäre; eher um die Überschreitung der Grenze um des Überschreitens willen (siehe Saw III). Die Wirkung, die Edgar Allan Poe anstrebte war eine andere: Ihm ging es um Stimmung, um unsere Lust am Grauen, die in die Abgründen der menschlichen Seele offenbart, um unser Obessionen, um unsere Angst, um unseren Verstand, der den Wahnsinn in Schach halten sollte, aber dafür scheinbar nicht geeignet ist. Seine Geschichten brauchen keine weiteren Splatter-Effekte. Insofern ist der große Meister der Schauer- und Gruselgeschichten immer noch hochaktuell.
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Ergänzung: Nur heute ist ein preisgekrönter Spielfilm über Poes Leben kostenlos online zu sehen:
Hier der Trailer: